Sieben Kurven der Formel 1:Das Herz von Lando Norris bricht

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Glücklicher Sieger, trauriger Verlierer: Lewis Hamilton (links) und Lando Norris. (Foto: Pool/Getty Images)

Der Brite fährt brillant, aber nur, bis es regnet. Max Verstappen muss sehr breit grinsen - und Lewis Hamilton schafft einen "magischen Moment". Die Höhepunkte des Formel-1-Wochenendes.

Von Elmar Brümmer, Sotschi

Lewis Hamilton

(Foto: Yuri Kochetkov/AP)

Nein, die erste Aufforderung vom Mercedes-Kommandostand, lieber zu einem Sicherheitsstopp in die Box zu kommen, ignorierte auch Lewis Hamilton. Zu nah war er dem Spitzenreiter Lando Norris kurz vor Schluss des russischen Grand Prix gekommen, der bislang ja immer mit einem Mercedes-Sieg geendet hatte. Doch der Regen wurde immer stärker, die Vernunft beim Rekordweltmeister auch. Er folgte dem Instinkt und der nächsten Anordnung, was dem 36-Jährigen zwei Bestmarken sicherte, die zuvor noch kein Formel-1-Pilot erreichen konnte: 100 Grand-Prix-Siege, dazu noch die Bestmarke von 4000 Punkten durchstoßen.

Die zurückeroberte WM-Führung ist angesichts von zwei Zählern Vorsprung demgegenüber sogar zu vernachlässigen. Hamilton, seit Mitte Juli sieglos, hatte schon nicht mehr richtig daran glauben wollen: "Es ist ein magischer Moment. Ich hätte nie davon zu träumen gewagt, in einer so späten Phase meiner Karriere noch einmal gegen ein solches Talent zu fahren." Das bezog sich nicht auf seinen Titel-Widersacher Verstappen, sondern auf den Landsmann Lando Norris, den er nach dem verpassten Debütsieg zur Seite nahm: "Deine Chance wird kommen."

Lando Norris

(Foto: Pool/Getty)

Er lacht, und wischt sich dabei eine Träne aus den Augen. Auf Social Media zeigt sich Lando Norris mit hochgeschlagenem Kragen und tief ins Gesicht gezogener Kappe, ins Leere starrend. Selbst das sonst so fröhliche Papaya-Orange der McLaren-Teamkleidung kann die Stimmung nicht aufhellen. Unter dem Bild steht nur: "Mit gebrochenem Herzen." Nur einen Schauer entfernt war der Brite von seinem ersten Formel-1-Sieg, mit nur 21 Jahren. Ein Vorgeschmack darauf hatte ihm schon der Gewinn der Pole-Position unter den launischen Bedingungen in Sotschi gegeben. Sein Rennen verlief ähnlich brillant, bis der Regen einsetzte.

Lewis Hamilton hinter sich wissend, verweigerte der Spitzenreiter zweimal einen Wechsel auf Allwetter-Reifen. Er schlitterte schon, aber er hoffte auch. Hamilton verweigerte aus ähnlichen Gründen den Sicherheitsstopp, ließ sich dann aber von der Mercedes-Box überzeugen. McLaren verließ sich auf das Urteil des Fahrers, Norris wurde zur leichten Beute, als er reinkam, war es zu spät. Platz sieben für den Mann, der über 30 Runden lang wie der sichere Sieger ausgesehen hatte. Sein deutscher Teamchef Andreas Seidl hatte Mitleid: "Man muss Lando verstehen. Er hatte den Sieg vor Augen." Und wollte zu viel.

Max Verstappen

(Foto: Pool/Getty)

Der Zweite gilt in der Gnadenlosigkeit der Formel 1 meistens als der erste Verlierer. Bei Max Verstappen in Sotschi greift die Branchenweisheit nicht. Durch den Wechsel auf seinen vierten Motor in dieser Saison war der Niederländer ganz nach hinten verbannt worden, und schon im Trockenen arbeitete er sich ordentlich wieder nach vorn. Hamiltons Vorsprung in der Gesamtwertung nicht zu groß werden zu lassen, das war das Ziel. Zwischenzeitlich hatte sich der 23-Jährige schon mit Rang sieben abgefunden.

Als einer der Ersten erkannte er dann, dass der Regen stärker wurde und ließ Allwetter-Reifen aufziehen. Das spülte ihn auf Platz zwei nach vorn und brachte sein breites Grinsen hervor: "Als ich am Morgen aus dem Bett gestiegen bin, hätte ich dieses Resultat definitiv nicht erwartet. Mit so einer Strafe nur einen Platz zu verlieren, das ist nicht schlecht." Das ist vor allem untertrieben: Auf den beiden Pisten, auf denen Mercedes hoch favorisiert ist, konnte Gegenspieler Lewis Hamilton insgesamt nur fünf Punkte auf Verstappen gut machen, führt nun sieben Rennen vor Saisonende mit nur zwei Zählern. "Es ist wie ein Sieg für uns", bestätigt Red-Bull-Teamchef Christian Horner, "das macht sehr viel Mut."

Mick Schumacher

(Foto: Alexander Nemenov/AFP)

Vier Sekunden schneller gegenüber dem Teamkollegen in einem Formel-1-Qualifying zu sein, das ist schon was. Die chaotischen Bedingungen, die in Sotschi schon am Samstag herrschten, gelten dabei nicht als Entschuldigung - sondern kamen noch erschwerend hinzu. Startplatz 14 war der Lohn für Mick Schumacher. Dann lief es aber genau andersherum, schnell fand sich der Haas-Pilot ganz hinten wieder, sein interner Widersacher Nikita Masepin war weit nach vorn gespült worden. Doch der 22-Jährige, der gerade seinen Vertrag verlängert hat, kämpfte sich zurück.

Gerade, als es so richtig gut lief, Masepin hatte er bereits wieder hinter sich gelassen, versagte die Hydraulik. Der erste Ausfall für ihn im 14. Formel-1-Rennen. "Zu diesem Zeitpunkt waren wir gut dabei im Tempo. Der Einzige, der da gerade schneller war, war Lewis Hamilton", freute sich der Ferrari-Junior, "wir nehmen viel Positives mit von hier. Das ist ein Lichtlein am Ende des Tunnels." Für Situationen wie diese hat sich der überaus zuvorkommende Sohn des deutschen Rekordchampions eine neue Strategie überlegt: Bevor er über den Boxenfunk schimpft, mache er lieber gleich Piepgeräusche - was sonst die Zensoren der politisch korrekten TV-Produktionsfirma übernehmen.

Sebastian Vettel

(Foto: Peter Fox/Getty)

Wenn Fernseh-Interviews, in denen Sebastian Vettel sein Rennen bilanzieren soll, mit einem fast jämmerlichen "Jöh" beginnen, dann ist die Gemütslage des Heppenheimers genau mit diesem einen Wort perfekt beschrieben. Nachfragen lohnt da meist nicht mehr. Als Zehnter gestartet, Zwölfter geworden, zum dritten Mal in Serie keine WM-Punkte geholt. Niemandsland heißt diese unangenehme Region in der Formel-1-Tabelle. Dabei hatte es in der Schlussphase, als noch alles regulär ablief, noch besser ausgesehen. Dass ihn aber der Teamkollege Lance Stroll dann - unbeabsichtigt - fast in die Mauer gedrängt hatte, dass im Regenchaos der Reifenwechsel falsch terminiert wurde, das alles zeigt, warum die erste Saison von Vettel bei Aston Martin als Übergangsjahr tituliert worden war.

"Heute ist das Risiko belohnt worden, leider nicht in unsere Richtung", sagt der 34-Jährige über den Großen Preis von Russland. Der Hesse, der gerade seinen Vertrag verlängert hat, muss jetzt auf seinen neuen Chef setzen: Martin Whitmarsh, der früher bei McLaren das Kommando hatte und Lewis Hamilton zum Champion formte, kehrt mit 63 nochmal ins große Renngeschäft zurück.

Carlos Sainz

(Foto: Yuri Kochetkov/AFP)

Endlich da, wo er sich selbst sieht: ganz vorn in der Formel 1. Er habe bislang in jeder Serie, in der er gefahren sei, gewonnen, sagt Carlos Sainz jr. In der Königsklasse wartet der 27-Jährige seit 134 Rennen auf diesen Erfolg, das muss an einem derart selbstbewussten Rennfahrer wie ihm ordentlich nagen. Die ersten 14 Runden von Sotschi, nachdem er seinem Kumpel Lando Norris am Start die Führung abgenommen hatte, obwohl er von der schmutzigen Seite der Bahn starten musste, waren daher die wohl schönsten in seiner ersten Ferrari-Saison.

Am Ende schaffte er es auf Rang drei, sein erst fünftes Formel-1-Podium in sieben Rennjahren. "Das tut gut", gesteht Sainz, "vor allem, nachdem ich zwischendrin dachte, dass wieder alles gegen mich läuft." Er brauche gute Momente wie diese, sagt der Spanier: "Es ist mein bisher bestes Wochenende für Ferrari gewesen. Bisher war es kein einfaches Jahr für mich mit der Umstellung auf ein komplett neues Team, ein ganz anderes Auto."

Toto Wolff

(Foto: Pool/Getty)

Wie kritisch es während eines Rennens tatsächlich bei Mercedes steht, ist von außen meist nur dann zu erkennen, wenn sich der österreichische Rennstall-Chef selbst zu Wort meldet. Wenn er den Finnen Valtteri Bottas anfeuert, Gas zu geben. Wenn er Lewis Hamilton in Runde 30 erklärt, dass er dieses Rennen noch gewinnen könne. Er ist dann immer noch der höfliche Manager Wolff, aber eben auch der emotionale Racer. Wenig verklausuliert wissen seine Piloten, dass es jetzt Ernst wird. Die Mimik Wolffs in diesen Tagen ist angespannt, auch der Sieg Hamiltons ist nur vorübergehendes Make-up. Ausgerechnet in dieser entscheidenden Phase des engen WM-Kampfs mit Red Bull Racing unterlaufen dem sonst so perfekten Werksteam ungewohnt kleine Fehler. In der Taktik, bei den Boxenstopps, auch den Fahrern - in Sotschi vor allem in der Qualifikation zu besichtigen.

Für Wolff unterstreicht es, wie eng der WM-Kampf in dieser Saison ist. "Das Hin und Her wird bis zum Saisonende so bleiben. Ich glaube nicht, dass eines der beiden Teams davonziehen kann", sagt der 49-Jährige. Auf den sieben ausstehenden Rennstrecken scheint sogar Red Bull im Vorteil, vor allem dann, falls Lewis Hamilton auch noch auf einen vierten Motor wechseln und damit eine Strafe wie Max Verstappen in Sotschi in Kauf nehmen muss. Das Wort, dass Wolff daher am häufigsten gebraucht - und am meisten fürchtet - lautet: "Zuverlässigkeit."

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