Fans des FC Bayern München:Der Stamm des Stammbaums

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Riesige Schals und Fahnen: Die SK 73 zieht vor dem Pokal-Finale 1975 gegen Leeds durch Paris. (Foto: privat/oh)

"Jede Auswärtsfahrt war ein Abenteuer": Vor 50 Jahren wurde die "Südkurve 73" gegründet - der erste Fanklub des FC Bayern prägte die gesamte deutsche Fankultur maßgeblich.

Von Christoph Leischwitz

Vom ersten Date bis zur Geburt dauerte es in diesem Fall nur sieben Monate. Die ersten Fans im heutigen Sinne, mit Fahnen, Schals und Gesängen, gab es beim FC Bayern München schon seit Mitte der Sechziger Jahre. Aber nach dem Umzug aus dem Grünwalder Stadion ins neu errichtete Olympiastadion waren sie erst einmal auf der Suche nach einem neuen Platz. Die Handvoll "jugendlicher Fußballfans" (damalige Lokalpresse) strawanzte unbehelligt zwischen den Blöcken hin und her, sprang über Plexiglasscheiben, stand mal hier, mal da im weiten Rund. Und am 2. August 1972 begab sie sich zum ersten Mal in die Südkurve, bei einem Ligapokalspiel gegen den Lokalrivalen 1860.

Immer öfter sammelte sich die Gruppe mit den großen Fahnen und den selbstgestrickten Schals danach im V-Block der Südkurve. Vor allem, weil sie hier unter dem Zeltdach stand und die Gesänge lauter wirkten. Im Februar 1973 trafen sich drei junge Fans, die schon zu Grünwalder Zeiten regelmäßige Stadiongänger gewesen waren, um das immer größer werdende Fandasein ein bisschen besser zu organisieren: Franz Willer, Rudi M. und Klaus Billmeier. Letzterer ist ein Giesinger, der darauf besteht, dass Giesing nie komplett blau war. Bei dem damals 18-Jährigen zu Hause fand ein erstes Planungstreffen statt.

Am 27. Februar 1973 dann, 73 Jahre nach der Geburt des Vereins, wurde in der Kneipe "Karl Theodor" in der Nähe der U-Bahnstation Bonner Platz die "Südkurve 73" gegründet. "Zuerst wollten wir den Fanklub Rothosen nennen", erzählt Billmeier, schließlich gab es schon in den 1920er Jahren eine Art Bayern-Fanzine mit dem Namen "Rothosenzeitung". Allerdings war ihnen zu Ohren gekommen, dass es beim Hamburger SV auch schon so eine Bezeichnung gab. "Und dann haben wir gesagt: Dann benennen wir uns halt nach unserer neuen Heimat."

Die SK 73 ist der Stamm des Bayern-Fan-Stammbaumes. Alle darauf folgenden Fangruppierungen des FC Bayern, bis hin zu der Ultra-Gruppierung Schickeria, hatten direkte Verbindungen zur SK 73, oft wurden sie von SK 73-Mitgliedern selbst gegründet, wie zum Beispiel die erste Rockergruppe Red Angels, gegründet am Silvesterabend 1978. Die SK 73 wiederum prägte auch die deutsche Fankultur maßgeblich, denn sie erlebte schlicht viel mehr als alle anderen. Mit dem Umzug ins Olympiastadion hatte sich ja auch der Verein selbst professionalisiert, es folgten schon bald drei Europapokalsiege in Serie. Wohl keine andere Fangruppierung lernte in dieser Zeit Europa besser kennen. Ihre Anhänger sahen noch im Gründungsjahr den Goldenen Reiter in Dresden, sie zogen 1975 durch Paris, zum Europapokal-Finale gegen Leeds (2:0). Ein Jahr davor hausten ein paar von ihnen drei Tage lang am Brüsseler Hauptbahnhof, weil das erste Finale gegen Atletico Madrid 1:1 geendet (Fernschuss Katsche Schwarzenbeck) und damals noch ein Wiederholungsspiel nötig war.

Auch die Fanfreundschaften zu Hertha BSC und dem VfL Bochum gehen auf die Gründerväter der SK 73 zurück

"Jede Auswärtsfahrt war ein Abenteuer", erzählt Falk Diehl, Mitglied Nummer sechs der SK 73. Das galt auch innerdeutsch. Diehl erinnert sich, dass er als 15-Jähriger mit zum Spiel beim HSV reiste, mit zwei D-Mark in der Tasche, bei der Schaffnerkontrolle versteckt unter einem Sitz. Damals stieg man natürlich nicht in einem Hotelzimmer ab, sondern verbrachte die Nacht auf der Reeperbahn. Auch die Fanfreundschaften zu Hertha BSC und dem VfL Bochum gehen auf die Gründerväter der SK 73 zurück. Auch Nicht-Stadiongänger bekamen die neue Art von Fans zu sehen: Mitglieder der SK 73 traten in den Serien "Polizeiinspektion 1" und "Der Alte" auf und durften pöbelnde Fußballrowdys spielen.

Marsch als Ritual: die SK73 auf dem Weg vom "Lustigen Bauern" zum Olympiastadion. (Foto: privat/oh)

Die Gruppe wuchs und wuchs. Bei den Heimspielen wurden neue Mitglieder akquiriert, die sich von den Gesängen und den rot-weißen Utensilien magisch angezogen fühlten und sich trauten, die coolen Jungs in Jeansjacke anzusprechen: "Woher hast du den Schal?" - "Wo trefft ihr euch vor dem Spiel? Darf ich da auch hinkommen?" Das "Karl Theodor", damals eine bessere Boazn mit Kegelbahn im Keller, wurde nach und nach abgelöst vom "Lustigen Bauern", weil von dieser Gaststätte nördlich des Petuelrings die Wegstrecke für den ritualisierten Marsch zum Stadion kürzer war.

Durch die vielen Europapokal-Abende bekamen sie schon bald auch Besuch von größeren ausländischen Schlachtenbummler-Gruppen, erstmals am 21. März 1973 beim Spiel gegen Ajax Amsterdam. Es war auch das erste Spiel im Olympiastadion mit einem großen Polizeiaufgebot. "Aya, aya, aya, die Fehler macht der Maier", riefen die niederländischen Besucher auf Deutsch. Die SK 73 skandierte: "Aaaaajax ist zum Putzen da!"

Der unglaubliche Aufwand, sich mit dem FC Bayern zu identifizieren und ihm überall hin zu folgen, wurde damals nicht vom Verein organisiert, sondern von den Fans selbst betrieben. Ohne den schon vor vielen Jahren verstorbenen Peter Dominitzki wäre es kaum gegangen. Er besaß am Stachus das Reisebüro Gloria Reisen und organisierte Auswärtsfahrten, er bestellte Aufnäher, Wimpel und Anstecknadeln, die man damals in England ordern musste. Dominitzki war Ansprechpartner für die Presse und auch für die Polizei, wenn es mal Ärger gab. Die Eltern minderjähriger Fans, übrigens auch weiblicher, ließen ihre Kinder mitreisen, weil sie Vertrauen zu Dominitzki hatten.

Die SK 73 war kein offizieller Fanklub, hatte aber selbstgedruckte Mitgliedsausweise. (Foto: privat/oh)

Dominitzki besorgte der SK 73 auch ein erstes festes Zuhause, in der Parkstraße nahe der Theresienwiese. Er hatte auch eine Jukebox aufgestellt. Dort standen die Fans und studierten auf Melodien von Boney M oder den Beatles neue Texte ein - die zum Teil heute noch in Stadien gesungen werden.

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