Fußball:Die späte Chance von Ann-Kathrin Berger

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Erstes Länderspiel für die DFB-Auswahl mit 30 Jahren: Ann-Katrin Berger von Chelsea LFC. (Foto: Shaun Brooks/imago)

In der EM-Qualifikation gegen Irland soll Torhüterin Ann-Katrin Berger ihr Debüt in der deutschen Nationalmannschaft geben - mit 30 Jahren und nach einer Krebserkrankung.

Von Anna Dreher

Die Torhüterin Ann-Katrin Berger hat von Anfang an gewusst, was sie im Fußball wollte: Tore schießen. Also spielte sie im Sturm. Aber später, erinnert sie sich, sei sie fitter geworden und ins Mittelfeld gewechselt. Dann gab es diese eine Partie in der D-Jugend, bei der alle vor einer gegnerischen Angreiferin besonders Angst hatten. "Nur ich nicht wirklich", erzählt Berger, von Bildschirm zu Bildschirm. Also verteidigte sie und tat das so gut, dass sie in der Defensive blieb. Bis sie doch wieder Tore schießen wollte. Ein Hin und Her, das damit noch nicht vorbei war. "Mit 16 bin ich lauffaul geworden und nochmals gewachsen", erzählt Berger, 1,80 Meter groß. "Ich habe mir gedacht: Ich liebe den Fußball über alles, habe keine Angst - warum gehe ich nicht ins Tor?"

Und so war es früh ein etwas ungewöhnlicher Werdegang, der Berger nun zu einer der besten deutschen Torhüterinnen gemacht hat. Vom Weltverband Fifa wird sie gar für so gut befunden, dass sie 2020 bei der Wahl zur Welttorhüterin neben fünf Nationalkeeperinnen zu einer erlesenen Gruppe gehört. Als einzige ohne Länderspielerfahrung. Doch das wird sich ändern. Zum Abschluss der EM-Qualifikation gegen Irland in Dublin diesen Dienstag (18 Uhr, Sport1) soll Berger zu ihrem Debüt im deutschen Frauen-Nationalteam kommen. Mit 30 Jahren. "Sie ist ein spannender, in sich ruhender Typ und strahlt das auch im Tor aus", sagt Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg. "Sie hat immer mutige Entscheidungen getroffen. Nicht nur in sportlicher, sondern auch in privater Hinsicht, und einige Schicksalsschläge hinnehmen müssen. Das hat sie in vielen Bereichen geprägt."

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Berger durchlief nicht wie die meisten ihrer Mitspielerinnen eine Nachwuchsauswahl nach der anderen. Erst in der U19 durfte sie sich 2009 gegen Australien 45 Minuten lang zeigen. Ansonsten schien sie der DFB nicht im Blick zu haben. Bis der Interims-Bundestrainer Horst Hrubesch sie im November 2018 in den Kader der A-Nationalmannschaft berief. Im Frühjahr 2020 nominierte sie Voss-Tecklenburg für den Algarve-Cup und für eine Maßnahme im Herbst. Aber erst jetzt erhält Berger die Chance, sich wirklich zu beweisen.

"Ich habe mich früh bewusst von der Bundesliga distanziert, weil ich andere Kulturen kennenlernen wollte", sagt sie. "Damals wurde man in Deutschland stärker wahrgenommen als im Ausland. Aber ich wollte erst mal mein Ding machen." Das bedeutete für die Schwäbin: nach den Anfängen beim Zweitligisten VfL Sindelfingen und beim damaligen Meister 1. FFC Turbine Potsdam mit 23 zu Paris Saint-Germain zu gehen. Dort saß Berger viel auf der Bank. 2016 wechselte sie zu Birmingham City nach England, wo sie Stammkeeperin wurde. Ihr sportlicher Erfolg geriet ein Jahr später jedoch in den Hintergrund.

Im November 2017 erhielt Berger die Diagnose Schilddrüsenkrebs. Zwei Wochen später folgte die Operation. Danach wollte die damals 27-Jährige so schnell wie möglich wieder auf den Platz. "Ich war schon immer ein Kämpfertyp. Das hat mir sehr dabei geholfen, nach dem Krebs zurückzukommen", sagt Berger. "Es war ein sehr schwerer Weg. Ich habe erst jetzt richtig realisiert, was alles hätte schieflaufen können und was ich damals geleistet habe." Schon im Februar 2018 gibt sie ihr Comeback und wechselt ein Jahr später zum Top-Klub und damaligen Meister Chelsea LFC: "Das Bällefangen verlernt man in drei Monaten nicht. Ich habe mich nach dem überwundenen Krebs noch stärker gefühlt und den Fußball noch mehr in mich aufgesogen."

Inzwischen ist Berger die Nummer eins und gewann dieses Jahr die Meisterschaft. Zu dem hochkarätig besetzten Kader gehört seit Sommer auch die deutsche Nationalspielerin Melanie Leupolz. Nachdem Berger sich in London durchgesetzt hat, will sie mit Blick auf die EM 2022 in ihrer Wahlheimat auch fest zum Kreis der DFB-Auswahl gehören. Dazu müsste sie an Merle Frohms von Eintracht Frankfurt vorbei kommen. In der Liga zeigt zudem Laura Benkarth (FC Bayern) starke Leistungen. Und auch Almuth Schult (VfL Wolfsburg) will nach der Geburt ihrer Zwillinge zurückkommen. Der Konkurrenzkampf ist eröffnet. Und Ann-Katrin Berger fühlt sich mehr als bereit dafür.

© SZ vom 01.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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