Fußball:Bluten für den Überblick

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Ob erste Liga oder zweite Liga: Wenn der Trainer nicht gerade Felix Magath heißt, starten Fußballer mit dem Laktat-Test in eine Saisonvorbereitung - warum eigentlich?

Philipp Crone

Es muss eine Qual sein für jeden Fußballer. Statt mit Bällen beginnt die Saison mit Pieptönen. Ob Bremen, Stuttgart oder Hoffenheim, ob erste Liga oder zweite. Auch diese Spielzeit startet auf einer 400-Meter-Bahn. Zunächst piept es in längeren Abständen, dann in kürzeren. Und in der Zwischenzeit müssen die Spieler auf der Tartanbahn von einem Hütchen zum nächsten laufen, das 50 Meter entfernt liegt; sind sie beim Piep am Hütchen, haben sie die richtige Geschwindigkeit, haben sie nach vier verschiedenen Tempo-Stufen den Test hinter sich, sind sie um einige Mikroliter Blut ärmer, um eine kleine Wunde am rechten Ohr und sehr viel Laktat im Körper reicher. Laktat ist seit langem der Feind des Sportlers. Warum eigentlich?

So wie hier Hoffenheims Timo Hildebrand müssen zu Saisonbeginn viele Fußballer einen Laktattest machen. (Foto: Foto: ddp)

Seit knapp 30 Jahren wird der sogenannte Laktat-Test eingesetzt, um die Leistungsfähigkeit von Athleten zu prüfen; Franz Beckenbauer führte die Methode als Trainer der Nationalmannschaft 1985 im Fußball ein. Das Laktat-Molekül, ein permanent im Körper vorhandenes Stoffwechselprodukt, vermindert in hoher Konzentration das sportliche Können. Wer "übersäuert", also viel Laktat im Blut gebildet hat, dem springt ein in den Lauf gespielter hoher Ball eher ins Aus als jemandem, der eine geringe Laktatkonzentration im Körper hat; deshalb passiert so etwas auch öfter in der 85. Spielminute als in der fünften.

Laktat entsteht in großer Menge, wenn viel Energie, in den Muskeln zum Beispiel für einen Sprint, in kurzer Zeit benötigt wird. Die im Körper über die Nahrung aufgenommenen und in Muskelzellen als Zucker gespeicherten Kohlenhydrate werden dort biochemisch abgebaut, und die gewonnene Energie zur Muskelbewegung verwendet. Dabei gibt es zwei Abbauwege: Wird Zucker zusammen mit Sauerstoff verarbeitet, spricht man von aerober Energiegewinnung, da der Sauerstoff aus der Atemluft stammt.

Auf diesem Weg, der viel Energie liefert, gewinnt der Muskel bei geringen Belastungen seine Energie. Braucht er die allerdings sofort, etwa für einen Sprint, muss er sie anders gewinnen: anaerob. Dabei wird Zucker sehr schnell ohne Sauerstoff abgebaut. Nachteil: Der Zucker wird nur zum Teil verwertet, es entsteht weniger Energie. Und als Abbauprodukt entsteht Laktat, das Salz der Milchsäure. Gelangt das in relativ hoher Konzentration ins Gehirn, beeinflusst es dort zum Beispiel die optische Wahrnehmung, "man braucht dann länger, um sich zu orientieren und verliert leichter den Überblick", sagt Stefan Mücke, Diplom-Sport- und Fußballlehrer.

Der 54-Jährige hat in seiner Diplomarbeit 1984 den Laktat-Test entwickelt, wie er auch heute noch angewandt wird. Die Sportler laufen einige Runden bei steigenden Geschwindigkeiten, nach jedem Intervall wird ihnen Blut abgenommen. Über ein optisches Verfahren wird die Konzentration der Milchsäure im Blut gemessen; je höher das Lauftempo, desto höher der Energiebedarf, desto höher Anteil der schnellen anaeroben Energiegewinnung - die Laktatkonzentration steigt.

Langsam besser werden

Gleichzeitig wird Laktat vom Körper verstärkt abgebaut. Bei einer bei jedem Athleten unterschiedlichen Laufgeschwindigkeit, der sogenannten individuellen anaeroben Schwelle (IAS), entsteht ein Gleichgewicht von Bildung und Abbau. Steigt die Belastung weiter, reichert sich die Milchsäure im Körper an, auf Dauer kann darunter die Koordination leiden - der Ball springt einem vom Fuß ins Aus statt ins Feld.

"Bei Ballsportarten spielen viele Faktoren wie Schnelligkeit und Technik eine Rolle", sagt Anneliese Berbalk vom Institut für angewandte Trainingswissenschaften in Leipzig, "aber der Laktat-Test ist noch immer eine Basisvoraussetzung in Disziplinen, in denen Kondition wichtig ist". Durch Lauftraining unter der IAS-Geschwindigkeit kann die IAS verbessert werden, so dass ein Spieler erst bei einer höheren Belastung vermehrt Laktat bildet, seine Konzentration also nicht so früh in einem Spiel beeinträchtigt wird.

Zuletzt gab es unter Sportwissenschaftlern Diskussionen, ob die Laktatmessung noch das Mittel der Wahl ist. Laut Schalke-Coach Felix Magath ist sie geeignet für Leichtathleten, aber nicht für die komplexen Anforderungen der Fußballer. "Die Zeit kann man auch sinnvoll nutzen." Stefan Mücke sagt: "Vielen Trainern leuchtet nicht ein, dass konditionell schwache Spieler sehr langsam laufen müssen, um ihre IAS zu verbessern." Jeder Spieler sei genetisch bedingt anders und müsse individuell trainieren. Dann könne er sich zum Beispiel in der Zeit zwischen zwei Sprints auch besser erholen, Laktat schneller abbauen und den Überblick behalten - was im Fußball von großem Vorteil ist.

© SZ vom 11.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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