FC Liverpool:Klopps Taktik ist für England neu

Lesezeit: 3 min

  • Trainer Jürgen Klopp stellt den Gegnern unbekannte Aufgaben.
  • Der Taktikvorsprung des FC Liverpool ist für die steinreiche Premier League besorgniserregend.
  • Hier geht's zu den Ergebnissen und der Tabelle der Premier League

Von Sven Haist, London

Das Büro von Jürgen Klopp strahlt Wohlbefinden aus. Eine Glaswand hinter seinem Arbeitsplatz durchflutet den Raum mit Tageslicht. Vor seinem Schreibtisch steht ein beiges Sofa, auf dem es sich der Trainer des FC Liverpool und sein neunjähriger Nachhilfelehrer bequem gemacht haben. Es geht um Begrifflichkeiten des Liverpooler Dialekts, die Klopp im besten Fall erraten soll und dann von Isaac, einem Fanjungen, erklärt bekommt. Einmal umarmt Klopp den Jungen und prophezeit ihm eine Karriere als Fußballer oder Musiker. Warme Worte fallen, und Klopp baut ein paar seiner bereits bekannten Witzeleien ein.

So sieht der Inhalt eines Videos aus, das seit einiger Zeit sozusagen als Botschaft des Premier-League-Klubs FC Liverpool um den Globus zieht.

Bundesliga
:Die Bayern sind doch zu schlagen

Die Meisterschaft wird diese Erkenntnis aber kaum beeinflussen. Schon eher die Champions League.

Kommentar von René Hofmann

Nach dem Prinzip des Schneeballsystems wird die kleine Unterrichtsstunde in Scouse, der Mundart an der Mersey, von einem Kontinent zum nächsten geworfen. Der Absender heißt immer Liverpool, das Produkt trägt den Namen Jürgen Klopp. Vorbei die Zeiten, als Klopp andere Waren im Fernsehen anpries, mittlerweile ist er die Marke, die verkauft wird - Abnehmer gibt es genügend.

Vorwiegend die Medien, die sich wie eine Hundehorde auf Klopp stürzen, als würde der ein rohes Stück Fleisch verteilen. Jeder Satz wird ihm aus der Hand geschleckt. Das am besten schmeckende Leckerli ist Klopps gespielte Entrüstung - "Bist du verrückt?" - auf die Frage nach einem möglichen Gewinn der Meisterschaft.

1 / 13
(Foto: imago/Action Plus)

Hochprozentiges aus dem Schwarzwald: Jürgen Klopp wird in Liverpool immer beliebter.

2 / 13
(Foto: Justin Tallis/AFP)

Schon wieder verloren: Der FC Chelsea unterliegt 0:1 gegen Aufsteiger AFC Bournemouth an der Stamford Bridge. Wie geht es nun mit José Mourinho weiter?

3 / 13
(Foto: Clive Brunskill/Getty Images)

Bastian Schweinsteiger geht zu Boden und Manchester United krebst nach dem 0:0 gegen West Ham in der Tabelle auf der Stelle.

4 / 13
(Foto: Ian Kington/AFP)

Baff: Olivier Giroud (rechts) trifft gegen seinen völlig verduzten Torhüter Peter Cech zum zwischen zeitlichen 1:1 gegen Sunderland ins eigene Tor,...

5 / 13
(Foto: Shaun Botterill/Getty Images)

...um dann 18 Minuten später selbst das 2:1 für den FC Arsenal zu schießen. Am Ende gewinnen die Gunners 3:1.

6 / 13
(Foto: Paul Childs/Reuters)

Nicht Jamie Vardy: Riyad Mahrez (rechts) schießt für Leicester City alle drei Tore gegen Swansea und die Füchse damit wieder auf Platz eins.

7 / 13
(Foto: Phil Noble/Reuters)

Marko Arnautovic, ehemals in Bremen geschmäht, schießt Manchester City mit zwei Toren alleine ab. Stoke gewinnt 2:0.

8 / 13
(Foto: Getty Images)

Sadio Mané (Mitte), von dem Bayern-Trainer Pep Guardiola unter der Woche schwärmte, kommt mit dem FC Southampton gegen Aston Villa nur zu einem 1:1.

9 / 13
(Foto: Stephen Pond/Getty Images)

Aufsteiger FC Watford schlägt an der hemischen Vicarage Road Norwich City mit 2:0 und rückt in der Tabelle auf Platz neun vor.

10 / 13
(Foto: Ross Kinnaird/Getty Images)

James McClean (Mitte) trifft für West Bromwich Albion: Am Ende reicht es gegen Tottenham Hotspur nur für ein 1:1.

11 / 13
(Foto: Maurizio Brambatti/dpa)

Weiter, immer weiter. Miroslav Klose (l.) steht auch mit 37 Jahren für Lazio auf dem Feld, hier gegen Giorgio Chiellini. Juventus gewinnt trotzdem 2:0.

12 / 13
(Foto: imago)

Angekommen. Lukas Podolski trifft für Galatasaray zum 1:0 gegen Bursaspor (Endstand: 3:0). Es ist sein siebter Treffer in der türkischen Liga.

13 / 13
(Foto: Weric Gaillard/Reuters)

Ecke geahnt, aber gegen die Wucht von Zlatan Ibrahimovics Elfmeter hat Nizzas Torhüter Yoan Cardinale keine Chance. Paris gewinnt 3:0.

Zwei Spiele fehlen bis zur Rückkehr nach Wembley

Das verbale Bonmot ereignete sich nach dem Auswärtssieg bei Chelsea, damals war es der erste Erfolg von Klopp bei seinem neuen Arbeitgeber. Dem 3:1 an der Stamford Bridge hat Liverpool allerdings bei Manchester City ein gesteigertes 4:1 folgen lassen und am vergangenen Mittwochabend gar ein 6:1 im Viertelfinale des Ligapokals in Southampton. Zwei Halbfinalpartien gegen Stoke City Ende Januar trennen Klopp vor einer beruflichen Rückkehr ins Wembley-Stadion, wo auf ihn jedoch statt der Champions-League-Trophäe die Plakette des Ligapokals warten würde.

Diesen nutzlosen Wettbewerb gewannen die Reds vor drei Jahren. Selbst eine Duplizität des Ereignisses könnte selbstverständlich die seit mehr als zwei Jahrzehnten vergeblichen Bemühungen auf eine Meisterschaft nicht entschädigen, allerdings etwas trösten. Neun Punkte trennen die Reds von der Tabellenspitze, der Spielplan gibt grünes Licht für eine Aufholjagd bis Neujahr. Nur Leicester City flößt Vorsicht ein; Newcastle United dagegen, der nächste Gegner am Nikolaustag (17 Uhr), ist Vorletzter.

Auswärts kracht es aktuell sowieso bei Liverpool. Die Teams von Klopp bevorzugen es, Spielanteile abzugeben und sich auf das taktische Stilmittel des schnellen Gegenstoßes nach Balleroberung auszurichten. Borussia Dortmund hat dieser Schachzug gelb erleuchten lassen, zwei Meisterschaften und einen glorreichen Pokalerfolg hat der BVB unter Klopp eingeheimst. An diesem Stern haben sich der FC Bayern und Real Madrid geblendet.

Fußball-England war davon nicht betroffen, weil es zu oft traumwandelt. Die Klub-Verantwortlichen ziehen ihre Sonnenbrillen auf und erliegen dem Trugschluss, dass sich das meiste Fachwissen automatisch dort aufhält, wo das größte Geldreservoir lagert. Das hat sie in Sicherheit gewiegt - bis nacheinander in dieser Saison Chelsea, ManCity und Southampton der Sichtschutz weggenommen wurde.

Erst jetzt fängt der Rest der Konkurrenz an, sich über das Liverpooler Anforderungsprofil Gedanken zu machen. Hilfestellung erhalten sie ausgerechnet in Anfield, der Brutstätte der Klopp-Folklore. Aus Respekt igeln sich die Gegner am Strafraum ein und suchen mit Befreiungsschüssen einen Ausweg aus dem Labyrinth der Balljagdhasardeure. Sie docken damit an einer empfindlichen Stelle in Liverpools System an: dem Spielaufbau. In der frühen Phase unter Klopp gab es noch keine Zeit für eine Restauration auf diesem Gebiet, zumal der 48-jährige Stuttgarter sowieso nie durch ausgefuchstes Agieren mit dem Ball gegen eine geordnete Abwehr aufgefallen ist.

Die anderen Star-Trainer sind viel mit sich beschäftigt

Der taktische Vorsprung auf der roten Merseyside, der sich in erster Linie durch Klopps Assistenten Zeljko Buvac eingestellt hat, ist besorgniserregend. Die großen Figuren der englischen Trainerszene Arsène Wenger, José Mourinho und Louis van Gaal sind vorwiegend mit internen Kämpfen beschäftigt. Und Manuel Pellegrini wird zwar Ingenieur genannt, aber die meisten Menschen finden, dass Manchester City gegebenenfalls trotz und nicht wegen Pellegrini Meister wird. Die Schwäche der Konkurrenz ist derzeit die größte Stärke der Reds.

Als erster der ruhmreichen englischen Klubs hat also der FC Liverpool mit der Verpflichtung von Jürgen Klopp einen Strategiewechsel eingeleitet. Eine Hochrechnung ist gewagt. Den Verein plagen noch die Altlasten der Phase unter Klopps Vorgänger Brendan Rodgers. Der Gedanke ist aber keinesfalls mehr verrückt, dass der Zeitvorsprung, den sich die Reds durch ihre frühen Sanierungsmaßnahmen verschafft haben, bald an der Tabelle abzulesen sein wird.

© SZ vom 06.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: