Deutsche in der Formel 1:Das Rennfahrer-Wohnzimmer leert sich

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„Das Potenzial für mehr war da“, sagt Nico Hülkenberg über seine neun Jahre in der Formel 1. (Foto: Mark Thompson/Getty Images)
  • In der F1 gibt es immer weniger deutsche Rennfahrer - demnächst verabschiedet auch noch Nico Hülkenberg.
  • Deutschland wartet darauf, dass Mick Schumacher den Weg in den großen Rennzirkus findet.

Von Philipp Schneider

Ein Verhaltensforscher hätte möglicherweise viel Spaß bei einer Analyse von Nico Hülkenbergs Sicht auf die Welt. Vielleicht würde er ein Muster erkennen in Hülkenbergs Antworten auf die Frage, womit er in der Zeit nach seiner Karriere in der Formel 1 Geld zu verdienen gedenke. "Zur Auswahl stehen jetzt Pizzabäcker, Friseur, Zahnarzt, Schönheitschirurg, Frauenarzt", hat Hülkenberg in dieser Woche in Sao Paulo erzählt. Vor ein paar Wochen, vor dem Rennen in Singapur, als sich Hülkenberg noch vage Hoffnung auf ein Cockpit ab 2020 machen durfte, hatte er der SZ gesagt, er fahre nächstes Jahr entweder bei der Tour de France mit. Oder er trete halt die Nachfolge von Hugh Hefner an, also des Gründers des Männermagazins Playboy.

Seitdem weiß man: Der Rennfahrer Nico Hülkenberg schätzt den Sport an sich. Das Handwerk. Und außerdem: Berufe, in denen er vornehmlich Kontakt zu Frauen haben kann. Er meint das lustig.

2010, als Hülkenberg in der Formel 1 debütierte, fuhren noch sieben Deutsche mit

Humor ist stets Hülkenbergs Fluchtpunkt gewesen, wenn die Debatten um seine Person mal wieder ernster wurden. So war das schon vor zwei Jahren. Damals stand er kurz davor, Adrian Sutil abzulösen als den Fahrer mit den meisten Rennerlebnissen in der Formel 1 ohne anschließenden Besuch auf dem Podium. "Die Sutil-Ära wird an diesem Wochenende beendet werden und die Hülkenberg-Ära wird beginnen", witzelte er vor seinem 129. Grand Prix - in dem er dann wie angekündigt und erwartet wieder nicht in die Nähe einer schäumenden Sektflasche geriet. Und er fragte: "Das ist auch eine Leistung, ohne Leistung so lange in der Formel 1 zu sein, oder?"

Das war halb Scherz, halb zutreffende Analyse. In der Tat hält sich niemand neun Jahre lang in der Formel 1, ohne die Leistung zu liefern, die die Teams von ihm erwarten. In einem weltmeisterlichen Auto saß er nie, stattdessen im Williams, Force India, Sauber und Renault. Nun aber: zwei Rennen noch. Dann ist Schluss.

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Am Sonntag wird er über das Autodromo Jose Carlos Pace in Sao Paulo kreisen, wo er vor neun Jahren als Rookie seinen Williams sensationell auf die Pole Position geschoben hatte. Danach fährt er noch ein letztes Mal um den Hafen von Abu Dhabi. Und dann, wenn kein Wunder geschieht, verabschiedet sich Hülkenberg nicht nur von seinem Cockpit, das sein französischer Rennstall lieber dem neun Jahre jüngeren Franzosen Esteban Ocon überantworten möchte. Sondern mit dem erstaunlichen Rekord von 177 Rennen ohne einen Besuch auf dem Treppchen.

"Das Potenzial für mehr war da", sagt Hülkenberg vor dem Großen Preis von Brasilien. Endgültig sei sein Abschied von der Formel 1 hoffentlich nicht. Er wolle sich "bereit und fit halten für ein mögliches Comeback". Ausschließen lässt sich das nicht. Doch Hülkenberg ist 32 Jahre alt. Genau 47 Tage jünger als Sebastian Vettel. Und der wird 2020 wohl der letzte deutsche Vertreter in der Formel 1 sein.

Nur einen deutschen Fahrer in der Königsklasse gab es zuletzt 1993. Vor 26 Jahren, ein Jahr vor seinem ersten Weltmeistertitel, hob Michael Schumacher den Motorsport aus der Nische auf die zuschauerträchtigeste Bühne, die es hierzulande gibt: In den deutschen Wohnzimmern hockte plötzlich ein Millionenpublikum und sah einem 24-jährigen Kerpener mit einem schon damals interessanten Kinn beim Kreisen zu.

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Ein Jahr später folgte Heinz-Harald Frentzen, vier Jahre später Schumachers Bruder Ralf. Nick Heidfeld stieß dazu, Timo Glock, Nico Rosberg. Als Michael Schumacher 2010 ein Comeback wagte und Vettel seinen ersten Weltmeistertitel gewann, fuhren zeitgleich sieben deutsche Piloten in der Serie. Einer von ihnen war Hülkenberg, der seine ersten Drehversuche im Williams unternahm.

Überschritten war zu diesem Zeitpunkt schon der Zuschauer-Zenit der Formel 1, der seit Anfang der Neunzigerjahre auch den Kölner Privatsender RTL groß gemacht hatte. Viele Jahre lang trug Deutschland sogar zwei Rennen aus, am Nürburgring und in Hockenheim. Doch 2020 macht die Formel 1 einen Bogen um Deutschland. Der Vermarkter Liberty Media hat den Hockenheimring aus dem Kalender geschmissen. Dass das Automobil wenige Kilometer entfernt von der Rennstrecke in der Kurpfalz erfunden wurde, hat in den Verhandlungen wenig Eindruck gemacht auf den börsennotierten Unterhaltungskonzern aus den USA.

Liberty geht es auch nicht um die Rettung einer bedrohten Kultur: den Sport mit Verbrennungsmotoren. Wie ein Schwein dem Trüffel folgt Liberty lieber der Spur des Geldes in die politisch heikelsten Winkel der Erde. Und denkt auch über ein Rennen im Öl- und Folterstaat Saudi-Arabien nach. Der Motorsport ist nicht nur in Deutschland gefährdet, sondern vielerorts. Felipe Massa, der vormals letzte Brasilianer, verließ die Formel 1 schon vor zwei Jahren.

Und die Deutschen? Sie warten auf die Ankunft des Formel-2-Piloten Mick Schumacher in der Formel 1, bei der sich nicht mehr die Frage stellt, ob sie stattfinden wird. Sondern nur noch wann. Und wenn er dann da ist, wird er die auf ihn projizierten Erwartungen kaum erfüllen. Niemand könnte dies.

Das Schicksal des Sohns des Rekordweltmeisters. Aber vielleicht wird er noch gemeinsam mit Vettel fahren, solang sein Vater noch alleiniger Rekordweltmeister ist: Lewis Hamilton könnte 2020 ebenfalls zum siebten Mal den Titel gewinnen - in jenem Jahr, in dem Vettel seinen sechsten Anlauf unternimmt, endlich Weltmeister zu werden im Ferrari. Er "gehe davon aus", dass er auch im übernächsten Jahr noch an der Formel 1 teilnehme, hat Vettel in Brasilien gesagt. So ganz überzeugt scheint er noch nicht zu sein.

Dass 2021, wie 28 Jahre zuvor, ein Schumacher alleine sein wird in der Formel 1, ist kein unwahrscheinliches Szenario.

© SZ vom 16.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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