Fußball: Affäre Amerell/Kempter:Im Sog eines chaotischen Konflikts

Lesezeit: 2 min

DFB-Chef Zwanziger kann wegen seiner vorschnellen Parteinahme das prominenteste Opfer der Schiedsrichter-Affäre werden.

Philipp Selldorf

Deutsche Schiedsrichter genießen im internationalen Fußball seit Jahrzehnten einen exzellenten Ruf. Dass sich Deutsche in der Aufsicht übers Regelwerk hervortun, ist zwar kaum der Verblüffung wert und dürfte einem weltweit gültigen Verständnis des Nationalcharakters entsprechen, aber der Beitrag beschränkt sich nicht auf die unmittelbare polizeiliche Funktion. Der Schwabe Rudolf Kreitlein etwa hat mit einem englischen Kollegen die Gelbe und die Rote Karte erfunden. 1966 war das, und die Menschheit ist ihnen immer noch dankbar dafür.

In den vergangenen Jahren wurden deutsche Schiedsrichter jenseits der üblichen internationalen Einsätze vermehrt zu heiklen Partien ins Ausland expediert, sie leiteten Ligaspiele in Iran, Tunesien oder Bulgarien. Beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) war man darauf sehr stolz, das Schiedsrichterwesen galt als Musterabteilung. Davon kann derzeit keine Rede mehr sein, wenngleich niemand auf die Idee käme, die unübersichtlich wuchernde Affäre um den ehemaligen Schiedsrichter-Funktionär Manfred Amerell, 63, und den Referee-Aufsteiger Michael Kempter, 27, zum Maßstab eines allgemeinen Werturteils zu erheben.

Doch die hässliche, sehr private Auseinandersetzung zwischen den beiden Männern verdrängt im Moment jede andere Wahrnehmung der Verbandsarbeit. Umso mehr, da sie in den kommenden Wochen in aller Öffentlichkeit vor Gericht weitergehen wird. Die Verantwortlichen des DFB und vor allem sein allgegenwärtiger Präsident Theo Zwanziger haben sich in den Sog dieses chaotischen Konfliktes ziehen lassen, sie haben längst die Kontrolle über das Geschehen verloren.

Sie haben im frühen Stadium des Falls Position gegen den langjährigen Schiedsrichteraufseher Amerell und für den angeblich sexuell belästigten Kempter bezogen, doch inzwischen zeigt eine Fülle von Indizien an, dass diese resolute Parteinahme ein Fehler war. Mittlerweile ist klar, dass der DFB, voran sein agiler Präsident Zwanziger, den Fall anders hätte angehen müssen.

Er hätte dem Angeklagten Amerell gewähren müssen, was im Rechtsstaat unabdingbar ist: Das Recht auf Kenntnis der Vorwürfe und auf angemessene Verteidigung. Dass ihm der Jurist Zwanziger dieses Recht versagt hat, weil er den Fall als Verbandsverfahren führte, erweist sich nun als grober Fehler. Er hat sich damit selbst um die Informationen gebracht, die ihm eine differenziertere Betrachtung ermöglicht hätten. Jetzt nimmt Amerell rücksichtslos Rache, und er scheint die öffentliche Meinung auf seiner Seite zu haben, obwohl er dem Vorwurf der sexuellen Belästigung gegen Schutzbefohlene ausgesetzt ist.

Der beredte Zwanziger zieht jetzt Schweigen vor. Zu spät. Der Schaden ist angerichtet. Die Schiedsrichterei wird sich davon erholen, der Präsident womöglich nicht. Im April, so heißt es, will er vor einem außerordentlichen DFB-Bundestag die Vertrauensfrage stellen. Vorausgesetzt, er bleibt bis dahin im Amt.

© SZ vom 09.03.2010/jbe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: