Französische Liga:Jenseits der roten Linie

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Bilder, die sich in Frankreich zuletzt häufen: Sicherheitskräfte versuchen um sich schlagende Anhänger von SCO Angers und Olympique Marseille voneinander zu trennen. (Foto: Jeremias Gonzalez/dpa)

Der dritte Platzsturm innerhalb weniger Wochen wirft die Frage auf, wie man die Welle der Gewalt stoppen kann.

Von Stefan Galler

Die Situation ist eigentlich grotesk: Kaum sind die Stadien wieder für Zuschauer geöffnet, eskalieren französische Fußballanhänger vielerorts in einer Weise, wie es selbst im seit Jahrzehnten von Fan-Randale gebeutelten Land des Weltmeisters außergewöhnlich ist. Drei Platzstürme innerhalb weniger Wochen, dazu der Angriff von Montpellier-Hooligans auf einen Bus mit Bordeaux-Sympathisanten - die Gewaltspirale dreht sich schneller denn je. Und die nächsten Ausschreitungen kündigen sich an, wenn am 3. Oktober das emotionale Rhone-Derby zwischen St. Etienne und Lyon ansteht und in gut vier Wochen die Großklubs Marseille und Paris im Stadion Velodrome aufeinandertreffen.

Kritiker prangern längst die viel zu laschen Sicherheitsvorkehrungen in Frankreichs Stadien an, die sich auch in regelmäßigen Pyrotechnik-Orgien niederschlagen. Die nationale Sportministerin Roxana Maracineanu hatte bereits nach dem Abbruch des Südderbys Nizza gegen Marseille vor einem Monat klargestellt, dass "eine rote Linie überschritten" worden sei. Der Hauptaggressor, ein Nizza-Fan, wurde zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, davon sechs Monate ohne Bewährung. Nach den Vorfällen beim Nordderby zwischen Lens und Meister Lille müssen die Gastgeber drei Partien ohne Fans absolvieren, die Lillois dreimal auswärts auf eigenen Anhang verzichten. Doch das sind nur vorläufige Maßnahmen - das endgültige Urteil kommende Woche dürfte drastisch ausfallen.

Dass am Mittwochabend sogar ein eher beschaulicher Standort wie Angers Schauplatz von Auseinandersetzungen wurde, könnte dazu führen, dass die in der Vor-Corona-Zeit gängige Praxis wieder aufgegriffen wird, Risikospiele unter Ausschluss der Auswärtsfans auszutragen. Unter Beobachtung stehen jedoch auch die Spieler, die mit ihrem Verhalten oft Auslöser von Fan-Gewalt sind. So hatte Marseilles Hitzkopf Dimitri Payet mit dem Zurückwerfen einer Flasche in den Nizza-Fanblock den Platzsturm im August provoziert. Der damalige Lyon-Kapitän Nabil Fekir reizte beim 5:0 im Jahr 2017 die Fans des Erzrivalen St. Etienne derart, dass die Partie danach über eine halbe Stunde lang unterbrochen war. Dass sich die Spieler auch ohne Zuschauer nicht beherrschen können, zeigte auch die vergangene Geistersaison: Die Partien zwischen Paris und Marseille sowie Monaco und Lyon endeten in wüsten Massenrangeleien, es gab jeweils eine Flut an Platzverweisen, auch für PSG-Star Neymar, der mit seiner provokanten Spielweise immer wieder für Wirbel sorgt.

In Marseille, wo die Fans in der Vorsaison wegen anhaltender Erfolglosigkeit des Teams das Klubgelände stürmten, liegt eines der Epizentren der Gewalt. In Paris glaubt man das Hooligan-Problem dagegen im Griff zu haben. Zwar gilt der heute wichtigste PSG-Fanklub Collectif Ultras Paris (CUP) als emotional, Bengalos gehören auch hier zur Grundausstattung; die schlimmsten Zeiten aber sind 15 Jahre her. Damals zettelten Rechtsradikale in der Pariser Kurve immer wieder Randale an, was bei einem Uefa-Cup-Spiel gegen Hapoel Tel Aviv in einer Tragödie endete: Ein Polizist erschoss einen Hooligan, um einen französischen Juden zu schützen. Die Anwohner am Prinzenpark forderten die Auflösung des damals sportlich und wirtschaftlich erfolglosen Klubs.

Zu solch radikalen Maßnahmen wird es nun zwar nicht kommen. Ein Zeichen muss die französische Sportgerichtsbarkeit jedoch setzen, ehe die Gewalt erneut Menschenleben kostet.

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