Finale der Australian Open:Wie ein Muskel Nadal zum Hobbyspieler degradiert

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Angeschlagen und am Ende besiegt: der Spanier Rafael Nadal während des Finale der Australian Open in Melbourne (Foto: AFP)

Rafael Nadal war der turmhohe Favorit im Finale der Australian Open. Doch bald kann der Spanier kaum mehr aufschlagen, muss die Buhrufe des Publikums ertragen. Stanislas Wawrinka gewinnt seinen ersten Grand-Slam-Titel. Und spricht von einem "seltsamen Gefühl".

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Das hätte sich Arthur Phillip sicher nicht träumen lassen, dass sie in Australien wegen ihm und seiner Flotte "First Fleet" selbst Jahrhunderte später noch Paraden halten und Raketen abfackeln, nur weil er als Kapitän anlegte im Mai 1788 in Sydney Cove. Aber so ist es, an diesem 26. Januar hieß es wieder: Australia Day! Ein Land im Ausnahmezustand. "Wundern Sie sich nicht, wenn sich morgen einige Menschen seltsam verhalten", das hatte noch tags zuvor ein Taxifahrer schelmisch gemeint, er bezog das insbesondere aufs Trinkverhalten seiner Landsleute, die die aus England anreisenden ersten Siedler einmal jährlich zu würdigen pflegen.

Es war zweifelsohne ein spezieller Tag, an dem zufällig die letzte Entscheidung dieser Australian Open angesetzt war. Die Frage, die sich am späten Abend stellte, lautete nur: Was war seltsamer - Australia Day oder doch das Männer-Finale?

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Möglicherweise hat sich diesbezüglich auch Rod Laver schwer getan. Der Tennisveteran, nach dem das Hauptstadion im Melbourne Park benannt ist, knipste noch rasch ein Foto, ehe die Siegerehrung begann, es könnte einen Platz im Album unter dem Stichwort Kuriositäten erhalten.

6:3, 6:2, 3:6, 6:3 hatte sich Stanislas Wawrinka durchgesetzt, dieser freundliche 28-Jährige aus Lausanne hatte den Coup geschafft, er, der Außenseiter, der noch nie einen Grand-Slam-Titel errang, in den vergangenen Monaten aber einen erstaunlichen Sprung schaffte in der Weltspitze. Nach zwölf erfolglosen Duellen mit Rafael Nadal setzte er sich mit seinem kraftvollen Grundlinienspiel durch und konnte sein Glück kaum fassen. "Ich weiß immer noch nicht, ob ich träume", stammelte Wawrinka, als er am Ziel war.

Er hatte diesen Triumph, der ihm 1,77 Millionen Euro einbringt und ihn vom achten auf den dritten Weltranglistenplatz (und damit erstmals vor Landsmann Roger Federer) befördert, "verdient", wie Nadal betonte. Und doch lastete auf diesem Finale eine Schwere, die selten ein Grand-Slam-Finale belastet hatte, zumindest ab dem Beginn des zweiten Satzes.

"Ich spürte schon beim Aufwärmen etwas", berichtete später Nadal tief enttäuscht, die Augen verheult, die Stimme gebrochen. Sein Rückenmuskel hatte sich verhärtet, die Pein strahlte auf alle seine Bewegungen aus, besonders auf die beim Aufschlag. "Ende des ersten Satzes war es schlimm", erklärte Nadal, der seinen 14. Grand-Slam-Titel angestrebt hatte, mit dem er mit Pete Sampras gleichgezogen wäre. So sah der Amerikaner, eigens aus Kalifornien angereist, von der Tribüne aus, wie Nadal seinen sonst den Platz ausfüllenden Aktionsradius massiv einschränken musste.

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Teilweise agierte der 27-jährige Mallorquiner wie ein Hobbyspieler, den Aufschlag schnibbelte er quasi in Zeitlupe mit 125 km/h übers Netz, normal erreicht auch er, der Topspinspezialist, um die 190 km/h. Platziert gespielte Bälle von Wawrinka erlief Nadal in dieser Phase nicht mehr, schnell war Satz zwei weg. "Es war keine einfache Situation für mich", befand Nadal, der sogar ausgebuht worden war nach einer Behandlungspause beim Stand von 1:2 im zweiten Satz. Taktische Spielchen nach einem verpatzten Start, so deuteten manche seine Auszeit, aber jeder konnte schließlich sehen: Das war nicht der Nadal, wie man ihn kennt, dieser zermürbende, in jede Ecke hetzende Berserker.

"Das Letzte, was ich wollte, war aufzugeben", rechtfertigte Nadal sein Durchhalten, "ich hasse das, besonders in einem Finale." Und die Rufe, die Buhs? "Niemals werdet ihr ein schlechtes Wort von mir über die Menge hören", das Publikum habe ihn stets "großartig" unterstützt, betonte er. Ein medialer Profi ist Nadal durch und durch. Selbst in diesem Moment, den er als "hart" ein- stufte, hatte er sich trotz der inzwischen getrockneten Tränen im Griff.

Nadal immerhin hatte es noch geschafft, die Partie offener zu gestalten, nun war er der Unberechenbare, mal schoss er, vielleicht auch aus Verzweiflung, mal hievte er die Bälle träge übers Netz, damit kam Wawrinka gar nicht klar. Sein Aufschlag blieb harmlos. Satz drei, als der Einbruch Nadals zu erwarten war, verlor der Schweizer nach einer stattlich gestiegenen Fehlerquote in nur 33 Minuten. Im vierten Durchgang zeigte er sich jedoch wieder mental erholt, "es war ein verrücktes Match", gab er zu. Wie sehr, offenbarte die Schlussphase.

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Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Wawrinka schaffte das Break zum 4:2 - und verlor sofort zu Null sein Aufschlagspiel. Als er begriffen hatte, er könne ein Grand Slam gewinnen, sei er "nervös" geworden. Aber auch Nadal war psychisch erstaunlich instabil, wie man es selten bei Profis dieser Qualität erlebt. Er gab seinerseits den Aufschlag erneut ab, diesmal servierte Wawrinka zum Sieg aus.

"Es war nicht leicht", sagte er entspannt über die Augenblicke, als unklar war, wie es mit Nadal überhaupt auf dem Platz weitergeht. Denn auch der Stuhlschiedsrichter konnte ihm während der Behandlungspause des Spaniers auf die Schnelle nicht weiterhelfen. "Normalerweise bekommt dann der Gegner Bescheid, was der andere hat", erklärte Wawrinka; Nadal wurde aber erst noch untersucht. Eine zusätzliche Erschwernis war, dass Nadal einer seiner "wirklich guten Freunde" ist, Wawrinka gestand: "Es war so seltsam, gegen ihn zu spielen." Sogar "leid" tue ihm sein Kollege. Er klang glaubwürdig.

Für Wawrinka beginnt nun ein neues Kapitel, er ist jetzt Grand-Slam-Gewinner. "Es ist ein seltsames Gefühl", sagte er abschließend. Wer mochte ihm diese Stimmungslage verdenken nach den Ereignissen, zudem an jenem Tag, der ganz zufällig Australia Day war.

© SZ vom 27.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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