Formel 1 in den USA:Alonsos Stiche mit dem Handy

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Das Titelrennen in der Formel 1 steht vor der Entscheidung: Fernando Alonso will beim Großen Preis der USA auf dem neuen Kurs in Austin Punkte aufholen und provoziert weiter Sebastian Vettel. Der genießt die Gelassenheit des WM-Führenden. Vettel kann in den USA schon Weltmeister werden.

Michael Neudecker, Austin

Präsentiert neben der Strecke gerne sein fotografisches Talent: Fernando Alonso macht vor dem WM-Finale ein Handy-Foto. (Foto: AP)

Fernando Alonso ist am Mittwoch auf sein Mountainbike gestiegen, das ist wichtig jetzt, denn es geht um nichts weniger als die Weltmeisterschaft in der Formel 1. Konkret geht es um Fernando Alonso und Sebastian Vettel, um den Saisonhöhepunkt in zwei Akten, der erste an diesem Sonntag in Austin, Texas, der zweite am kommenden Sonntag in São Paulo.

In Austin wird die Rückkehr der Formel 1 in die USA zelebriert, es ist eine neue Strecke, auf der noch keiner der aktuellen Formel-1-Piloten gefahren ist, deshalb ist Alonso also auf sein Mountainbike gestiegen, er hat die Strecke per Rad erkundet. Sebastian Vettel dagegen ist die 5,5 Kilometer zu Fuß abgeschritten, ja, wirklich: zu Fuß.

Eins zu null für Alonso.

Natürlich sagt ein eins zu null im Training noch nichts aus über das zu erwartende tatsächliche Ergebnis, aber so ist das nun mal in diesem sich zuspitzenden Duell, in diesen letzten beiden Rennen der Saison: Alles ist wichtig, alles wird beobachtet, alles notiert, fotografiert, interpretiert.

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Ein wenig liegt das auch daran, dass ja lange gar nicht klar war, wie die Saison zu Ende gehen würde, und Überraschungen sind grundsätzlich aufregend. Gewiss, Alonso und Vettel sind ständige Hauptdarsteller ihrer Branche, es ist so gesehen keine Überraschung, wenn sie im November um den Titel fahren. Aber doch war diese Saison anders als manche vorangegangene, weniger berechenbar.

Vergangene Saison noch dominierte Vettel, er gewann ein Rennen nach dem anderen und am Ende seinen zweiten Titel nacheinander, diese Saison gab es keine Dominanz. Sieben Rennen, sieben verschiedene Sieger, so begann die Saison, es war aufregend, so ausgeglichen wie nie, so spannend, so herrlich unvorhersehbar, so viele potenzielle Weltmeister. Und jetzt?

Jetzt sitzen in Austin im nach neuem Teppichboden riechenden Pressezentrum sechs Fahrer auf dem Podium, Pedro de la Rosa, Lewis Hamilton, Sergio Pérez, Kimi Räikkönen, und, in der vorderen Reihe nebeneinander, Vettel und Alonso. Die Reporter fragen ein bisschen nach Formel 1 und Amerika, ein bisschen nach Pérez und Mexiko, ein bisschen nach Hamilton und Mercedes, aber nur ein bisschen. Vor allem geht es um Vettel/Alonso, das Thema, das die Formel 1 derzeit dominiert, so sehr, dass selbst die Fahrer davon begeistert sind; wenn man abzieht jedenfalls, dass die meisten noch mehr begeistert wären, würden sie selbst Teil des Themas sein.

Hamilton sagt, 2012 sei "ein gutes Jahr für die Formel 1". Pérez sagt, letztes Jahr sei "langweilig" gewesen, weil ja Vettel dauernd gewonnen habe, dieses Jahr aber sei "ein großartiges Jahr". Es sei nicht wichtig, wer wie oft und wo gewinnt, sagt de la Rosa, wichtig sei nur eines: "dass die WM in den letzten Rennen entschieden wird". Und noch mal Hamilton, angesprochen auf Alonso und Vettel: "Beide sind herausragende Fahrer, unglaublich professionell."

Und Vettel? Und Alonso? Sitzen in Reihe eins, sagen nichts, was ihnen in die eine oder andere Richtung ausgelegt werden könnte, sagen überhaupt wenig, was erinnerungswürdig ist, geben sich, nun ja, unglaublich professionell. Er sei von sich und dem Team überzeugt, er sei maximal konzentriert, solche Sachen sagt Alonso; er werde wie immer versuchen, möglichst schnell den Rhythmus zu finden und sich nur auf seinen Job konzentrieren, solche Sachen sagt Vettel. Als erinnerungswürdig bleibt dann nur dieser eine Moment gleich zu Beginn der Fragerunde, als Alonso mit seinem Handy einmal kurz die Reporterrunde filmte und daraus ein Panoramabild erstellte, er zeigte es Vettel, schau, sagte Alonso, ein Panoramabild, ah, sagte Vettel, er nickte scheinbar beeindruckt, da klickten die Fotoapparate noch schneller und hektischer als sonst.

In den vergangenen Wochen noch hatte Alonso immer wieder kleinere Nettigkeiten über Vettel ausgesendet: dass er, Alonso, Erster wäre, wenn alle Autos gleich gut wären, oder auch, dass sein Gegner weniger Vettel als vielmehr das Auto von Red-Bull-Designer Adrian Newey sei. Auch nach dem Auftritt in Austin dauerte es nicht lange, bis die nächste Botschaft folgte: Über den Kurzmitteilungsdienst Twitter leitete Alonso ein Foto weiter, das wohl seine Entschlossenheit unterstreichen sollte - er und Teamkollege Felipe Massa in Teamkleidung, grimmig blickend, mit je einer Paintball-Waffe im Anschlag.

Ein Foto, das in Austin schnell die Runde machte, ein sehr merkwürdiges Foto, dessen Aussage ist: Ich bin zu allem bereit! Vettel hat sich darauf bislang nicht eingelassen, wieso auch? Er genießt die Gelassenheit des Führenden, die innere Freude desjenigen, der das Spiel gedreht hat.

Zur Saisonmitte, nach dem Rennen am Hockenheimring, betrug Vettels Rückstand auf den Ferrari-Fahrer 44 Punkte, Alonsos Chancen auf seinen dritten WM-Titel standen gut. Vettel aber ist, so belegt die Statistik, in seiner Karriere fast immer in der zweiten Saisonhälfte stärker gewesen als in der ersten, auch jetzt war es wieder so: Als der Wanderzirkus nach Asien flog, gewann Vettel (mit in der Tat von Newey überarbeitetem Auto) viermal nacheinander, er könnte nun sogar schon in Austin Weltmeister werden, im 100. Rennen seiner Karriere. Er müsste dazu 15 Punkte mehr holen als Alonso.

Zu erwarten ist das aber nicht, Alonso ist ja kein Anfänger, er ist enge Saisonfinals gewöhnt. Es ist bereits das vierte Mal nach 2006, 2007 und 2010, dass er am Saisonende Teil eines spannenden Titelkampfes ist, 2006 gewann er gegen Schumacher, 2007 verlor er gegen Hamilton, 2010 verlor er gegen Vettel.

Die ersten beiden Male sei er gestresst gewesen, sagt Alonso, jetzt sei das anders. Angespannt? Er sei "sehr entspannt", sagt Alonso, er zuckt gleichgültig mit den Schultern, so ein Saisonfinale wie dieses sei für ihn "vollkommen normal". Es sei "alles wie immer", sagt auch Vettel, nichts besonderes.

Man muss ihnen das nicht glauben.

© SZ vom 17.11.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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