Fußball:Hollerbach 2.0

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Blickt über den Campus hinaus: Jochen Sauer, Leiter des Nachwuchsleistungszentrums des FC Bayern München. (Foto: Andreas Gebert/dpa)

Der FC Bayern München richtet sein Nachwuchsleistungszentrum neu aus - und will seinen Blick bei aller Globalisierung künftig vermehrt auf die individuelle Entwicklung seiner Talente richten. Und die besten von ihnen dann auch halten.

Von Christoph Leischwitz

Das aktuellste Beispiel für das, was Jochen Sauer umtreibt, ist der Werdegang von Benedict Hollerbach. Der Starnberger kam mit 13 Jahren von 1860 München zum FC Bayern, der Offensivspieler wurde schon bald ein Leistungsträger in einem starken Jahrgang, die U17 der Bayern wurde 2017 mit Trainer Tim Walter deutscher Meister. Dann ging der Lockenkopf Hollerbach ablösefrei zum VfB Stuttgart und von dort zum SV Wehen Wiesbaden. Immerhin, mit 19 Jahren und vier Monaten bestritt Hollerbach dort sein erstes Spiel in der dritten Liga, also im Männer-Profifußball. Jetzt ist er 22 und steht kurz vor dem Sprung zu Union Berlin, einem Champions-League-Teilnehmer also.

Für Jochen Sauer geht es nun darum, dass die Hollerbachs der Zukunft ein, zwei Jahre früher bei einem Champions-League-Teilnehmer ankommen. Und darüber hinaus natürlich auch darum, dass dieser Champions-League-Teilnehmer ab und an auch FC Bayern München heißt, wenn eben jener Verein diese Spieler schon ausbildet.

Sauer, 50, hatte in den vergangenen Tagen noch einiges zu besprechen, ganz kurz war seine Zukunft als Nachwuchsleiter tatsächlich auf der Kippe gestanden. Das lag unter anderem daran, dass der Leiter des FC-Bayern-Campus Planungssicherheit für künftige Aufgaben haben wollte, jedoch hing im Mai, nachdem die Entscheider Hasan Salihamidzic und Oliver Kahn den Verein verlassen mussten, auch die strategische Ausrichtung des Campus in der Luft. Sauers Vertrag lief am 30. Juni aus, am 5. Juli gaben die Bayern die Verlängerung bekannt, dem Vernehmen nach eine langfristige. Nach "sehr guten und zielführenden Gesprächen" strebe man "künftig eine noch engere Vernetzung sowie eine stärkere Durchlässigkeit an", so wird der neue Vorstandsvorsitzende Jan-Christian Dreesen in der Mitteilung zitiert. Mit anderen Worten: Der Campus soll sich endlich lohnen. Ein für Sauer sehr wichtiger Schritt dorthin liegt in einer Kooperation namens "Red&Gold Football", einem neuen Ansatz zur Internationalisierung des Campus. Das im Frühjahr gegründete Joint Venture, dessen Geschäftsführung Sauer nun übernimmt, besteht bislang aus dem FC Bayern und Los Angeles FC, könnte aber auch noch größer werden.

Sauer sieht ein paar übergeordnete Gründe dafür, dass sich die Entwicklung der besten deutschen Fußballer zurzeit so schwierig gestaltet, aber auch einen hausgemachten. "Wir haben ein Problem im Übergang zwischen Jugend- und Erwachsenenfußball", sagt er, wie man ja auch an den jüngsten Leistungen der Männer- und der U21-Nationalmannschaft sehen könne - letztere scheiterte jüngst bei der EM in der Vorrunde. Das Problem liege darin, dass "17- bis 19-Jährige teilweise zu spät und zu wenig Einsatzzeiten in den höchsten Ligen bekommen, gerade im Vergleich zu anderen europäischen Ländern wie Spanien oder Portugal". Die Folge: In der Spitze habe man immer noch gute Spieler, aber die Spitze ist nicht breit genug.

"Auch am FCB Campus haben wir uns vielleicht etwas zu viel um taktische Konzepte und ein bisschen zu wenig um die individuelle fußballerische Ausbildung gekümmert."

Sauer begrüßt in diesem Zusammenhang die Reform der Junioren-Bundesligen, die von 2024/25 an nicht mehr in drei geografischen Staffeln ausgetragen werden, sondern in kleinen regionalen Vor- und überregionalen Hauptrunden. "Das ist eine sehr positive Weiterentwicklung der Wettbewerbe. Wir haben darüber aber auch fast fünf Jahre lang diskutiert". Was eine "grundlegende Reform der dritten und vierten Liga angeht, die auch wichtig wäre - da bin ich nicht sehr optimistisch". Dort verließen sich einfach zu viele Vereine auf Routiniers, wenn es hart auf hart kommt. Jemand wie Hollerbach hätte schon ein Jahr früher die Chance bekommen müssen, im Männerfußball zu landen. Gleichzeitig räumt Sauer auch eigene Fehler ein: "Wir haben am FC Bayern Campus schon seit der Corona-Zeit das Individualtraining forciert, zum einen auf dem Platz, zum andern in unsrem Skills Lab. Aber auch wir haben uns in den letzten Jahren vielleicht etwas zu viel um taktische Konzepte und ein bisschen zu wenig um die individuelle fußballerische Ausbildung gekümmert."

Weil aus Deutschland wenig Innovation komme, versucht Sauer nun, das Bayern-Netzwerk weiter zu globalisieren. "Red&Gold Football" soll nun dazu beitragen, die "Lücke zwischen Nachwuchs und der Profimannschaft zu schließen", sagt Sauer. Die Chance, Spieler zu verleihen, die dann Einsatzzeit in der Major League Soccer (MLS) bekommen, sei dabei nur eine Option. Es gehe darum, insgesamt das Niveau zu heben, mehr potentielle Profis zu haben, den Konkurrenzkampf zu schüren und so Spieler besser zu machen. Und ja, auch darum, einige aus den USA und Südamerika rekrutieren zu können und neue Märkte zu erschließen, zumal der FC Bayern ja auch schon ein Büro in den USA unterhält. "Es wird für mich kein großer Unterschied im Arbeitsaufwand sein", sagt Sauer, "bis 2018 hatten wir eine intensive Kooperation mit dem FC Dallas, diese wird jetzt durch die Partnerschaft mit LAFC ersetzt, und das Ganze erhält noch mehr Struktur." In Wahrheit war das aber einer der Punkte, worum es mit der Verlängerung so lange hakte: Sauer wollte sich ein wenig aus dem operativen Campus-Geschäft zurückziehen, um etwas mehr Energie in die neue Kooperation zu stecken, die er für richtungsweisend hält.

Wenn vielen Vereinen allerdings der Mut fehlt, jungen Spielern schon früh Verantwortung zukommen zu lassen, dann gilt das freilich auch für den FC Bayern selbst. Ein weiterer Schritt, wenngleich für Sauer kein entscheidender, ist der Aufstieg der zweiten Mannschaft in die dritte Liga. Die Bayern sehen da in der kommenden Saison offensichtlich Chancen, immerhin wurde kurz vor dem Start der Regionalliga Bayern in Steve Breitkreuz, 31, ein Abwehrroutinier mit der Erfahrung von 179 Zweit- und Drittligaspielen verpflichtet. "Mit Breitkreuz haben die jungen Spieler wieder einen erfahrenen Spieler neben sich, der sie ein bisschen anführt und in der Entwicklung unterstützt", sagt Sauer. Auch wenn das Ziel ist, noch mehr junge Spieler optimal auszubilden, ganz ohne Haudegen geht es eben auch nicht.

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