Finale der Australian Open:Unterkühlt wie in der Arktis

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Andy Murray (hi.): Mit dem Spiel von Djokovic nicht einverstanden (Foto: Getty Images)

Novak Djokovic besiegt bei den Australian Open im Finale seinen Trauzeugen Andy Murray. Wie ihm das aber gelingt, sorgt für Diskussionen - der Brite ist trotz aller Freundschaft verärgert.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Boris Becker steckte fest, nichts ging mehr voran, vor ihm blockierten Zuschauer den Weg, hinter ihm schoben sich andere Zuschauer in seinen Rücken, es war sein letzter Kampf an diesem Abend. "Es war ein außergewöhnliches Match", sagte der 47-Jährige ganz ruhig, als er es doch schaffte, zur Seite zu treten, "die ersten beiden Sätze waren spannungsmäßig von einem anderen Stern."

Er habe mitgelitten, da unten in der Spielerbox, wo er mit Manager Edoardo Artaldi, dessen Kollegin Elena Cappellaro und Physiotherapeut Miljan Amanovic das sogenannte Spielerteam bildete. Im Hintergrund, auf dem Hartplatz in der Rod Laver Arena, hob gerade ihr Mann einen Pokal namens Norman Brookes Challenge Cup in die Höhe, die Kamerablitze erhellten die Nacht von Melbourne, und dann liefen die Balljungen im Spalier an ihm, Novak Djokovic, vorbei, der sie alle abklatschte. "Wir werden noch was trinken gehen", kündigte Becker an. Der Gang des Trainers des Australian-Open-Champions nach draußen wurde von erstaunlichen Bekundungen begleitet. "We still love you, Boris", rief ein Fan aus der Menge.

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7:6 (5), 6:7 (4), 6:3, 6:0, das waren die Zahlen, die in den Tennis-Almanach wandern. Aber das Hinterhältige an Zahlen ist, dass sie nie die ganze Wahrheit erzählen, die Geschichte hinter dem Ergebnis. Im Anschluss etwa tauchte plötzlich ein Thema auf, das noch eine Weile nachhallen dürfte. Murray, der Verlierer, griff ziemlich deutlich seinen Kollegen an, zu dem er eigentlich ein wunderbares Verhältnis pflegt. Er und Djokovic kennen sich, seit sie zwölf sind. Sie spielten damals das erste Mal gegeneinander. Murray gab bei dem Serben im vergangenen Jahr sogar den Trauzeugen. Freunde fürs Leben. An diesem Abend? Nahmen sie eine Auszeit.

Zwar gratulierte Murray zunächst professionell. Einen "unglaublichen Rekord" nannte er Djokovic' fünften Titel bei den Australian Open. Doch schon der Händedruck nach dem Matchball fiel so kühl aus, als wären die beiden 3:39 Stunden lang in der Arktis Achterbahn gefahren. Rasch kam der 27-Jährige aus Dunblane, der nun Weltranglisten-Vierter ist, auf den Punkt. Dabei war Murray noch nicht einmal nach seinem Ärger gefragt worden. Den hatten weder die 15 000 Zuschauer geahnt noch Djokovic, wie er später verriet.

"Ich habe mich im dritten Satz wirklich gestört gefühlt", monierte Murray, "weil er da mehrmals hinfiel und es aussah, als habe er Krämpfe." Noch nie habe er in einem seiner vorangegangen sieben Grand-Slam-Finals einen Gegner gehabt, "von dem ich dachte, er sei verletzt", führte Murray weiter aus, bevor er sich mühte, die Anklage nicht vollends eskalieren zu lassen: "Mein Job ist es, fokussiert zu bleiben. In diesen zehn Minuten habe ich aber das Match verloren." Ob dieses Eingeständnis eigener "mentaler" Schwäche, wie er auch sagte, ausreichen wird, die Wogen mit seinem Freund zu glätten?

"Ich habe einfach nur eine Schwäche gefühlt. Ich konnte keine medizinische Auszeit nehmen, weil es keinen Grund gab", so rechtfertigte sich Djokovic, der tatsächlich - wie schon gegen Titelverteidiger Stan Wawrinka - seltsame Phasen durchlebte. Erster Satz, 19:12 direkte Gewinnschläge zugunsten von Djokovic, zweimal mit einem Break in Führung - und doch schaffte er den Satzgewinn erst im Tie-Break. Bei 2:4 war Murray im Vorteil. Dann hob dieser die Feder einer Möwe auf, fabrizierte einen Doppelfehler und vier unerzwungene Fehler. Ein seltsames Ende.

Zweiter Satz, 2:0 Murray, Djokovic fing an, körperliche Schwächen zu zeigen, er war ausgerutscht, schaute sein rechtes Sprunggelenk an, an der Schlaghand hatte er Probleme an den Fingerknöcheln. Djokovic blickte verwundert zu Becker, so der Eindruck von der Tribüne. Auf einmal gelangen ihm dann aber 17 von 20 Punkten, er profitierte von Murrays harmlosem zweiten Aufschlag. 4:2 Djokovic. Als die Partie kurz wegen zweier Randalierer auf der Tribüne unterbrochen wurde, kam Murray besser mit der Pause zurecht. Re-Break, drei Mal wehrte er Breakbälle von Djokovic zum 6:5 ab, den Tie-Break dominierte er klar, 7:4. Alles sehr intensiv, und: seltsam.

Dann begann Satz drei, wieder ein Break, 2:0 Murray. Hier irgendwo zerbrach sein Spiel. Sagte Murray. Eine Chance, Djokovic' Aufschlag abzunehmen, hatte er noch bei 3:3. Das war es. Schnelles Satzende. Danach: 25 Punkte für Djokovic, elf für Murray, drei Breaks, 6:0. Und Murray, der nun vier Finals in Melbourne verlor, drei davon gegen Djokovic, er staunte, wie Djokovic "wieder physisch zurückgekommen ist". Das sagte Murray in jedes Mikrofon, und das waren viele an diesem Abend, an dem ein neuer Zuschauerrekord für das Turnier vermeldet wurde (703 899).

Djokovic tauchte spät in der Nacht dann auf. "Ich werde nichts Schlechtes über ihn in der Presse sagen", erwiderte er auf die Vorwürfe, die Murray hinterlassen hatte. Er präzisierte seine Sicht: Er hätte keine Krämpfe gehabt, nichts Gravierendes am Sprunggelenk, es sei nur ein physisch hartes Match gewesen. Mit "Katz-und-Maus"- Momenten, die ihn vor allem "Ende des zweiten, Anfang des dritten Satzes in eine Krise von 20 Minuten" stürzten. Es war schon merkwürdig, wie wenig es um den achten Grand-Slam-Titel des Weltranglisten-Besten ging, der nur zwischendurch kurz seine Freude zum Ausdruck bringen durfte: "Dieser Titel hat eine tiefere Bedeutung für mich, weil ich jetzt Vater und Ehemann bin. Ich fühle mich einfach sehr, sehr stolz", sagte Djokovic.

Im Oktober wurde sein Sohn Stefan geboren. Aus dieser neuen Perspektive heraus hatte er Murray bei der Siegerehrung noch einen freundlichen Gruß übermittelt. Dem Schotten, der seit November verlobt ist, hatte er lächelnd "alles Gute" und "viele Kinder" gewünscht.

© SZ vom 02.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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