Saisonfinale der Formel 1:Eine Litfaßsäule für Verstappens Rekorde

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Feuerwerk: Max Verstappen gewinnt auch das finale Rennen der Saison. (Foto: Mark Thompson/Getty Images)

Der Niederländer dominiert auch das Finale einer Saison, in der er so viele Punkte gesammelt hat, dass er die Konstrukteurswertung auch ohne Teamkollege Pérez gewonnen hätte. Mercedes sichert sich haarscharf Platz zwei vor Ferrari.

Von Philipp Schneider

Ganz am Ende einer für ihn frustrierenden Saison erlebte Lewis Hamilton am Hafen von Abu Dhabi tatsächlich noch eine Art Glücksmoment. Elf Runden vor Schluss schoss er außen vorbei am Ferrari von Carlos Sainz, das war hübsch anzusehen. Er verbesserte sich um einen Platz - und war nun sagenhafter Neunter.

Und sagen wir so: Auch wenn dieses erfolgreiche Duell mit dem Spanier keines sein dürfte, an das sich der siebenmalige Weltmeister Hamilton noch erinnern wird, sollte er eines fernen Tages mit grauen Haaren in einem Seniorenstift sitzen und Kindergartenkindern von seiner großen Karriere in der Formel 1 berichten - für seinen nach den vielen goldenen Jahren so arg geprügelten Rennstall Mercedes bedeutete Hamiltons Manöver gleichwohl eine Welt. Zumindest sinnbildlich.

Sainz sollte am Ende wegen eines Strategiefehlers nur 18. werden, aber das Manöver stand nun dafür, dass die Silberpfeile Platz zwei in der Teamwertung vor Ferrari retteten - haarscharf, mit drei Punkten Vorsprung. Und das auch nur, weil Sergio Pérez kurz vor Schluss noch eine Fünf-Sekunden-Strafe aufgebrummt bekam, wegen der er seinen zweiten Platz verlor und noch hinter Charles Leclerc und Hamiltons Teamkollegen George Russell zurückfiel. "Ich kann gar nicht glauben, dass es erst das zweite Podium für mich ist in diesem Jahr", wunderte sich Russell. Aber doch, so war es tatsächlich.

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Und als Max Verstappen nach der sagenhaften 1000. Führungsrunde in diesem Jahr als Sieger beim Saisonfinale über die Ziellinie bretterte, da hätte man sich gewünscht, sein Red Bull wäre eine Litfaßsäule. Um genug Platz zu schaffen, damit jeder einzelne Rekord darauf geklebt werden kann, den er sich in dieser Saison gegriffen hat. Er allein, also Verstappen ohne Teamkollege Pérez, hätte in dieser Saison die Konstrukteurswertung gewonnen. Er holte 575 Zähler, so viele wie niemand vor ihm. Aber das war ja längst nicht alles.

Alberto Ascari wurde vor 71 Jahren mit sechs Siegen in acht Rennen Weltmeister im Ferrari, was einer Siegquote von 75 Prozent entsprach. An diese kamen nicht einmal Michael Schumacher, Sebastian Vettel und Lewis Hamilton zu ihren Hochzeiten heran. Verstappen gewann am Sonntag das 19. von 22 Rennen. Das entsprach einer sagenhaften Quote von 86 Prozent. Die meisten Rennsiege in einer Saison gelangen ihm in diesem Jahr ohnehin. Nach der Zahl seiner Rennsiege hat Verstappen nun auch Vettel überholt, in der ewigen Bestenliste ist er Dritter. Und das im Alter von 26 Jahren. Nur zwei Piloten haben mehr als 54 Siege gesammelt, wenngleich Lewis Hamilton (103) und Michael Schumacher (91) doch noch deutlich entfernt sind.

"Auf der letzten Runde bin ich doch ein wenig emotional geworden", gestand Verstappen später im Interview. "Es wird schwer werden, noch einmal so eine Saison hinzubekommen." Auch sein Teamchef gratulierte sentimental: Nach Verstappens drittem WM-Titel und all den Rekorden müsse "man anfangen, über ihn als einen der größten Namen im Sport zu sprechen. Ich denke, er hat sich seinen Platz dort verdient", sagte Christian Horner.

Der zweite Platz der Konstrukteurswertung bringt zehn Millionen Dollar mehr

Nur vier Punkte hatte vor dem Rennen der Vorsprung der Silberpfeile in der Team-Wertung auf die Scuderia betragen. "Wir wollen unbedingt diesen zweiten Platz", kündigte Ferrari-Pilot Charles Leclerc an. Und Toto Wolff, der Mercedes-Teamchef, meinte zwar sinngemäß, im Grunde sei es ihm egal, weil der zweite und dritte Platz beide etwas für Verlierer seien - aber das musste man ihm so nicht glauben. Es ging ja um rund zehn Millionen Dollar mehr oder weniger.

Leclerc rollte als Zweiter in dieses Rennen, gleich hinter Verstappen und noch vor Oscar Piastri im McLaren. Russell lauerte als schnellster Mercedes-Fahrer in Parkbucht vier, Hamilton hatte lediglich die elftbeste Zeit vorgelegt im Qualifying.

Die Ampeln gingen aus, und Leclerc griff Verstappen in der ersten Runde mehrmals an - jedoch vergeblich. Russell verlor gleich zu Beginn seinen Platz an Lando Norris. Und Letzterer drehte ziemlich bald die schnellste Rennrunde und schoss auch vorbei an seinem Teamkollegen Piastri.

Ein McLaren-Schrauber erwischte einen schlechten Tag - Russell eroberte in der Boxengasse den dritten Platz von Norris

Und so entfaltete sich in Abu Dhabi tatsächlich ein aufregendes Duell um die Punkte. Nach zehn Runden belegte die Scuderia die Plätze zwei (Leclerc) und 13 (Sainz), die Silberpfeile kreisten auf fünf (Russell) und zehn (Hamilton). Der Kommandostand von McLaren hatte soeben erst Piastri gelobt für dessen bislang erfolgreiche Verteidigung gegen Russell, da nutzte der Brite gleich den ersten kleinen Wackler des Australiers und überholte.

Sicherte Mercedes noch Platz zwei in der Konstrukteurswertung: George Russell. (Foto: Erlhof/Imago)

Als rasendes Duett steuerten Norris und Russell darauf gleichzeitig ihre Versorgungsgaragen an, und weil einer der Schrauber aus der McLaren-Truppe einen schlechten Tag erwischte, eroberte Russell noch in der Boxengasse den dritten Platz von Norris. Für schlechte Nachrichten bei Mercedes sorgte Hamilton: Er touchierte mit der Front das Heck von Pierre Gasly. Seine Frontplatte hing so schief in der Welt, dass er sie sich in der Werkstatt richten lassen musste.

Ferrari ließ Sainz 23 Runden auf seinem ersten Satz Reifen kreisen, möglicherweise in der Hoffnung, der Spanier werde so Verstappen einbremsen können nach dessen erstem Boxenstopp. Der Plan ging nicht auf. Und als alle Fahrer einmal gehalten hatten, da führte Verstappen vor Leclerc, Russell, Norris und Piastri.

Mercedes Psycho-Coaching fruchtet

"Lewis, du steuerst gerade das schnellste Auto", funkte Wolff an Hamilton, als dieser sich vorgekämpft hatte auf Platz acht. Das war sehr putzig. Wolff wusste, er würde auch von seinem siebenmaligen Weltmeister ein paar Punkte benötigen, sollte es Russell weiter vorne nicht an Leclerc vorbei schaffen. Und das Psycho-Coaching schien sogar zu fruchten: Hamilton schloss nach der Lobhudelei in Siebenmeilenstiefeln auf zum vor ihm kreisenden Alonso.

Nach 34 Runden ließ sich Norris zum zweiten Mal frische Reifen reichen und setzte Mercedes so mit einem sogenannten Undercut unter Druck. "Seid ihr sicher, dass wir nicht mit einem Stopp auskommen können?", fragte Russell im Funk: Seine Reifen fühlten sich in Ordnung an. Könne man nicht, lautete die Antwort, der Weg zum Ziel sei zu weit. Also hielt auch Russell an der Box - und blieb knapp vor Norris.

Wie es im Duell zwischen Mercedes und Ferrari gerade stehe, erkundigte sich Russell. Nun, er solle so schnell wie möglich fahren, antwortete der Kommandostand. Ferrari lag in diesem Moment zwei Punkte vor Mercedes. Doch dann erhielt Pérez noch eine Strafe, weil er Norris touchierte. Und Ferrari probierte einen wagemutigen Plan: Leclerc ließ den Mexikaner auf Rang zwei passieren, er sollte genug Vorsprung herausfahren, um trotz seiner Rückversetzung fünf Sekunden vor Russell zu bleiben. Das ging schief.

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