Fußball-Bundesliga:Vor dem zweiten Jahr: Darmstadt 98 spielt voll auf Risiko

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Die Darmstädter bilden einen Kreis nach einem Heimspiel am Böllenfalltor in der vergangenen Saison. (Foto: dpa)

Der Klub verliert einen Stammspieler nach dem anderen. Sollten die Verantwortlichen nicht langsam in Panik verfallen?

Von Dominik Fürst

Rüdiger Fritsch ist auf einer Mission. Der Präsident des SV Darmstadt 98 versucht dem Land mitzuteilen, dass es sich keine Sorgen zu machen braucht. Nicht um seinen Verein. Skeptiker sagen: Das zweite Bundesliga-Jahr werden diese Darmstädter nicht so glimpflich überstehen wie das erste. Fritsch sagt im Gespräch mit der SZ: "Wir werden es schwer haben, Darmstadt wird es immer schwer haben. Aber wir wissen jetzt eher, was auf uns zukommt. Das wussten wir vor der letzten Saison noch nicht." Alles wird gut, lautet seine Botschaft.

Fritsch, 55, besänftigt die Zweifler gerade geduldig auf allen Kanälen, was kein leichter Job ist, wenn man bedenkt, dass sich Zweifler auch in den eigenen Reihen versteckt halten. "Ich bin ganz ehrlich: Wenn wir mit so einem Kader antreten, wie er jetzt ist, können wir die weiße Fahne hissen", hat Mittelfeldspieler Peter Niemeyer vor kurzem der Bild-Zeitung gesagt. Er hat zwar gleich hinzugefügt, dass er überzeugt sei, "dass die Verantwortlichen wieder was Vernünftiges hinbekommen", aber die Botschaft war in der Welt: Der SV Darmstadt ist derzeit nicht bundesligatauglich.

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Man kann Niemeyers Sorge nachvollziehen. Mit Slobodan Rajkovic hat die Erfolgswelle der vergangenen Saison inzwischen den sechsten Stammspieler fortgespült, der Innenverteidiger geht nach Palermo. Vor ihm sind mit Sandro Wagner (TSG Hoffenheim), Luca Caldirola (Werder Bremen), Konstantin Rausch (1. FC Köln), Tobias Kempe (1. FC Nürnberg) und Christian Mathenia (Hamburger SV) bereits fünf wichtige bis sehr wichtige Spieler abhandengekommen. Eigentlich will auch noch Marcel Heller weg, aber dem Mittelfeldspieler haben sie sicherheitshalber ein Transferverbot ausgesprochen.

Die Mannschaft ist gerade aus dem Trainingslager in der Steiermark zurückgekehrt. Es war das erste mit Norbert Meier als Trainer, der den zweifachen Aufstiegshelden Dirk Schuster beerbt hat. "Wir haben uns für seine Erfahrung entschieden, weil wir wussten, dass im zweiten Bundesliga-Jahr ein rauerer Wind weht. Norbert Meier macht das sehr ruhig, sehr besonnen", sagt Fritsch. Doch der neue Coach musste sich schon wundern, als er zu Beginn des Trainingslagers nur zehn Feldspieler zur Verfügung hatte.

Darmstadt fahndet nach den Spielern auf der Tribüne

Alles ganz normal, versichert Fritsch. "Es ist ja so, dass wir Schlüsselpositionen erst am Ende der Transferperiode besetzen können", sagt er dazu. "Das war im letzten Jahr nicht anders." Die Logik dahinter: Erst wickeln die großen Vereine die dicken Geschäfte ab, 15 Millionen Euro hier, 20 Millionen da, und am Ende findet sich ein guter Spieler in Hoffenheim oder Leipzig auf der Tribüne wieder, weil man ihm den teuren Zugang vor die Nase gesetzt hat. Diesen Ausgemusterten schnappt sich Darmstadt. "Eine klare Win-win-Situation", sagt Fritsch.

Er muss wegen dieser Strategie zwar jedes Jahr aufs Neue mit einem gewissen Nervenkitzel bis zum Ende der Transferperiode am 31. August klarkommen, andererseits hat Fritsch ja auch schon einiges erlebt in seinen vier Jahren als Vorsitzender. Als er sein Amt antrat, hatte der Verein gerade eine Beinahe-Insolvenz hinter und einen Beinahe-Abstieg in die vierte Liga vor sich. Dann folgte der Durchmarsch, zunächst dank eines Treffers in der Nachspielzeit in der Relegation gegen Bielefeld in die zweite Liga, im Jahr danach ging es direkt und zum ersten Mal seit 1982 in die Bundesliga. Der vorerst letzte Höhepunkt war der Klassenverbleib. An Nervenkitzel hat es nie gemangelt.

Im zweiten Bundesliga-Jahr haben sie in Darmstadt nun behutsam die Professionalisierung eingeleitet. Der Etat des Klubs ist zwar immer noch winzig, und es schmeckt am Böllenfalltor traditionell mehr nach Provinz als nach Champions League. Aber sie haben um Norbert Meier ein größeres, insgesamt fünfköpfiges Trainerteam installiert, und mit Holger Fach zum ersten Mal einen Sportdirektor. Sogar die Scouting-Abteilung entspricht jetzt schon eher modernen Standards und besteht nicht mehr länger aus den Vätern der früheren Trainer Dirk Schuster und Sascha Franz.

Meier soll jetzt erst einmal in Ruhe arbeiten, sie werden ihm dann schon einen bundesligatauglichen Kader zusammenbasteln. Zuletzt ist mit dem Verteidiger Artem Fedezkyi aus Dnipropetrowsk ein ukrainischer Nationalspieler verpflichtet worden, und aus Freiburg kam mit Immanuel Höhn ein Defensivspieler mit Bundesligaerfahrung. Weitere Transfers sollen folgen. "Fünf bis sechs halte ich für realistisch", sagte Meier am Ende des Trainingslagers.

Sandro Wagner zieht nach Hoffenheim weiter

Wenn der Plan aufgeht, könnte es auch in der kommenden Bundesliga-Saison wieder so sein, dass sich die Ausgemusterten, die Hintenruntergefallenen beim SV Darmstadt wiederfinden, um dann die anspruchsvolle Aufgabe zu meistern, ein Fußballwunder zu wiederholen. So wie es etwa in der vergangenen Saison mit Sandro Wagner geklappt hat, der den Darmstädtern mit 14 Treffern den Klassenerhalt sicherte und dafür jetzt nach Hoffenheim weiterziehen durfte. "Unser Modell kann ja zur Zeit nur die Schaufensterfunktion sein", sagt Präsident Fritsch. Das sei " part of the deal".

Ob sich der SV Darmstadt mit diesem Modell ein weiteres Jahr in der Bundesliga halten kann, ist eine der spannendsten Frage der kommenden Saison. Es wäre nicht das erste Hindernis, über das die Mannschaft auf die sichere Seite hüpft. "Letztes Jahr war das Gefühl, dass wir einen nicht zu gewinnenden Kampf eingehen", sagt Präsident Fritsch. Darmstadt hat dann trotzdem gewonnen. Jetzt folgt der Rückkampf.

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