Sieben Kurven der Formel 1:Verstappen verweigert den Teambefehl

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Waren sich nicht ganz einig in Brasilien: Weltmeister Max Verstappen (rechts) und sein Teamkollege Sergio Pérez (Archivbild). (Foto: Eugene Hoshiko/dpa)

Der Weltmeister soll in Brasilien seinem Kollegen helfen - tut es aber nicht. Lewis Hamilton plant dagegen einen Akt der Nächstenliebe. Die Höhepunkte des Formel-1-Wochenendes.

Von Elmar Brümmer

George Russell

(Foto: Evaristo Sa/AFP)

Zum ersten Mal seit den Fünfzigerjahren wird in der F1 wieder die Hymne "God Save the King" gespielt, und zum allerersten Mal überhaupt für George Russell. Der 24 Jahre alte Brite, den sie bei Mercedes für den "komplettesten Fahrer" der neuen Generation halten, hat nach dem halben Sieg beim Sprint am Samstag in seinem 81. Grand Prix auch den vollen Triumph eingefahren. Dazu noch den Ehrenpunkt für die schnellste Runde und die Ehre des ersten Mercedes-Erfolgs in diesem Jahr. "Das ist erst der Anfang", hofft Russell. Couragiert und kontrolliert hält er auch seinen Mentor Lewis Hamilton hinter sich, vielleicht hat der sportliche Thronfolger damit eine Trendwende im Binnenverhältnis eingeleitet.

Anders als andernorts in der F1 herrscht bei der Silberpfeil-Fraktion Harmonie. Wie souverän Russell, der zunächst keine richtigen Sätze und nur Freudentränen hervorbringt, schon im ersten Jahr beim Rekordteam unterwegs ist, zeigt der Funkspruch vor der Wiederfreigabe des Rennens nach einer Safety-Car-Phase zwölf Runden vor Schluss: "Sichern wir unsere Positionen oder sind wir frei in unserem Tun?" Antwort des Teams: "Fahrt gegeneinander, aber bleibt respektvoll." Woran sich beide leicht halten konnten, denn Hamilton kam nicht richtig heran. Auf Twitter nennen sie Russell schon "King George" - und der Rekordweltmeister lobt den Kollegen: "Das ist wirklich groß!"

Lewis Hamilton

(Foto: Mark Thompson/Getty Images)

Doch noch Zweiter werden nach einer verkorksten Saison, die Chance ist jetzt da für Mercedes. 19 Punkte Rückstand auf Ferrari vor dem letzten Rennen am Wochenende in Abu Dhabi, das ist einholbar - beschwingt vom technischen Update und dem Aufwärtstrend in den vergangenen drei WM-Läufen. Der 37-Jährige selbst wird sich trotzdem schwertun, auch in dieser Saison einen Sieg einzufahren, wie bisher immer in jedem Jahr seiner F1-Karriere. Aber in seiner in der technischen Krise entwickelten Mentalität als echter Mannschaftskapitän ist das vielleicht gar nicht mehr so entscheidend.

Hamilton, der vor der vorzeitigen Vertragsverlängerung steht, will unbedingt Platz zwei in der Konstrukteurswertung, den Trotzpreis. Nicht für sich, sondern für alle. Denn bei einem zweiten Rang würden alle Mitarbeiter in Mittelengland einen deutlich höheren Bonus bekommen. Das ist mal was Neues: Rennen fahren als Akt der Nächstenliebe statt nur fürs Ego. Ohnehin gehe es um mehr, wie sich Russell und Hamilton einig sind: "Wir müssen auf den richtigen Weg zurück dahin gelangen, wo Mercedes hingehört."

Max Verstappen

(Foto: Jared C. Tilton/Getty Images)

Die Kühlweste, mit der der Weltmeister vor dem Start zum vorletzten Rennen in Interlagos unterwegs war, hat wohl ganze Arbeit geleistet, so eiskalt, wie der Niederländer die Hilfe für seinen Teamkollegen Sergio Pérez verweigert. Hätte Verstappen den Mexikaner vorbeigelassen, wäre der nun nicht gleichauf mit Charles Leclerc im Kampf um Rang zwei, sondern zwei Punkte weiter vorn. Der Rennstall forderte Verstappen dazu über Funk auf, nachdem dieser als Sechster nicht mehr an Fernando Alonso herankommen konnte. Doch der unterkühlte Champion verweigerte den Befehl: "Ich habe euch schon beim letzten Mal gesagt, dass ihr mich das nicht noch einmal fragen dürft, okay? Ist das klar? Ich habe meine Gründe, und ich stehe dazu."

Nach dem vorexerzierten Egoismus gegenüber seinem wichtigsten Helfer beim Vorjahres-Finale gab es eine Krisensitzung im Red-Bull-Pavillon, aber selbst die sonst so mitteilsamen Manager Christian Horner und Helmut Marko versteckten sich hinter einem Schweigegelübde, als ob es um den Budget-Cap-Verstoß gehen würde. Hinterher sagte Verstappen, der gerade erst einen Boykott gegen Sky beendet hatte, dass alles geklärt sei: "Ich habe meine Gründe." Aber über die werde er nicht sprechen. Wenn Pérez Hilfe brauche in Abu Dhabi, werde er sie leisten. Überzeugend klang das nicht. Eher frostig. Das Team Verstappen spielt gern für sich. Lewis Hamilton, früh im Rennen durch den Niederländer von der Piste geboxt, zuckt nur mit den Achseln: "Ihr wisst ja, wie das mit Max ist."

Sergio Pérez

(Foto: Mark Thompson/Getty Images)

Von dem, was da vor der Befehlsverweigerung durch Verstappen vorgefallen sein soll, hat der treue Helfer Pérez keine Ahnung: "Ich weiß nicht, von was er spricht." Pérez weiß nur, dass sein Manöver beim Skandalfinale im Vorjahr dem Kollegen den umstrittenen Titelgewinn gesichert hatte, und dass auch sein Überholmanöver kürzlich in Suzuka die vorzeitige Titelverteidigung möglich gemacht hatte. Der maßlos enttäuschte Pérez fluchte nach Platz sieben in sein Helmmikrofon: "Verdammt! Danke für nichts." Teamchef Christian Horner schaltete sich daraufhin deeskalierend in den Funkverkehr ein und sagte "Sorry". Woraufhin Pérez nur zurückgab: "Das zeigt, wer er wirklich ist."

Horner berichtet aus der sofort einberufenen Krisensitzung nur, dass sich beide Fahrer die Hände geschüttelt hätten. Selbst während der dominanten Zeit zu Beginn des letzten Jahrzehnts, als Sebastian Vettel und Mark Webber ebenfalls gegen die Befehle handelten, hat Red Bull nie Platz eins und zwei in der Endabrechnung der Fahrer belegen können. Jetzt wäre die Chance da, und der Platztausch wäre nicht so riskant gewesen wie der, den Ferrari Charles Leclerc verweigert hatte. Die Rennwelt fragt sich daher weiterhin wie Verstappens Renningenieur Gianpiero Lambiase: "Max, was ist da passiert?"

Sebastian Vettel

(Foto: Jared C. Tilton/Getty Images)

Ach, wenn doch nur alles so gut laufen würde, wie der Verkauf seiner Protest-T-Shirts, für die Sebastian Vettel im Rahmen seiner Abschiedstournee online Werbung macht. Das jüngste Hemdchen ist ein Kunstwerk, es stammt vom großen Illustrator Christoph Niemann. Beim Finale in Abu Dhabi, wenn 14 Grand-Prix-Jahre für Vettel zu Ende gehen, werden Fotos seiner größten Fans auf dem Helm kleben, die diese ersteigern konnten.

Der digitale Seb funktioniert also, analog war es in Interlagos etwas mühsamer. Erst im Sprint vom Teamkollegen Lance Stroll rüde rausgedrängt, im Rennen dann nur undankbarer Elfter geworden - der erste Boxenstopp war nicht gut terminiert, das Safety-Car half ihm auch nicht. Klagen mag der Hesse nicht, er hat es ja fast geschafft: "So ist Rennfahren eben manchmal." Das Highlight war vermutlich der Solotrip nach Chile vor dem Rennen oder die Ehrenrunde am Sonntag, als ihn Mick Schumacher ums Autodromo chauffierte. Dafür soll es in der arabischen Wüste am kommenden Wochenende eine große Abschiedssause geben, die Sky hoffnungsvoll als "Forever Seb" ankündigt.

Mick Schumacher

(Foto: Chris Graythen/Getty Images)

Kollege Kevin Magnussen nach dem Regen-Qualifying Erster, er selbst Letzter. Im Sprint verlor der Däne sieben Plätze, Schumacher gewann acht dazu, so viele wie kein anderer. Aber ob das überhaupt noch irgendwas ändert? Gene Haas, der Maschinenbauer aus Kalifornien, hat die Entscheidung kurz vor seinem 70. Geburtstag getroffen, und sie soll Mitte der Woche verkündet werden. Es deutet einiges darauf hin, dass den Platz in Schumachers Cockpit künftig Nico Hülkenberg einnehmen wird.

Vielleicht, weil sie sich beim kleinsten Team von dem in 181 F1-Rennen nie aufs Podium gekommenen Emmericher ein ähnlich gutes Comeback erwarten wie von Magnussen zu Beginn der Saison, oder weil beim Ferrari-Franchise niemand willens ist, einen Piloten auszubilden. Schumacher junior könnte mit 23 das Schicksal des inzwischen 35-jährigen Hülkenberg drohen, der seit 2019 nur noch Ersatzfahrer war. Die Reservistenrollen bei Mercedes und Renault wären frei, vielleicht schafft auch der Williams-Zögling Logan Sargeant nicht genügend Punkte für die Superlizenz. Dann wäre Mick wieder drin. Wie immer wirkt Schumacher loyal und aufgeräumt nach seinem 13. Platz in Brasilien: "Mein Rennen war wie das ganze Jahr - vieles hat nicht ganz gepasst."

Fernando Alonso

(Foto: Mauro Pimentel/AFP)

Und noch ein kleines Protokoll der Funksprüche und der teaminternen Rivalitäten bei diesem auch durch die Dissonanzen höchst unterhaltsamen vorletzten Rennen. Beim Sprint am Samstag waren sich Esteban Ocon und Fernando Alonso gegenseitig in die Alpine-Rennwagen gefahren, was dann das endgültige Ende der zarten Freundschaft zwischen dem Talent und dem Altmeister bedeutete. Was aber nix ausmacht, der Spanier zieht ja weiter zu Aston Martin, weil es ihn nach mehr Geld und mehr Respekt verlangt. Die Franzosen standen in Brasilien mal wieder als Verlierer des eigenen Spiels da, und deshalb war die Ansage von Teamchef Otmar Szafnauer kategorisch, als die beiden auf den Rängen acht und neun hintereinander lagen: "Esteban, ich will nicht, dass du Fernando angreifst."

Schließlich geht es um Rang vier und die entsprechende Siegprämie dafür in der Konstrukteurs-WM. Alonso löste das Problem auf seine Art, mit frischen Pneus raste er noch auf Rang fünf vor, nicht schlecht von Startplatz 15 aus. Und die PR-Strategen dichteten daraus eine "brillante Teamleistung". Das Grinsen des Branchen-Seniors aus Oviedo darüber kann man sich gut vorstellen. Boss Szafnauer tangiert das nicht: "Wenn man als Team zusammenspielt, gewinnen alle." Siehe Mercedes.

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