Der Fußball-Weltverband rudert wieder im eigenen Sumpf, diesmal geht es um offenbar korrupte Funktionäre bei der WM-Doppelvergabe an Russland 2018 und Katar 2022. Nun aber könnte Fifa-Boss Sepp Blatter mit über Bord gehen: bei der Präsidentenwahl am 1. Juni in Zürich. Die neuen Vorwürfe wurden von Lord Triesman sowie einem britischen Abgeordneten am Dienstag bei Parlamentsanhörungen in London erhoben.
Kernstück der Anklage des ehemaligen englischen Bewerberchefs ist nicht nur, dass vier Funktionäre Gegenleistungen für ihre Voten gefordert hätten - sondern die Angst der Briten, dass sie ihre Chancen einbüßen, wenn sie die Korruption der Fifa meldeten. Das zielt direkt auf ein offenbar endemisch korruptes Wahlsystem des Weltverbandes.
Blatters erste Reaktion: Die Fifa brauche Beweise. Die jedoch liegen - zumindest für die vom Parlamentarier Damian Collins gegen afrikanische Vorständler erhobenen Vorwürfe - seit Herbst 2010 vor, übermittelt von der Sunday Times, deren Undercover-Reporter stunden- lange Korruptionsgespräche heimlich gefilmt hatten.
Nun kreidet das Blatt der Fifa beim Parlament an: "Aus unserer Sicht gab es keinen Versuch zu ermitteln, warum sechs Offizielle behaupten, dass eine erfolgreiche Bewerbung gekaufte Stimmen braucht. Zudem enthielten die Videobänder, die wir der Fifa gaben, klare Aussagen, dass es versuchte Stimmenkäufe in der aktuellen wie in früheren Bewerbungen gab." Massiv beschuldigt wurde bei den damaligen Aktionen neben Katar auch der für die WM 2010 gescheiterte Bewerber Marokko.
Collins sagte im Ausschuss, es gäbe Beweise für Zahlungen von je 1,5 Millionen Dollar an Fifa-Vize Issa Hayatou (Kamerun), den Chef des Afrika-Verbandes Caf, sowie den Ivorer Jacques Anouma - damit sie für Katar stimmten. Derweil belastete Triesman die Topfunktionäre Jack Warner, Nicolas Leoz, Ricardo Teixeira und Worawi Makudi. Warner habe ein Schulzentrum auf seiner Heimatinsel Trinidad gefordert, die Zahlung hätte über ihn laufen sollen.
Der Paraguayer Leoz habe gewünscht, in den Ritterstand erhoben zu werden, und sei "achselzuckend davongelaufen", als er ein Nein erhielt. Der Thailänder Makudi sei auf die TV-Rechte an einem Länderspiel Thailands gegen England erpicht gewesen. Teixeira, Chef der WM 2014 in Brasilien, soll direkt gefordert haben: "Sag', was du für mich hast." Teixeira nannte dies "absurd" und kündigte eine Klage an. Warner sagte der BBC, er habe nie Geld für seine Stimme gefordert - was Triesman ja gar nicht so konkret behauptet.
Einen Hinweis aufs offene Präsidentschaftsrennen liefert Blatters distanzierte Reaktion auf die Vorwürfe. Er sei sauber, könne aber nicht für andere im Vorstand sprechen; er wisse nicht, ob dort "Engel oder Teufel" sitzen. Wie es heißt, erwägen die unterlegenen WM-Bewerber England und Australien im Fortgang der Affäre gegen die Vergabe zu klagen.
Nun dürfte die Fifa wieder ihre berüchtigte Ethik-Kommission aktivieren. Aus der hat sich jüngst der ehemalige Bundesgerichtshof-Präsident Günter Hirsch mit schweren Vorwürfen verabschiedet. Dem Kommissionschef Sulser schrieb er Ende 2010, er sei überzeugt, "dass die Verantwortlichen der Fifa kein Interesse daran haben, eine aktive Rolle bei der Aufklärung, Verfolgung und Vorbeugung von Verstößen gegen das Ethikreglement der Fifa zu spielen".
Das bekam die Fifa im Juni 2010 auch von der Schweizer Justiz testiert: Die gab bekannt, dass Topfunktionäre nach Artikel 53 des Schweizer Strafgesetzes diskret 5,5 Millionen Franken an die Fifa zurückzahlten.
Diese, der aktuelle und weitere offene Korruptionsfälle in der Chefetage werfen Fragen zu Blatters jüngster Presse-Aktion am Montag auf. Drei Wochen vor der Fifa-Präsidentenwahl verkündete er Interpol-Generalsekretär Ronald Noble, dass die Fifa 20 Millionen Euro spenden werde für den Kampf gegen Wettbetrug und Korruption.
Aus Kreisen von Blatters Herausforderer Mohamed Bin Hammam, der im Vorstand und in der Finanzkommission der Fifa sitzt, heißt es, die Millionenspende sei nicht mit den Gremien abgesprochen worden und werde als Teil des Blatterschen Wahlkampfes betrachtet. Was wohl verboten wäre.
Interpol ließ Anfragen zu Zeitpunkt und Details der Millionenspende unbeantwortet. Der Weltverband teilte mit: "Interpol hat die Fifa mit diesem Vorschlag vor einigen Wochen kontaktiert." Eine zeitliche Nähe hatte tags zuvor bereits Sylvia Schenk, Sportexpertin von Transparency International, kritisiert: Die Kooperation mit Interpol sei "verdächtig nahe am Wahltermin.
Die Verkündung darf nicht vom gut dokumentierten Defizit an interner Transparenz der Fifa ablenken". Die Sache sei "ein Schnellschuss, und - erneut - fehlt Transparenz", sagt Schenk. Und weiter: "Wer verhandelte wann die Details? War die Exekutive befasst oder war es eine präsidiale Entscheidung?"