Wintersport:Gutes Gefühl für Tempo und Höhe

Lesezeit: 4 min

Hoch hinaus: Muriel Mohr landete unlängst beim Slopestyle-Weltcup im Stubai auf Rang sieben und damit nur einen Platz hinter der Olympiasiegerin. (Foto: Patrick Steiner/Gepa Pictures/Imago)

Muriel Mohr vom Kirchheimer SC hat es schon mit 16 Jahren in die Weltspitze geschafft. Im Februar tritt die Slopestyle-Expertin bei der WM in Georgien an - wenn ihr Schuldirektor es erlaubt.

Von Thomas Becker

Die Sella Ronda ist toll, für Freunde des gepflegten Skilaufs die schönste Rundtour überhaupt. Rennfahrer muss nicht sein, wer die rund 40 Kilometer um den Südtiroler Sella-Stock an einem Skitag schaffen will, aber gut auf dem Ski sollte man schon stehen. Eher ungewöhnlich ist es, dass Eltern ihre Fünf- oder Sechsjährigen mitnehmen. So wie die Mohrs aus dem Münchner Osten. Wann und wo genau sie ihre ersten Rutscher auf Skiern gemacht hat, weiß Muriel Mohr gar nicht mehr, aber die Panorama-Tour in den Dolomiten ist ihr in Erinnerung geblieben. "Meine Eltern haben immer viel Action gemacht", sagt sie und zählt auf: Klettern, Mountainbiken, in den Herbstferien war die Familie gerade zwei Wochen Kiten in Brasilien. Wo diese frühkindliche Prägung hinführen kann? Nun, im Fall der 16-Jährigen vom Kirchheimer SC: in die Freeski-Weltspitze.

Was unlängst beim Weltcup-Auftakt am Stubaier Gletscher auf Rang sieben und damit nur einen Platz hinter der Olympiasiegerin endete, begann ganz harmlos: mit ein paar Hüpfern über den Pistenrand, immer dem Papa hinterher, wie das Tausende Eltern mit ihren Skizwergen tun. Manche schicken den Nachwuchs dann mal bei einem Reiseveranstalter mit, bei Muriel brachte ein solcher ihr im Kleinwalsertal bei, wie man Spaß im Freestyle-Park hat. Da war sie acht, wollte bald noch mehr Spaß, landete bei Tom Dötsch vom SC Miesbach, ein paar Jahre später auf einem Wettkampf der Junior Tour am Sudelfeld - und dort fiel sie den Scouts des Deutschen Skiverbands (DSV) auf.

Korbinian Resenberger , Teammanager der DSV-Freeskier, erinnert sich: "Sie war vielleicht zwölf, die Startnummer hing ihr bis zu den Skischuhen runter, aber sie ist schon ordentlich über die Kicker. Da hat sich schon gezeigt, dass sie keine Angst hat. Die Jüngeren landen oft noch auf dem Table, aber sie flog da schon mit einer guten Weite drüber." Durch die anderen Actionsportarten sowie zwölf Jahre Ballett habe Mohr von klein auf ein gutes Gefühl für Tempo gehabt und die Sprunghöhe gut einschätzen können. Relativ schnell habe man das Talent in den Nachwuchskader geholt - und nun in den LK 1, zu den Besten.

Muriel Mohr, 16. (Foto: Rolf Kosecki/Imago)

14 Jahre alt musste Mohr sein, um bei Fis-Wettkämpfen starten zu dürfen, schnell fuhr sie dort Podestplätze ein, wie auch in der nächsthöheren Wettkampfklasse, dem Europacup. Im März dieses Jahres dann das Weltcup-Debüt in Bakuriani, Georgien, wo sie gleich mal auf Rang vier sprang - so kann man mal einsteigen. Ach ja, zweifache Junioren-WM-Zweite ist sie auch noch geworden, 2021. Im Februar tritt sie nun, wieder in Bakuriani, bei der WM der Großen an - wenn Herr Martini nichts dagegen hat.

Markus Martini ist Oberstudiendirektor, Schulleiter des Gymnasiums in Ismaning und für die sportliche Karriere der Elftklässlerin Muriel Mohr ein ziemlich entscheidender Mann. Würde er keine Schulbefreiung gewähren, wäre die Saison der 16-Jährigen so gut wie vorbei. Aber so ist es ja nicht, wie Resenberger erklärt: "Sie bekommt frei für Lehrgänge, will aber unbedingt Abi machen. Das ist auch uns wichtig, denn mit unserer Sportart ist es nicht möglich, sein Leben durchzufinanzieren. Deshalb schauen wir, dass sie ihre Hausaufgaben macht, wenn wir auf Lehrgang sind. Aber das macht sie sehr pflichtbewusst. Die Muri weiß, was sie will, im Sport wie in der Schule."

Auf die spannenden Reisen zu den Weltcups nach Kanada und in die USA verzichtet sie - für das Abitur

Und so verzichtet der Teenager auf die spannenden Reisen zu den Weltcups nach Kanada und in die USA, selbst für einen Abstecher zum Big-Air-Weltcup in Chur reichte es zuletzt nicht, auch mit den renommierten Laax Open wird es nichts werden. So ein Wettkampf beginnt halt mit Anreise am Montag, Training am Dienstag und am Mittwoch, Qualifikation am Donnerstag oder Freitag und, wenn's gut geht, Finale am Samstag - da geht schon viel Schulstoff flöten. In der letzten Woche der Winterferien will sie beim Big-Air-Europacup in Les Arc starten, danach beim Weltcup in Font Romeu in den Pyrenäen, bevor es zur WM nach Georgien geht: "Das passt einigermaßen mit den Ferien", sagt sie. "Aber Wettkämpfe in Amerika: Das geht während der Schulzeit halt nicht."

Der DSV unterstützt ihren Karriereplan, will nichts überstürzen, auch wenn die Kader nicht gerade aus allen Nähten platzen. Bei den Damen landet noch Deliah Eichinger konstant zwischen Platz zehn und 15, bei den Männern sind mit Vincent Veile und David Zehentner zwei Drittel der Weltcupstarter außer Betrieb, der eine mit kaputtem Syndesmoseband, der andere mit gerissenem Kreuzband. "Das ist gerade extrem bitter", klagt Resenberger. Bleibt Jakob Gessner: "Der muss sich nicht verstecken, hat aber noch nicht so viel Erfahrung."

Die hat Muriel Mohr auch nicht, "aber für ihr Alter ist sie sehr abgebrüht", findet der Teammanager: "Für uns ist sie ein Rohdiamant. Die hat keine Angst, mit einer Olympiasiegerin wie Sarah Höfflin am Start zu stehen, findet das eher cool, scherzt mit denen, zieht aber im Contest ihr Ding durch, will zeigen, was sie kann, ist da sehr ehrgeizig." Mohr sagt über den Umgang mit den Stars der Szene: "Vor ein, zwei Jahren war das noch extrem aufregend, waren die alle so unerreichbar - jetzt sind wir im gleichen Starterfeld, und ich bin gar nicht so schlecht dabei. Das ist irgendwie so absurd, nicht real. Ich versuche nach und nach, das zu verstehen."

Wo das alles hinführen soll? "Olympia 2026 ist ja für die meisten ein Ziel", sagt sie, "und eine Einladung zu den X-Games wäre natürlich auch echt cool." Nun muss sie nur noch Direktor Martini erklären, was es damit auf sich hat.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: