In einer Branche, in der es ausschließlich ums Gewinnen geht, darf man keine Zeit verlieren. 14 Minuten haben die Fußballer vom FC Schalke 04 am Donnerstagabend gebraucht, um zwischen 22.17 und 22.31 Uhr im Achtelfinal-Rückspiel bei Borussia Mönchengladbach einen 0:2-Rückstand zu egalisieren und dadurch ins Viertelfinale der Europa League gegen Ajax Amsterdam einzuziehen.
Aber auch, nachdem dieses kleine Wunder vollbracht und das Spiel bei 2:2 beendet war, zeigten sie sich auf Zack. Wieder benötigten sie exakt bloß 14 Minuten, um nach dem Schlusspfiff (22.56 Uhr) um 23:10 Uhr ein Foto zu twittern, das die jubelnden Fußballer in der Kabine zeigt - und im Vordergrund hält ihr Kapitän Benedikt Höwedes einen 20 Jahre alten Wollschal ins Bild, auf dem steht: "Eurofighter - Uefa-Cup-Sieger '97." Als Höwedes wenig später die ersten Interviews gab und bereits auf das Foto im Internet angesprochen wurde, spielte er mit diebischem Vergnügen den Fortschritts-Skeptiker: "So schnell schon hochgeladen? Das ist dieses Internet - ich glaub' aber nicht, das sich das durchsetzt."
Höwedes hatte gut lachen. Wer sich durchsetzt und wer nicht, das war am Donnerstagabend der rote Faden eines großartigen Fußballkrimis, eines denkwürdigen Europapokal-Duells, in dem es nicht nur um die Frage ging, ob die Schalker verdient ins Viertelfinale eingezogen sind, sondern vor allem, ob sie mit ihren beiden Toren zwischen der 54. und der 68. Minute mehr Glück als Verstand hatten. Die Gladbacher waren genau dieser Ansicht. Zuerst ist nämlich beim 1:2 nach einem Fernschuss von Leon Goretzka der Ball von einem Huckel im sechs Tage zuvor verlegten Rasen hochgesprungen und war damit für den bereits am Boden liegenden Torwart Yann Sommer nicht mehr zu halten. "Als Kinder haben wir auf Bolzplätzen gespielt, auf denen so etwas ständig passiert ist", sagte Gladbachs Trainer Dieter Hecking sarkastisch - machte aber trotzdem nicht den Eindruck, als wolle er die fristlose Entlassung des Gladbachers Greenkeepers vorantreiben.
Ungehaltener reagierten die Borussen auf das Gegentor zum 2:2, als Mahmoud Dahoud den Ball in der 68. Minute erkennbar unabsichtlich wohl nur ganz leicht am Oberarm nahe der Schulter berührte. Angelegt war der Arm auch. Der Schiedsrichter des letztjährigen EM-Finals und Champions-League-Endspiels, der Engländer Mark Clattenburg, wertete dies als Handspiel und pfiff einen Elfmeter, den Nabil Bentaleb zum Ausgleich verwandelte. Der Gladbacher Angreifer Jonas Hofmann hat nach dem Abpfiff offenbar schnell durchgerechnet, wie viel Geld er auf der hohen Kante hat, jedenfalls sagte er hinterher in die Fernsehkameras: "Ist mir egal, wenn ich eine Geldstrafe bekomme, aber dieser Elfmeter war ein Riesenwitz, ja, eine Frechheit."
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Ein Riesenwitz ist im Fußball meistens nicht zum Lachen, jedenfalls nicht für die unterlegene Partei. Die siegreiche, in diesem Fall Schalke, konnte sich hingegen das Grinsen nicht verkneifen. "Ein bisschen Glück hatten wir schon", gestand der Manager Christian Heidel, betonte jedoch mit dem pauschalen Verweis auf immer mal wieder selbst erlittenes Unglück: "Wir schämen uns dafür aber nicht." Höwedes führte als Auslöser fürs Miniwunder gar den Konsum einer Fernsehübertragung in der Vorwoche an und widerlegte damit all jene, die behaupten, Fernsehen mache dumm. "Wenn Barcelona in fünf Minuten drei Tore schießen kann, dann können wir doch in einer Halbzeit zwei schießen", sagte er und nannte den festen Glauben an die Wende als bedeutsames Argument für die Pointe dieses Spiels. "Glaube versetzt manchmal Berge", zitierte Höwedes aus dem Poesiealbum und gab für Freunde gepflegter Aphorismen gleich noch eine Zugabe: "Wir haben das Glück erzwungen."
Erst richtig romantisch wurde die Angelegenheit für Schalke-Fans mit dem Twitterfoto, dem Wollschall und der Eurofighter-Analogie, also der Erinnerung an jene mediokre Schalker Mannschaft, die vor 20 Jahren sensationell und unerwartet den Uefa-Pokal gewann. Während Höwedes suggerierte, die heutige Schalker Mannschaft verfüge wohl über einen ähnlich starken Charakter, war sich Torschütze Goretzka sicher: "Die Fans glauben auf jeden Fall daran."
Dieses Spiel, schwelgte Manager Heidel, "war einer dieser besonderen Momente, die man im Laufe einer Saison erlebt", und auch Höwedes nannte den Triumph einen "Schlüsselmoment". Es braucht nicht viel Fantasie, um zu entschlüsseln, was die Schalker sich davon erhoffen, nämlich frischen Schwung für eine bis dato nicht allzu überzeugende Bundesliga-Saison sowie einen Rückenwind, der sie ja vielleicht sogar bis ins Europa-League-Finale in Solna bei Stockholm befördert. Am Freitag bekamen die Schalker Ajax Amsterdam zugelost - ein Gegner, vermeintlich schwerer als Genk aber leichter als Manchester United. Der Weg ist natürlich noch weit, aber den Eurofightern hat das Endspiel gegen Inter Mailand damals auch niemand zugetraut. Exakt 20 Jahre später wäre dies eine wahrlich gelungene Reminiszenz.