FC Bayern München:Es wackeln die Rekorde

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Wenn Freund und Feind der Kugel staunend hinterherschauen: Torjäger Robert Lewandowski (Zweiter von links) trifft in Leverkusen per Kopf zum 4:1 für die Bayern. (Foto: Matthias Hangst/AFP)

30 Treffer von Robert Lewandowski, 90 Tore insgesamt: Der FC Bayern ist auf dem sicheren Weg zur Schale. Trainer Hansi Flick findet es da sogar "auch mal gut", dass gegen Gladbach seine beiden Topscorer gelbgesperrt sind.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

In der ganzen Fußballwelt ist bekannt, dass es Robert Lewandowski gar nicht schätzt, wenn ihm Schiedsrichter Freistöße vorenthalten, die er von Rechts wegen für zwingend angebracht hält. Anspruch und Fälligkeit versteht er dann durch ein System von Schmerzensschreien, kunstvollen Stürzen und empörten Gesichtsausdrücken anzuzeigen. Dass er aber auch eine große Meisterschaft darin besitzt, gegen die Verhängung eines Freistoßes vorzugehen, das war am Samstagnachmittag in Leverkusen zu besichtigen.

Da stand der Münchner Torjäger auf dem Rasen und führte ein sehenswertes Schauspiel an Bewegungen und Gesten auf, um Schiedsrichter Manuel Gräfe davon zu überzeugen, dass er sich gewaltig geirrt hatte, als er in der 32. Minute der Partie bei Bayer Leverkusen ein Foul gegen Lewandowski gepfiffen hatte. Immer wieder von vorn setzte er die lebhafte Beweisführung fort, aber Gräfe ließ sich nicht davon überzeugen, den Entscheid zurückzunehmen. Das wäre auch kompliziert geworden, weil das Spiel längst vorbei war und die Bayern als amtlich anerkannter 4:2-Sieger den Platz verlassen hatten. Außer Gräfe und Lewandowski war kein einziger Akteur mehr auf dem Platz verblieben. Lediglich der Bayern-Trainer Hansi Flick schaute der Szene zu und lächelte amüsiert.

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Lewandowskis Protest galt nicht dem Freistoß an sich, sondern dessen Folge: Gräfe hatte ihm die gelbe Karte gezeigt, die fünfte der Saison, der Mittelstürmer wird deswegen am nächsten Wochenende beim Spiel gegen Mönchengladbach fehlen. Für den Betroffenen stellt das, wie sein rührender Einsatz nahelegte, einen Eingriff im Rang der Katastrophe dar, denn es kommen ihm nun 90 Minuten abhanden, um an seinem Torjäger-Ertrag und einem immer noch möglichen Rekord zu arbeiten: Zehn Treffer fehlen Lewandowski zu Gerd Müllers 40-Tore-Marke. Doch auch Freunde des FC Bayern könnten besorgt sein: Außer Lewandowski wird nämlich auch Thomas Müller fehlen, der beste Vorbereiter im Team. Auch er sah eine fünfte gelbe Karte, zum ersten Mal in der Ligakarriere.

Das sei "schon ärgerlich", sagte später Hansi Flick, aber er machte nicht den Eindruck, als ob ihn der Verzicht auf die beiden mehr beunruhigte als eine Kellerassel in seinem Vorgarten. Sie könnten sich ja dafür im Pokalhalbfinale am Mittwoch gegen Frankfurt austoben, meinte der Bayern-Trainer, und am nächsten Samstag werde man "dann zwei andere Spieler auf diesen Positionen sehen, das ist auch mal gut."

Flick hat zwar nichts gegen Lewandowskis privaten Torjäger-Ehrgeiz, aber den Torrekord hält er erklärtermaßen für "Beiwerk" und andere Themen für wichtiger, namentlich den Gewinn der deutschen Meisterschaft. Für Flick wäre es die erste als Cheftrainer, für Bayern die achte hintereinander. Hätte man in Leverkusen eine spontane Umfrage veranstaltet, ob daran noch zu zweifeln ist, hätte es garantiert keinen einzigen Einspruch gegeben. Das wäre auch nicht anders gewesen, wenn statt ein paar verlorener Gestalten auf den Rängen 30 000 Zuschauer gewesen wären.

Die Partie bei den immerzu unberechenbaren Leverkusenern war gewissermaßen die letzte große Herausforderung für die Münchner. Bayer-Trainer Peter Bosz hatte versucht, dem Gegner eine anspruchsvolle Aufgabe zu stellen. Auf den verletzungsbedingten Ausfall von Kai Havertz antwortete er mit einer Formation, in der er drei gelernte Flügelstürmer und einen Mittelstürmer unterbrachte. Leon Bailey, Moussa Diaby und Karim Bellarabi sollten mit ihrem Tempo für Geländegewinn sorgen, Lucas Alario für Tore. Dazu kam auf der rechten Außenbahn Nadiem Amiri, ein weiterer Offensivspieler. Dieses unkonventionelle Vorgehen brachte zunächst ein vielversprechendes Ergebnis. Alario schoss Bayer nach neun Minuten in Führung, der Favorit hatte Probleme, sein gewohnt souveränes Pass-Spiel zu inszenieren.

Doch bald sah Bosz das Unheil heraufziehen. Er hatte riskant aufgestellt, aber sein Team verweigerte die beherzte Umsetzung. Nach einer halben Stunde, beim Stand von 1:1, habe es "vielleicht so ausgesehen, als ob wir mithalten könnten", sagte Bosz. Aber schon zu diesem Zeitpunkt sah er das böse Ende kommen: "Wenn man Bayern schlagen will, muss man mutig sein. Aber das waren wir nicht. Wir haben zu schnell den Ball weggegeben." Als Leon Goretzka und Serge Gnabry kurz vor der Pause per Doppelschlag zur 3:1-Führung trafen, ließ die Partie keinen Raum mehr für die Fantasie, dass es noch mal eng werden könnte in Leverkusen und vielleicht ein bisschen spannend im Titelkampf.

Bestimmt wollte Hansi Flick nicht herablassend klingen, als er nach dem Spiel das 0:1 als wohltuenden Zwischenfall rühmte. Tatsächlich ist es wohl einfach so, dass die Bayern gelegentlich ein wenig nachlässig werden durch die Erfahrung ihrer längst wieder alles erdrückenden Überlegenheit. Man habe sich "ab und zu überwinden müssen", erläuterte Flick. Nach dem Rückstand habe sich "die Mannschaft aufgerappelt und sehr aggressiv gegen den Ball gespielt. Da war dann wieder unser Spiel zu sehen". Den Rest erledigte Leverkusen durch waghalsiges Abwehrverhalten, die Lücken hinter den weit aufrückenden Bayer-Reihen nutzten die Münchner nach Belieben zu schnellen Kontern. Das 2:1 durch Goretzka, wieder einer der Besten, glich einem generalstabsmäßigen Gegenstoß.

90 Tore haben die Bayern in dieser Saison geschossen, da wackelt womöglich nicht nur Gerd Müllers Rekord, sondern auch der allgemeine Bestwert aus der Saison 70/71. Hansi Flicks Aufregung darüber hält sich allerdings in Grenzen: Wenn ein Rekord falle, dann sei "das auch in Ordnung", bemerkte er mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der sich sein Team den nächsten Sieg gesichert hatte. Sein Stil hat sich längst durchgesetzt.

© SZ vom 08.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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