Formel 1:Verstappen pflügt durch die Pfützen

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Überholmanöver kurz nach dem Start: Max Verstappen (rechts) zieht an Weltmeister Lewis Hamilton vorbei. (Foto: Getty Images)

Während die Konkurrenz bei strömendem Regen ins Schlingern gerät, nutzt Max Verstappen seine Chance und siegt in Imola. Lewis Hamilton rammt seine Front in die Bande - profitiert aber von einer Rennunterbrechung.

Von Philipp Schneider, Imola/München

Nanu? War das eine optische Täuschung? Die Front, die dort in der Bande steckte, sie sah verdächtig aus wie die eines Mercedes. Schwarz wie die Nacht, schlank und elegant. Und der Helm? Wenn der Eindruck nicht täuschte, dann war das ... aber ja, doch! Es war der von Lewis Hamilton. Durchaus ungewohnte Szenen spielten sich ab am Sonntag auf der Strecke von Imola, 32 Runden waren gefahren. Und nun fummelte Hamilton tatsächlich nach dem Rückwärtsgang, irgendwann erwischte er ihn, dann tuckerte er in seinem Weltmeisterauto mit dem Heck voran durchs Kiesbett.

Lange nicht gesehen, so einen Fehler des siebenmaligen Weltmeisters. Vielleicht noch nie? Beim Versuch, ein paar Autos zu überrunden, war er mit Trockenreifen auf der noch immer leicht feuchten Fahrbahn in der Tosa-Kurve geradeaus gefahren. Auf Platz neun sortierte er sich nach diesem Ausritt wieder ein. Weil George Russell kurz darauf noch mit Hamiltons Teamkollegen heftig kollidierte, weshalb überall Karbonteile verstreut lagen, wurde das Rennen unterbrochen. Aber nach diesem Fehler von Hamilton ließ sich Max Verstappen diesen Rennsieg nicht mehr nehmen - der ihm, seriös eingeschätzt, auch so nicht mehr entrissen worden wäre. Und das war vielleicht noch die größere Nachricht als dieser Fahrfehler Hamiltons. "Das war nicht mein allerbester Tag, nach langer Zeit habe ich wieder einen Fehler gemacht", sagte Hamilton später.

Verstappen in der Formel 1
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Max Verstappen galt in der Formel 1 bislang als großes, aber auch rücksichtsloses Talent. Nun erstaunt er mit leisen Tönen - und könnte Lewis Hamilton gefährlich werden.

Von Philipp Schneider

Verstappen gewann den zweiten Saisonlauf in der Emilia Romagna. Vor Hamilton, der sich tatsächlich noch als Zweiter aufs Treppchen schleppte. Weil er ja doch mit einer unfasslichen fahrerischen Begnadung gesegnet ist, und weil er von der Rennunterbrechung profitierte. Dritter wurde Lando Norris im McLaren. Damit sind Verstappen und Hamilton in der Gesamtwertung fast gleichauf, dank seiner schnellsten Rennrunde liegt der Brite noch mit einem Punkt vorne. Sebastian Vettel, der aus der Box starten musste, nachdem auf dem Weg in die Startaufstellung seine Bremsen überhitzten, sah die Zielflagge nicht, weil in der letzten Runde sein Getriebe streikte. Mick Schumacher, als 17. gestartet, kam als 16. an.

Wasser spritzte vom Asphalt, keine Tröpfchen, ganze Wasserlachen flogen durch die Luft

Dass der 23-jährige Verstappen gnadenlos talentiert ist, das wusste man vorher. Auch, dass sich seine Klasse unter schwierigen Bedingungen wie unter dem Brennglas zeigt - insbesondere, wenn es regnet. Am Sonntag waren 16 Runden gefahren, als Verstappen einen Funkspruch absetzte, der mancherorts für Staunen sorgte. Überall spritzte Wasser vom Asphalt, keine Tröpfchen, ganze Wasserlachen standen in der Luft. Die Bordkameras fingen gerade die Hinterteile von Rennwagen ein, die in der Gischt verschwanden wie in einer Nebelwand. Nicholas Latifi war bereits in die Mauer gerammt, Schumacher in die Bande, und Carlos Sainz hatte sich von der Strecke gedreht. Kurz gesagt: Es herrschte ein außerordentliches Mistwetter in Imola, als sich der Führende Verstappen mit einer Frage bei seinem Team meldete: Ob denn nicht allmählich die Zeit gekommen sei, um auf Trockenreifen zu wechseln?

Es kommt halt gerade einiges zusammen bei Verstappen: Er sitzt im besten Auto, es regnet, er hält sich für unschlagbar.

Die Pole Position hatte sich Hamilton gesichert, zu seiner eigenen Überraschung und auch der von Red Bull. Aber die Autos des österreichischen Limonaden-Moguls Dietrich Mateschitz waren trotzdem im strategischen Vorteil: Sie parkten gleich hinter Hamilton auf Platz zwei und drei, erstaunlicherweise war Sergio Perez vor Verstappen.

Es kommt gerade einiges zusammen für Max Verstappen: Er sitzt im besten Auto, es regnet, er hält sich für unbesiegbar. (Foto: Mark Thompson/Getty)

Die Ampeln gingen aus - und Verstappen pflügte durch die Pfützen, als würden andere Bedingungen für ihn gelten als für alle anderen. Er flog zunächst vorbei an Perez. Hamilton kam pomadig aus der Startbucht, er zog nach rechts, um Perez den Weg zu versperren. So aber öffnete er seine linke Flanke, durch die nun Verstappen stach, als reite er eine Rakete. In der Tamburello-Schikane schob er sich auf rustikal-niederländische Art vorbei an Hamilton. Der probierte den Konter, die Autos berührten sich, Hamilton verlor Teile seines Frontflügels.

Die meteorologischen Bedingungen brachten knifflige Herausforderungen hervor, Latifi krachte mit seinem Williams in die Mauer. Das Safety-Car rückte aus. Und dann, beim langsamen Tuckern, erwischte es Mick Schumacher, der eigentlich stark gestartet und sogar bis auf Platz 15 vorgeschwommen war - Vettel und Fernando Alonso jedenfalls sahen ihn von hinten. Dann aber: ein Patzer beim Aufwärmen der Reifen. Schumacher warf seinen Haas etwas zu dynamisch von links nach rechts. Anfängerfehler. Er verlor die Kontrolle, rammte seine Front in die Bande. Dabei demolierte er seinen Flügel. Zur Reparatur konnte er auch nicht sofort fahren, weil die Box wegen umherliegender Trümmerteile von Latifi geschlossen war. Und als die Box wieder geöffnet wurde, verließ das Safety Car die Strecke und alle anderen durften beschleunigen. Das war Anfängerpech. Nach acht Runden war Vettel 17., Schumacher Letzter - mit 24 Sekunden Rückstand auf Teamkollege Masepin.

Nach 27 Umdrehungen wechselte Verstappen auf Trockenreifen - und fuhr Richtung Sieg

Nach dem Wiederstart griff Hamilton sogleich Verstappen an, der Niederländer fuhr aber Kampflinie in der Tamburello. Etwas befreiend war für Hamilton, dass nun hinter ihm Charles Leclerc im Ferrari rollte, der es nach dem Start an Perez vorbeigeschafft hatte. Als dann aber der Mexikaner auch noch eine Zehn-Sekunden-Strafe erhielt, weil er während der Safety-Car-Phase überholt hatte, war der strategische Start-Vorteil von Red Bull gänzlich verzockt.

Nach einem Drittel der Distanz traute sich Vettel als Erster auf Trockenreifen. Wer nichts mehr zu verlieren hat, kann schon mal etwas wagen. Er rutschte und rutschte, verlor aber nicht die Kontrolle. Und nachdem er bereits gestoppt hatte, brummten ihm die Kommissare eine Zehn-Sekunden-Strafe auf, weil er fünf Minuten vor Start noch nicht die Gummis ans Auto gezogen hatte.

Nach 27 Umdrehungen wechselte Verstappen auf Trockenreifen. An Vettels Zeiten war nun erstmals abzulesen gewesen, dass er darauf im Vorteil war. Hamilton blieb zunächst draußen, ihm gelang aber keine perfekte Runde; und als er nach seinem Stopp und mit Trockenreifen zurück auf die Strecke rollte, war ihm Verstappen fast sechs Sekunden enteilt. Es hätte womöglich auch so gereicht für ihn - doch dann flog Hamilton auch noch ab. Nur, weil Bottas und Russell einen heftigen Crash aufführten, das Rennen unterbrochen wurde, konnte Hamilton ganz in Ruhe sein Auto reparieren lassen und den Anschluss an die Führenden wieder herstellen. So hatte er sogar noch die Chance auf eine Aufholjagd. Er nutzte sie. Und wie. Neun Runden vor Schluss schnappte er sich Leclerc im Ferrari, drei Runden vor Schluss auch Norris. Glück, ja. Vielleicht das Glück des Tüchtigen. Aber trotzdem: Was für ein Glück!

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