Formel 1:Zwei Wassereimer an den Ohren

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In Formel-1-Autos wirken enorme Kräfte auf den Körper, weshalb Michael Schumacher sich hartem Training unterziehen muss.

René Hofmann

"Ich habe Burger gegessen, bin in die Disco gegangen und habe Whiskey getrunken. Und trotzdem bin ich am nächsten Tag Rennen gefahren und habe einen guten Job gemacht - weil alle anderen es auch so gehalten haben."

Spiel der Kräfte: Michael Schumacher trainiert für sein Comeback. (Foto: Foto: Reuters)

Gerhard Berger hat zwischen 1984 und 1997 an 210 Formel-1-Rennen teilgenommen. Davon hat er zehn gewonnen. Weltmeister ist er nie gewesen. Der Österreicher ist trotzdem ein guter Kronzeuge, wenn es darum geht, wie sehr sich der Sport in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt hat. "Als ich anfing, drehte sich das Rennfahren um drei Dinge: Reflexe, Fahrgefühl und Mut", sagt Berger. Als er anfing, brüllten in der Formel 1 die Turbo-Motoren. Es gab spezielle Triebwerke für die Qualifikation und für das Rennen. Der Unterschied zwischen den beiden Spezifikationen? Bis zu 400 PS.

Das Rennfahren war damals vor allem eine Mutprobe. "Ein Gasstoß zu viel und du standest quer", hat Berger einmal der Stuttgarter Zeitung gesagt, "wer aber vom Gas ging, fiel ins Turboloch. Da hat man schnell mal eine Sekunde gutgemacht oder verloren. Heute dagegen geht es um Tausendstel. Da ist Detailarbeit gefragt. Mit Augen zu und durch gewinnt keiner mehr. Ich habe diese Veränderung schon während meiner Laufbahn gespürt. Der Sport hatte sich gewandelt, und nicht zu meinem Vorteil."

Fünf g beim Bremsen

Der Wandel begann in den achtziger Jahre. Als Niki Lauda sich 1981 nach einem Jahr zu einem Comeback entschloss, tüftelte der Fitness-Experte Willi Dungl ein sechswöchiges Trainingsprogramm aus, Nachtmärsche inklusive. Ayrton Senna, der 1984 in die Formel 1 kam, war der erste Pilot, der sich einen persönlichen Fitnesstrainer leistete. Als der Brasilianer in seinem Debütjahr nach dem Großen Preis von Kanada vor Erschöpfung kollabiert war, hatte er realisiert: Nicht nur die Formel-1-Maschinen brauchen Feinschliff. Auch die Piloten.

In den offenen Einsitzern wirken enorme Kräfte. In 2,5 Sekunden wird der Körper von 0 auf 100 km/h beschleunigt. In weniger als fünf Sekunden wird Tempo 200 erreicht. Der Bremsweg, um aus dieser Geschwindigkeit wieder zum Stehen zu kommen, beträgt nur gut 50 Meter. Bei solchen Vollbremsungen wirken Kräfte von bis zu fünfg auf den Fahrer. In schnellen Kurven zerrt die Fliehkraft seitlich ähnlich stark am Kopf. "Das ist, als hättest du zwei volle Wassereimer an den Ohren hängen", hat der Österreicher Alexander Wurz einst ein schönes Bild geprägt.

Härtetest für Rücken und Nacken

Mit einem Ausflug in einem normalen Auto hat eine Ausfahrt in einem Formel-1-Auto ungefähr so viel gemeinsam wie eine Urlaubsreise mit einer Expedition zum Mond. Damit die Bremsen der Rennwagen zupacken, wollen sie mit einem Gewicht von bis zu 70 Kilogramm getreten werden. Viel Platz, um dafür Schwung zu holen, haben die Piloten nicht. Die Cockpits sind eng und die Fahrer in den Sitzschalen so festgezurrt, dass sie nur schwer tief einatmen können. Die Fixierung führt dazu, dass sich die Muskeln schnell verspannen. Vor allem der Rücken und der Nacken gelten als Problemzonen.

Michael Schumacher hat das gemerkt, am Freitag, als er nach einem guten Jahr Pause wieder einmal in ein Formel-1- Auto kletterte, um sich auf seine Rolle als Ersatz für Felipe Massa vorzubereiten. Nach gut 65 Runden in einem zwei Jahre alten Wagen auf dem Kurs in Mugello, zog Schumachers Nacken so heftig, dass er das Training an den nächsten Tagen etwas ruhiger angehen musste. "Drei Kilogramm sind schon weg", verkündete er an diesem Dienstag stolz auf seiner Homepage, "nur mein Genick zwickt zugegebenermaßen etwas. Das müssen wir noch in den Griff kriegen." 16 Formel-1-Jahre gehen auch am Körper eines siebenmaligen Weltmeisters nicht spurlos vorüber. Seit Januar ist Schumacher 40 Jahre alt. Gut 15 Tage bleiben ihm noch, um sich auf das Rennen in Valencia vorzubereiten. Es ist ein Kampf gegen die Zeit, um den Kampf gegen die Zeit noch einmal aufnehmen zu können.

Fitness als wichtiger Faktor

"Je fitter du bist für die physischen Belastungen eines Rennens, desto besser für die Konzentration", hieß Schumachers Credo. In dem Rückblick, der zu seinem Karriere-Ende erschien, hat er es ausführlich beschrieben: "Es ist ein unschätzbaren Vorteil, an gewissen Punkten des Rennens noch genügend Freiheit und Kapazitäten für andere Dinge zu haben - Dinge wie die Boxenstopp-Strategie, wann man schnell fahren soll und wann man vielleicht die Reifen schonen sollte, wie man überholen kann, wo oder wann. Genau das macht den Unterschied aus im Rennen, wenn es schwierig wird."

Um diese Fähigkeiten zu schulen, absolvierte Schumacher wie Fußballer vor jeder Saison ein Aufbautraining von fünf bis sechs Stunden täglich. Hantelübungen, Boxen, Klettern, Radfahren, Fußball. Die Mischung hält den Reiz länger aufrecht und schärft die Sinne. Bis auf die Nackenmuskulatur wird beim Rennfahren keine Muskelgruppe besonders beansprucht. Es geht vor allem darum, sich jederzeit in Sekundenbruchteilen auf eine neue Situation einstellen zu können. Oft ließ Schumacher sogar ein mobiles Fitness-Studio an die Strecken bringen.

Verformte Organe

Zur Jahrtausendwende hatte die Fitness-Welle die ganze Serie erfasst. Beim britischen McLaren-Team gab es ein Human Performance Laboratory, in dem die Mediziner messen konnten, welchen Muskel David Coulthard und Mika Häkkinen exakt wie stark anspannten. Um Fehlbelastungen vorzubeugen, wurden gezielt Muskelgruppen zum Ausbalancieren trainiert und beispielsweise die Gas- und Bremspedale auf die orthopädischen Eigenheiten jedes Fußes abgestimmt.

"Wenn ich von Anfang an so gearbeitet hätte, hätte ich bestimmt mehr Siege eingefahren", bekannte Coulthard im Jahr 2001. Bei Michael Schumacher führte das intensive Training dazu, dass sein Puls im Rennen selten die Marke von 150 übersprang. Im Sommer 2002 absolvierte er in Mugello einen Testtag, an dem er ein Langzeit-EKG-Gerät trug. Nach einem Ausrutscher von der Strecke mit Tempo 220 schnellte sein Pulswert gerade einmal auf die 140er-Marke.

Vieles, was einem in einem Formel-1- Auto erwartet, lässt sich inzwischen simulieren. Für die Verformung der inneren Organe gilt das noch nicht. Viele Neueinsteiger, hat der Physiotherapeut Erwin Göllner erfahren, der einst Jacques Villeneuve betreute, leiden deshalb Tage nach der ersten Ausfahrt noch an Verdauungsstörungen.

© SZ vom 05.08.2009/jbe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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