Sprintrennen statt Qualifikation:Die Formel 1 wagt mehr Zufall

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Einseitigkeit beim Auftakt: Vier Alfa Romeos parken ganz vorne beim ersten Formel-1-Rennen der Geschichte 1950 in Silverstone. (Foto: Motorsport Images/imago)

An drei Renn-Samstagen wird anstelle der Qualifikation ein Sprintrennen veranstaltet. Es ist der nächste Versuch in der Königsklasse, die Dominanz der Schnellsten zu brechen. Eine tolle Sache?

Von Philipp Schneider, München

Meist braucht es ja erst eine gute Idee, bevor die Dinge ins Rollen geraten. Der Engländer Maurice Geoghegan hatte so eine, als er zwei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ahnte, dass der alte Militärflughafen in Silverstone nicht mehr länger benötigt wurde, um Bomberstaffeln zu beherbergen, die sich zuvor aufgemacht hatten, um über Nazi-Deutschland ihre tödliche Last abzuwerfen. Geoghegan jedenfalls, der in der Nähe wohnte, rollte eines Tages auf die Startbahn mit seinem Auto, um diesem, einem Frazer Nash, mal so richtig die Grenzen aufzuzeigen. Irgendwann erzählte er seinen Motorsportfreunden in einer Kneipe von seinen heimlichen Ausfahrten auf dem Airfield. Und nach einigen Bieren waren sich alle sofort und grundsätzlich einig, dass in Silverstone Rennen veranstaltet werden sollten, um der Langeweile in West Northamptonshire zu entfliehen.

Drei Jahre später, am 13. Mai 1950, versammelten sich an gleicher Stelle 21 tollkühne Piloten, um das erste offizielle Formel-1-Rennen der Geschichte zu bestreiten. Übrigens an einem Samstag, weil King George VI. am heiligen Sonntag keine Achtzylinder knattern hören wollte. Und als es losging, da parkten tatsächlich vier Männer nebeneinander in der ersten Startreihe: Giuseppe Farina, Juan Manual Fangio, Luigi Fagioli und Reg Parnell. Sie alle saßen in einem damals völlig überlegenen Alfa Romeo 158, der sie in die beliebteste Parkposition geschuckelt hatte und dann später konsequent in der Reihenfolge Farina, Fagioli, Parnell auch aufs Podium kutschierte.

Und so kam es, dass sich die Formel 1 schon in ihrer Geburtsstunde mit einem Problem konfrontiert sah, das sie in den 71 Jahren, die folgten, trotz einiger interessanter Experimente nicht lösen konnte: Wie lässt sich die Dominanz der Schnellsten an einem Renn-Wochenende brechen? Ein kleines bisschen zumindest?

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Sebastian Vettel beäugt die Revolution skeptisch

Nun gibt es wieder eine Idee gegen die Langeweile; wenngleich fraglich bleibt, ob diese an die Exzellenz jener von Maurice Geoghegan heranreicht. Am Montag haben der Automobilweltverband Fia, die Formel 1 sowie sämtliche Formel-1-Teams einstimmig einer Versuchsapparatur zugestimmt, der sie offenbar mit so viel Skepsis begegnen, dass sie in den verbliebenen 21 Rennen in dieser Saison lediglich dreimal zum Brodeln gebracht werden soll: Anstelle der samstäglichen Qualifikation soll ein sogenanntes Sprintrennen veranstaltet werden.

Die erprobte, bewährte und in dieser Form seit 2006 praktizierte Zeitenjagd verschwindet deshalb nicht - sie wird auf den Freitagnachmittag vorgezogen. Diese Qualifikation entscheidet nun aber über die Startreihenfolge für das Sprintrennen am Samstag über gut 100 km, dessen Ausgang wiederum maßgeblich ist für die Startaufstellung des eigentlichen Rennens am Sonntag über mehr als 300 km. Es gibt am Samstag sogar etwas zu gewinnen außer Startplätzen: Die schnellsten Drei erhalten drei, zwei und einen WM-Punkt. Der seit diesem Jahr neue Formel-1-Boss Stefano Domenicali freut sich bereits auf einen "dreitägigen Kampf, den die Fahrer sicherlich genießen werden". Tolle Sache?

Sebastian Vettel, der sich zu den Traditionalisten im Fahrerlager zählt, war vor Saisonstart skeptisch, als sich die Revolution bereits abzeichnete: "Wieso sollte man ein Vor-Finale zum eigentlichen Grand Prix einführen? Was soll das bringen?", fragte er. Das sei Kosmetik, die die eigentlichen Probleme überdecke: insbesondere das unterschiedlich wertige Material der Fahrer. Ähnlich sah das Max Verstappen: "Wenn das Feld eng zusammenliegt, brauchen wir keine Sprintrennen", sagte er. Womit er meinte: Wenn die Formel 1 doch gerade sowieso mit neuen Regeln und der Budgetdeckelung auf mehr Chancengleichheit hinsteuert - wozu muss man dann noch mit der guten, alten Samstagstradition brechen? Am pointiertesten brachte Günther Steiner seine Kritik auf den Punkt, Mick Schumachers Chef beim kleinen Rennstall Haas: "Wenn am Samstag der Hamilton vor dem Verstappen gewinnt, wird das am Sonntag nicht anders sein. Es dauert nur drei Mal so lang, das herauszufinden."

Bloß nicht das teure Material schrotten!

Dass die Teams dem neuen Format zustimmten, dürfte damit zu tun haben, dass sie weit größeres Ungemach verhindern wollten: Zur Diskussion stand auch ein Sprintrennen mit umgekehrter Start-Reihenfolge. Der WM-Spitzenreiter wäre von ganz hinten losgerollt, der Letzte der Fahrerwertung von der Pole Position. Ein Sakrileg! Zumindest aus Sicht von Motorsportpuristen. Jetzt ist es so: Die schnellsten Autos werden weiterhin ganz vorne parken, allerdings schon am Samstag. Und hinter ihnen könnte sich eine zähe Prozession entwickeln, in der es den Piloten vor allem darum geht, bloß nicht ihr teures Material zu schrotten oder den Startplatz fürs Rennen zu riskieren.

Um zu verhindern, dass ein Sprintrennen zur großen Schleichfahrt wird, sind als Orte der drei Versuchsapparaturen die Strecken in Silverstone, Monza und Interlagos angedacht - eben weil es sich dort vergleichsweise einfach überholen lässt. Die Hoffnung lautet, dass Zufall und Renngeschehen das Feld durcheinanderwirbeln.

Andererseits ist es so, dass die Formel 1 beim bislang letzten Versuch, mehr Action ins Wochenende zu bringen, krachend gescheitert ist. Vor fünf Jahren probte sie ein Verfahren, in dem während der Qualifikation im 90-Sekunden-Takt nach und nach der jeweils Langsamste ausschied. Dies führte dazu, dass zum Auftakt der Qualifikation alle Fahrer so schnell wie möglich eine gute Zeit setzen wollten. Vor der Ampel am Ende der Boxengasse baute sich eine Schlange auf wie vor der Kasse am Supermarkt - und die Zuschauer interessierten sich plötzlich für die Langsamsten, nicht mehr für die Schnellsten. Nach nur zwei Rennen wurde die Farce beendet, die Formel 1 kehrte zurück zum bewährten Modus.

Mal sehen, ob die nächste Revolution den ersten Windstoß überlebt.

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