Nun also ist es vorbei. Francesco Totti, 40, hat gegen Genua sein letztes Spiel gemacht, und damit endet eine Karriere, wie sie der Fußball noch nicht oft gesehen hat. Eine Karriere voller Tore, voller Rekorde und mit manch einem Titel. Aber vor allem: eine Karriere, die auch deshalb so einzigartig ist, weil Totti in 24 Jahren als Profifußballer nie den Klub gewechselt hat; weil er lieber Volksheld in Rom war als einer von vielen bei einem anderen Klub. Er selbst sagt: "Ich bin als Römer und als Roma-Fan geboren. Und so werde ich auch sterben."
Zum Abschluss warfen ihn seine Teamkameraden in die italienische Nacht. Beim Abschied AS Rom am Sonntag den direkten Platz in der Champions-League erkämpft. Das 3:2 (1:1) gegen Genua reichte, um Platz zwei in der Tabelle vor dem SSC Neapel zu halten, der zeitgleich mit 4:2 (2:0) bei Sampdoria Genua gewann. Das Stadio Olimpico war erstmals seit Monaten mit 70 000 Besuchern ausverkauft. "Der Moment ist gekommen", sagte Totti nach seinem emotionalen letzten Auftritt, "ich habe den ganzen Tag geweint. Dies war das einzige Trikot, das ich je getragen habe. Ich würde gerne noch 25 Jahre bleiben. Ich würde gerne ein Gedicht, ein Lied schreiben. Aber alles, was ich kann, ist meine Füße zu benutzen, um mich auszudrücken."
Schon als Kind schwärmt Totti für die AS Rom. Zwar wollen ihn Scouts zum Stadtrivalen Lazio locken. Doch Totti und seine Familie lehnen ab. Nach Stationen bei kleineren Klubs geht er 1989 zur Roma, knappe vier Jahre später gibt er sein Debüt in der Serie A, bei einem 2:0 gegen Brescia. Da ist Totti 16. Er überzeugt als hängende Spitze mit seiner Übersicht, seiner Technik, seiner Kreativität. Schon fünf Jahre später ist er Kapitän, spielt mit 22 erstmals in der Nationalelf.
Bei der EM 2000 gehört er zu den besten Spielern des Turniers. Lange hatte er sich angesichts starker Konkurrenz nicht in der Nationalmannschaft durchsetzen können, doch beim Turnier in den Niederlanden und Belgien profitiert er von einer Verletzung von Christian Vieri und verdrängt im Angriff zudem Alessandro Del Piero. In der Vorrunde trifft er gegen Belgien, später im Viertelfinale gegen Rumänien. Und im Halbfinale gegen die Niederlande verwandelt er im Elfmeterschießen einen seiner typischen gelupften Elfmeter, genannt cucchiaio. Erst im Finale verliert Italien nach Golden Goal gegen Frankreich, und es tröstet Totti nicht, dass er zum Spieler des Spiels gewählt wird.
Spätestens nach der EM wollen diverse europäische Klubs Totti verpflichten. Real Madrid soll an ihm interessiert sein, Manchester United, auch italienische Klubs wie Juventus, Inter oder Milan. Doch im Januar 2001 verlängert Totti seinen Vertrag in Rom um fünf Jahre, mit 7,5 Millionen Euro Gehalt pro Jahr ist er Italiens bestbezahlter Fußballer. Und nur wenige Monate später feiert er seinen bis dahin größten Erfolg: Mit der Roma wird er italienischer Meister - der erste Serie-A-Titel für den Klub seit 18 Jahren.
Zu Tottis Karriere gehören aber auch immer wieder Verhaltensauffälligkeiten auf und neben dem Platz. Bei der EM 2004 etwa gerät er mit dem Dänen Christian Poulsen aneinander, bespuckt ihn drei Mal. Die Folge: Totti wird für drei Spiele gesperrt und hätte erst wieder im Halbfinale antreten dürfen - doch bis dahin ist Italien schon ausgeschieden. Totti bittet hinterher um Entschuldigung, und die Art, wie seine Landsleute mit dem Vorfall umgehen, sagt viel über seinen Status als Volksheld aus. Er stiftet sein Trikot aus dem Spiel an die Muttergottes der Wallfahrtskirche Madonna del Divino Amore. Dort hängt es noch immer und zieht Besucher an, die es bewundern. Als Intellektueller geht Totti eher nicht durch. Als ein Reporter ihn einmal fragt, was er vom Motto "Carpe Diem" hält, antwortet er: "Ich spreche kein Englisch." Andererseits ist Totti selbstironisch - und klug - genug, drei Bücher mit Witzen über sich selbst zu verbreiten. Seiner Beliebtheit schadet das alles nicht, im Gegenteil.
Den größten Erfolg seiner Karriere erlebt Totti bei der WM 2006 in Deutschland. Erst im Februar hatte er sich das Wadenbein gebrochen, mehrere Bänder gerissen, sein Einsatz bei der WM geriet in Gefahr. Doch Trainer Marcelo Lippi nimmt ihn mit zu dem Turnier. Und wieder tritt Totti einen entscheidenden Elfmeter, diesmal im Achtelfinale gegen Australien. Erst nach 74 Minuten war er eingewechselt worden - dann schießt er in der Verlängerung das Siegtor.
Im Halbfinale gegen Deutschland spielt Totti stark, im Finale gegen Frankreich wird er hingegen nach gut einer Stunde und schwacher Leistung ausgewechselt. Doch weil seine Mitspieler später das Elfmeterschießen gewinnen, ist Totti nun: Weltmeister. Nach der WM kündigt er an, sich zunächst aus der Nationalmannschaft zurückziehen zu wollen, um seine Verletzung komplett auszukurieren. Doch das WM-Finale sollte sein letztes Spiel bleiben. 2007 beendet Totti offiziell seine Karriere in der Squadra Azzurra.
Das letzte Jahrzehnt in Tottis Profi-Karriere handelt vor allem von Rekorden. 2006/07 wird er Torschützenkönig der Serie A und gewinnt den Goldenen Schuh für Europas besten Torschützen. Zwar schwächelt die Roma in den folgenden Jahren, kann keine Titel mehr holen, wird 2012 gar nur Siebter in der Meisterschaft. Doch Totti schießt Jahr für Jahr derart viele Tore, dass er 2013 den zweiten Rang der ewigen Torjägerliste erreicht.
Was bleibt? Nicht nur der Selfie-Jubel, den er beim Stadt-Derby 2015 einführt. Sondern auch die Bilder und Erzählungen über einen Sportler, der in Rom wie kein anderer verehrt wird. Und die Bilder und Erzählungen einer Karriere, die der Fußball so wohl nicht nochmal erleben wird. Und, auch das: 613 Ligaspiele für die Roma und 250 Tore.