Formel 1: WM-Titel für Sebastian Vettel:"Er wird ein paar Mal Champion werden"

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Hinter dem neuen Weltmeister Sebastian Vettel sind alle großen Formel-1-Rennställe her - vorerst bleibt er jedoch seinem Team treu.

Elmar Brümmer

Die Haube aus feuerfestem Material, Balaclava genannt, ist das, was einem Formel-1-Piloten am nächsten ist, wenn er Rennen fährt. Sie muss hauteng sitzen, aus Sicherheitsgründen. Für gewöhnlich ist es eine Qual, die Maske überzustülpen. In den entscheidenden Rennen auf dem Weg zum Titel als bisher jüngster Weltmeister aber hat Sebastian Vettel, 23, den Gesichtsschutz als Stimmungsaufheller benutzt, bevor er ins Cockpit stieg. Sein Renningenieur Guillaume Rocquelin hatte ihn, als das große Ziel im Frühherbst immer weiter weg rückte, gefragt: "Sag mir ein Wort, dass etwas beschreibt, dass dich glücklich macht und dir ein gutes Gefühl gibt." Vettel hat ein paar Tage überlegt und sich dann für "Monza" entschieden. Den Namen der Strecke, auf der er 2008 seinen ersten Grand Prix gewonnen hatte.

Sebastian Vettel wird in Salzburg von einer Blaskapelle empfangen. (Foto: REUTERS)

Monza ist das Herz des italienischen Motorsports, und dass Vettel diesen Motivationstrick ausgerechnet nach dem Abend preisgab, an dem Ferrari in Abu Dhabi sportlich gedemütigt wurde, entspricht seiner generellen Einschätzung der Geschehnisse am Sonntag: "Für mich war der Ausgang des Rennens auch so etwas wie Gerechtigkeit."

In der Boxengarage herrschte stundenlang Feierlaune, mit lautem Getöse wurde einer jener Renault-Motoren, der vor drei Wochen in Korea fast alle Träume zerstört hätte, bewusst überdreht. Eine typische Fahrerlager-Sitte, aber diesmal eine mit tieferer Bedeutung. Red Bull Racing konnte es sich als Sieger in beiden WM-Wertungen leisten, richtig aufzudrehen. "Wir machen nun das, für das wir berühmt sind: Party nämlich", stand in der Presse-Aussendung. Der AC/DC- Klassiker "TNT" sorgte früh für ausgelassene Stimmung, Sebastian Vettels Vater Norbert zeigte eine durchaus beachtliche Leistung an der Luftgitarre.

Nächste Woche Reifentests

"Es ist immer noch schwer, das Ganze zu begreifen und sich vorzustellen, dass es wirklich passiert ist", sagte Vettel junior mit einer Deutschland-Fahne um die Schultern. Der Feier war nur durch den frühen Flug zurück nach Europa ein zeitliches Limit gesetzt worden. Am Montagabend folgte im Salzburger "Hangar 7" die Fortsetzung, mit 1000 Red-Bull-Angestellten und einem Auftritt im Haussender "Servus TV". Nach einer Pressekonferenz am Dienstag geht es dann wieder zurück in die Wüste.

Vettel will sich auf vier Rädern austoben und mit dem österreichischen Motocross-Champion Heinz Kinigadner in den Sanddünen Quad fahren, bevor am Freitag und Samstag die ersten Reifentests für 2011 auf dem Yas Marina Circuit anstehen. So früh hat noch kein Champion die Strecke seines Triumphes wieder gesehen, aber die Karriere Vettels funktioniert nun einmal so: Er wechselt die Gänge so rasch wie ein Schnellschaltgetriebe. Der richtige Saisonabschluss findet für Deutschlands Formel-1-Weltmeister am übernächsten Wochenende beim "Race of Champions" in Düsseldorf statt, wo er an der Seite von Michael Schumacher den Nationen-Cup verteidigen will.

Beobachter im Fahrerlager von Abu Dhabi war Red-Bull-Konzernchef Dietrich Mateschitz, dessen Brausemarke vor zehn Jahren begonnen hatte, Vettel zu unterstützen. Für das Marketingsystem des österreichischen Multimilliardärs, das den Rennstall als Werbekolonne betreibt, ist der WM-Sieg die Bestätigung, dass sich Marken-Helden heranziehen lassen: "Er wird ein paar Mal Champion werden. Der Weg zum Weltmeistertitel führt in den nächsten Jahren sicherlich über Sebastian, vorausgesetzt, er sitzt im richtigen Auto. Wir werden uns bemühen, ihm dieses Auto zu geben", sagte Mateschitz. Vettels Vertrag läuft zunächst bis Ende 2011. McLaren ist ebenso wie Ferrari hinter ihm her, und Mercedes dürfte dem perspektivisch nicht nach- stehen, auch wenn Vettel aus der Formel BMW in die Königsklasse kam.

Red-Bull-Teambesitzer Dietrich Mateschitz (links) mit Weltmeister Vettel. (Foto: Getty Images)

Immer noch vertraut Vettel lieber auf sich selbst als auf einen Manager, und nach dem für ihn schwierigsten Moment der Saison, als er im September in Belgien dem Rivalen Jenson Button überehrgeizig ins Auto gekracht war, sah er sich in seiner Einsiedelei bestätigt, wie er nach dem Finalsieg betont hat: "Das war nicht einfach, ich wurde massiv kritisiert. Aber das war der Moment, in dem ich gemerkt habe, auf wen ich bauen kann. Und nur noch in diese Menschen habe ich meine Energie investiert." Er meint seine Familie, seine Freundin, seine Sprecherin Britta Roeske und die Ingenieure im Team.

Selbst die britisch-österreichische Rennmannschaft war lange gespalten. Vettels Außenseitersieg und der enttäuschende achte Rang von Mark Webber im letzten Rennen der Saison machen die Nummer-Eins-Diskussion bis auf Weiteres überflüssig. Vettel ist nun der Boss im Team, beflügelt in seinem Ego, verstärkt durch den Rennverlauf: "Ich habe auf das Wichtigste gehört, auf mich selbst." Die Marktwertsteigerung bei einem geschätzten Jahresgehalt von zwölf Millionen Euro dürfte nicht lange auf sich warten lassen.

Sebastian Vettel taugt nicht zum Schauspieler, er hatte nicht geprobt, mit der Emotionalität des unverhofften Moments umzugehen. Richtig feucht wurden seine Augen, als er an den Red-Bull-Mitarbeiter dachte, der alle Weltmeister seit 1950 auswendig auf- sagen kann: "Zusammen mit Ayrton Senna und Michael Schumacher in so einer Liste geführt zu werden, das ist einfach ..." Vettel brachte den Satz nicht zu Ende. Seine Stimme klang plötzlich so tief, als wäre er rasend schnell erwachsen geworden.

© SZ vom 16.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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