FC Schalke:Allein auf der Rolltreppe

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Es war einmal eine königsblaue Familie: Die Managersuche zeigt, dass sich Schalkes Führungsebene im Zustand der Selbstauflösung befindet.

Philipp Selldorf

Josef Schnusenberg wollte ein Bier trinken. Er bahnte sich den Weg zur Bar in Schalkes festsaalgroßer Vip-Schänke, wo - bald zwei Stunden nach dem Abpfiff - immer noch ein paar Leute dieses grauenvolle Fußballspiel besprachen. Als Schnusenberg bis zur Theke vorgedrungen war, sprach ihn in offenbar freundlicher Absicht ein Gast an, und wer es gut meint mit Schalkes Präsident, der dachte sich in diesem Moment: Endlich hat der Mann mal ein wenig Gesellschaft.

Manuel Neuers unfreiwillige Vorlage zu Hamburgs 1:0 passt zur Schalker Gesamtsituation. (Foto: Foto: AP)

Es ist derzeit bestimmt kein Vergnügen, Präsident des FC Schalke 04 zu sein. Man wüsste das gern etwas genauer, aber Schnusenberg hat am Sonntag nach der 1:2-Niederlage seines Klubs gegen den Hamburger SV keine Fragen beantworten wollen. Minutenlang stand der Vorstandschef am Kabinengang und schaute schweigend, mit unergründlicher Miene vor sich hin. Schließlich gab er sich einen Ruck und nahm die Rolltreppe nach oben, ganz allein fuhr er davon, ein irgendwie bezeichnender Anblick.

Früher haben sie sich nach den Spielen immer geschlossen im Pressesaal versammelt, ein familiäres Bild entstand: Vorne saß der Trainer, an der Seite hinter der Theke standen der Präsident, der Manager Andreas Müller, der Geschäftsführer Peter Peters. Und nun? Schnusenberg fuhr einsam Rolltreppe, Peters saß während des Spiels nicht mal auf seinem Platz im Stadion, Müller ist in den Ruhestand versetzt worden.

Schalkes langjährig erprobte Führung befindet sich im Zustand beschleunigter Selbstauflösung, als einziger Akteur ist Aufsichtsratchef Clemens Tönnies übriggeblieben. Die Neubesetzung der Managerstelle regelt er im Alleingang. Dies immerhin unter Berufung auf die Vereinssatzung und mit beachtlichem Selbstbewusstsein. Seine Behauptung, dass die Bewerber, Oliver Kahn eingeschlossen, Schlange stünden, "weil Schalke einfach ein geiler Klub ist", widerspricht allerdings etwas der öffentlichen Wahrnehmung.

Wie lange der amtierende Trainer noch an der Faszination Schalke teilhat, ist mittlerweile auch dringend fraglich. Die minimalen Impulse, die Fred Rutten aussendet, lassen nicht darauf schließen, dass er noch geeignet ist, seinem Team Mut zu machen.

Neben dem vergnügten Martin Jol, der den Sieg seiner vielfach beschäftigten und personell erheblich geschwächten Mannschaft "fast unglaublich" nannte, wirkte Ruttens resignierte Erscheinung umso ergreifender. "Ich glaube, dass unser Spiel von der ersten Minute an nicht so war, wie ich mir das vorgestellt hatte", sagte Schalkes Trainer. Der Grund? "Das ist immer ganz schwierig, das zu entdecken. Die Atmosphäre war von der ersten Minute so."

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Die Atmosphäre in der Arena glich ungefähr der Stimmung auf dem Friedhof Rosenhügel, Ernst Kuzorras letzter Ruhestätte. Die Fans waren so fassungslos, dass sie sich nicht mal mehr die Mühe machten, zu pfeifen und zu buhen. Zwei Wochen zuvor beim 1:0-Sieg gegen Köln schien noch ein Volksaufstand zu drohen, nun beobachteten die Anhänger stumm und fatalistisch, wie sich ihre heillos eingeschüchterte Elf gegen den defensiv stabil gebauten HSV vergeblich mühte. Wie sie qualvoll bei dem Versuch scheiterte, Torchancen zu erspielen, und wie schließlich und folgerichtig die Partie durch persönliche Fehler (Torwart Manuel Neuer, Verteidiger Lewan Kobiaschwili) verloren ging.

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Martin Jol wollte höflich sein, als er später dem Gastgeber ein Kompliment machte: "Natürlich ist es so, dass Schalke, ich denke, Qualität hat..." Entlarvenderweise fielen ihm als Qualitätsmomente aber nur die Namen Heiko Westermann und Jermaine Jones ein. Beide waren tatsächlich die besten, weil eifrigsten Schalker, aber genau das ist ja das Problem dieser Mannschaft: dass zwei dezidierte Schwerarbeiter universell Verantwortung als Raumordner, Spielmacher und Torjäger tragen müssen.

Fred Rutten unternimmt wenig gegen die Berechenbarkeit seines Teams und seines sturen Spielsystems. Christian Pander, die einzige Spezialwaffe im Kader, wird mutwillig ignoriert. Den Linksverteidiger bringt Rutten gewohnheitsmäßig dann, wenn es zu spät ist, gegen Hamburg etwa beim Stand von 0:2. Panders erste Ballberührung belegte, warum seine scharfen Freistoßflanken so dringend vermisst werden.

Sein zweiter Kontakt führte via Kevin Kuranyi zu Jefferson Farfans Anschlusstor. Aber Rutten erklärte später, es sei "immer gefährlich", Pander einzusetzen. Zwar sieht er auch, dass der alternativ aufgebotene Kobiaschwili seine besten Tage hinter sich hat ("er macht es nicht top, aber auch nicht schlecht"), aber Rutten hat das Mittelmaß inzwischen schätzen gelernt.

Am Sonntag, sagte er, hätte er offenbar auch ein 0:0 für gut befunden: "Wenn man das Gefühl hat, man kann das Spiel nicht gewinnen, dann muss man es auch nicht verlieren." Kaum vorstellbar, dass Schalke sich mit solchen Ansprüchen begnügen möchte.

© SZ vom 24.03.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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