Freiburgs Trainer Christian Streich:"Denksch'! Spielsch'! Übsch'!"

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Kauzig, schnörkellos, alemannisch und fußballbesessen bis an die Schmerzgrenze: Freiburgs Trainer Christian Streich hat aus einem sicheren Abstiegskandidaten wieder ein ambitioniertes Bundesliga-Team geformt. Nur eine Schlagzeile ärgert ihn: wenn geschrieben wird, er sei "der verrückteste Trainer der Liga".

Moritz Kielbassa

Aus seinem Eckbüro im zweiten Stock hat Dirk Dufner freie Sicht auf den Trainingsplatz des SC Freiburg. Von hier oben kann sich der Manager "köstlich amüsieren" über Alltagsszenen mit Christian Streich, der bei der Arbeit herrlich faucht, klatscht und herumdeutelt - ein Trainer, den die Branche, die so gerne in Rastern denkt, schon nach wenigen Wochen "zwischen Kult und Wahnsinn" einordnet, wie Dufner weiß, "obwohl ihm beides nicht gerecht wird". Mitten im Satz geht die Tür auf, und plötzlich steht er im Büro, dieser Streich, beginnt gleich einen Small Talk übers Training, und als ihm Dufner mitteilt, dass er alle Fernsehtermine für den Ostersonntag übernimmt, sagt Streich: "Gut, dass du das machst." Dann muss er da nicht hin.

Überraschungsmann der Bundesliga-Rückrunde: Freiburgs Trainer Christian Streich. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Die Bundesliga als Rummelplatz ist schön, aber anstrengend für einen wie Christian Streich, 46, Metzgersohn aus Eimeldingen bei Weil am Rhein im südwestlichsten Zipfel der Republik. Im Januar ist er auf diese Bühne gebeten worden, nach 17 Jahren beim SC, als Jugendcoach und Leiter der Fußballschule. Inzwischen ist er eine Attraktion der Liga, weil er so anders ist als herkömmliche Trainer: kauzig, schnörkellos, uninszeniert, fußballbesessen bis an die Schmerzgrenze. Streich hat das Freiburger Team, das dem Abstieg entgegentaumelte, auf erstaunliche Weise wiederbelebt, auch Fans und Stadt sind emotionalisiert wie zuletzt in Blütezeiten der Volker-Finke-Ära.

Streich, der "assimilierte Freiburger" - er kickte und studierte (Germanistik/Geschichte) hier schon -, kommt gut an beim bodenständig-intellektuellen Mischpublikum des SC, das den Fußball liebt, ihn aber nicht als ein Spiel auf Leben und Tod begreift, "zum Glück", sagt Streich. Vom letzten Platz ging es mit ihm zügig auf Rang 13, das Restprogramm macht Hoffnung, auch wenn Dufner vor dem Heimspiel gegen Nürnberg warnt, die "Riesenparty" könnte durchaus noch mit dem Abstieg enden.

Streich leugnet seine Schuld an dieser Entwicklung. Euphorie? "Haben wir nicht!" Emotionen freigesetzt? Die eigene Leidenschaft auf die verjüngte Mannschaft übertragen? Ich? Iwo! Streich verweist auf "die vielen Menschen, die sich einbringen". Auf das Trainerteam, das "mit drinhängt in der Nummer", auf die Mitarbeiter im Klub, die ein Grund waren, warum er nach schwerem Grübeln Ende Dezember den Trainerjob annahm - obwohl er mit dem Vorsatz ins Büro fuhr, abzusagen.

"In diese Gruppe von Menschen tauche ich ein", diese "Berührungspunkte" seien das Erfolgsgeheimnis, nicht er: "Die Leute in Freiburg sind nicht blöd, die spüren, was gerade passiert, und plötzlich sind es nicht nur elf auf dem Platz, die etwas miteinander zu tun haben, sondern ein paar Tausend im Stadion. Darum geht's! Mir ist wichtig, wenn die Leute sehen, dass sich auch die Ersatzspieler engagiert aufwärmen."

So denkt dieser Christian Streich.

Feindseelige Stimmung in Leverkusen

Seine Kennzeichen sind der angriffslustige, bohrende Blick und sein breites Alemannisch. Ohne den Dialekt wäre sich der Südbadener untreu. Streichs Ansichten über die Welt des Fußballs klingen ungewöhnlich. Er regt sich auf über Absurdes wie "Sechs-Punkte-Spiele" gegen direkte Konkurrenten ("ich spiele seit Jahren immer nur um drei"), und auf die plumpe Frage, ob man gegen den Letzten daheim gewinnen müsse, sagte er: "Sterben müssen wir!" Wer der Branche so ihre kultivierten Überzeichnungen vor Augen führt, gilt schnell als Sonderling. Ein Sieg gegen Nürnberg wäre der nächste Schritt zum Klassenerhalt? Man könnte einfach "ja" dazu sagen. Streich sagte: "Ich habe gelernt: Mit Konjunktiven ist es komisch. Es kann genau anders sein - und dann ist es Realität!"

Als er zuletzt in Leverkusen die feindselige Stimmung im Stadion gegen Trainer Robin Dutt, den früheren Klubkollegen, erlebte, ging Streich das sehr nahe: "Menschen sollen Menschen nicht verhöhnen", rügte er im Predigerton. Man kann den Standpunkt naiv finden oder großartig. Harald Schmidt, der Meister des Fernsehspotts, parodierte Streich in seiner Show als Gutmenschen. Die Badische Zeitung präsentiert Bonmots des Trainers unter der Rubrik "Streich der Woche". Über individuelle Bedürfnisse der Spieler erzählt er dort: "Der eine holt Kraft aus der Badewanne, der andere aus dem Gebet. Aber wenn der Trainer - könnt ja sein, weil er religiös ist - einen zwingen würde: Geh zum Bete, obwohl der Spieler partout nit in die Kirch' gehe will, dann kann der danach ja nit gut kicke!" - Gelächter im Raum - "Auf so was geh' ich ein! Des mein ich ernscht!"

Es kann sein, dass die Leute an schrulliges Kabarett denken, wenn Streich ein ehrliches Anliegen formuliert, der Grat ist schmal. Manches aber findet er selber lustig, wenn er's später sieht, zum Beispiel seinen Erlebnisbericht über Bundesligagucken als Betroffener: "Lautern gegen Köln - denksch': Unentschiede wär' gut. Beim nulleins denksch': au nit schlecht, Lautern null Punkte - oh, aber scheiße: Köln het drei! Dann gehsch' zur Toilette, schon führe de Mainzer in Schalke. Am beschte: Machsch' de Fernseher aus, schausch' de Tabelle nit an, bringt eh alles nix. Spielsch'! Übsch'!"

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Ein Überblick

Streich hat natürlichen Unterhaltungswert, er muss die Rampensau nicht mimen. Dufner findet: "Er ist so, wie er ist. Er hat sich nicht verändert, obwohl er jetzt im Fokus der Medien ist." Der Manager hält den Trainer für "komplett unabhängig", weil der sich nicht, wie so viele Kollegen, zweimal überlegt, was er sagt, weil er sich nicht hinter Phrasen versteckt aus Angst davor, fehlinterpretiert zu werden. Egal ist Streich seine Außenwirkung aber nicht. Er ärgerte sich über die Schlagzeile "Der verrückteste Trainer der Liga"; er findet es albern, dass sein tägliches zur-Arbeit-Radeln als exotisches Detail gilt - soll er das Auto nehmen für die 300 Meter nach Hause?

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Es beschäftigt ihn, nun eine öffentliche Person zu sein, mit konstruiertem Image. So, wie Finke in der Freiburger Idylle für seinen Brilli im Ohr und den Strandkorb stand, so könnte Streich für immer der Fahrradfahrer sein. Er selbst sieht sich als "ganz normaler Zeitgenosse": "Ohne Tattoo, ohne Piercing, und der hier", Streich zieht an seinem blauen Pullover: "79 Euro, nicht teuer, nicht billig - normal!"

Zur Normalität gehört auch Eitelkeit. Streich ist keineswegs widerwillig auf die große Bühne geschubst worden. Der Mainzer Trainer Thomas Tuchel kennt ihn von Duellen mit der A-Jugend, er preist Streich als den "besten Fußballausbilder in Deutschland". Mit der U19 des SC gewann Streich vier nationale Titel, so einer kennt seine fachlichen und intellektuellen Qualitäten: "Wir Trainer beim SC leiden, sage mer mol, nicht an Minderwertigkeitskomplexen." Streichs Beförderung lag schon früher nahe, doch auch vor dieser Saison entschied sich der Verein anders und offenkundig falsch - für U23-Trainer Marcus Sorg, der im Auftreten das Gegenteil war: ruhig, rhetorisch ein Mann für Standardsituationen.

War da nicht immer ein heimlicher Wunsch nach mehr Anerkennung? Hatte es Streich getroffen, zunächst nur Co-Trainer geblieben zu sein? Er wägt die Worte sorgfältig: "Wollen Sie eine emotionale Antwort? Ja, es kann sein, dass ich ein bisschen enttäuscht war."

"Intelligentes Verteidigen"

Streich, der Loyale, legt aber Wert darauf, dass er gut nachvollziehen konnte, warum Sorg den Vorzug erhielt: "Das war keine Boshaftigkeit, die kennen mich halt gut, mit mir ist es ja nicht immer einfach." Streich vermutet, dass sie sich Sorgen machten um sein Nervenkostüm, wie sehr ihn der Erstligazirkus emotional aufwühlen würde, er stellte sich diese Fragen ja selbst. Streich kommt den Leuten am Spielfeldrand oft mitgenommen und entrückt vor: "Schon komisch, wenn du dein verkrampftes Gesicht im Fernsehen siehst." Er ist jetzt glücklich mit dem neuen Job, er verliere keine Energie, sagt er. Aber ganz ehrlich: Könnte er das 15 Jahre machen? "Unvorstellbar", ruft er, "UN-vorstellbar - ich habe högschden Respekt vor Trainern, die da seit Jahrzehnten dabei sind."

Jetzt beweist sich auch Streich ganz oben, hebt Talente wie Schmid, Ginter, Sorg auf Erstligaformat. Sein Team verblüfft mit neuer Kompaktheit. Streich hält auch "intelligentes Verteidigen" für schönen Fußball, er gibt den Spielern einen taktischen Plan an die Hand und sie folgen ihm - in der Vorrunde klafften in der Defensive noch Lücken, in denen alle Fahrräder der Stadt hätten parken können. Vorne hat der SC inzwischen 16 verschiedene Saison-Torschützen, das kompensiert den Verlust von Torjäger Cissé.

Als der Verein in der Not im Winter überzeugt war, dass Streich der Richtige sei, kam auch List zur Anwendung. Es ist mehr als ein Gerücht, dass man den zur Absage Entschlossenen durch lancierte andere Trainernamen (Murat Yakin, Falko Götz) psychologisch reizen wollte. Die? Oje! Streich hört die Geschichte ungern, er findet, sie klinge "respektlos gegenüber diesen Kollegen". Als Cheftrainer hat er einen Vertrag bis 2014, aber er könnte sich jederzeit seine Aufgabe im Klub aussuchen. Er sagt: "Ich weiß nicht, was morgen ist. Wenn ich das wüsste, das wäre ja furchtbar."

© SZ vom 07.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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