Videoassistent im Fußball:Schaut's euch an!

Lesezeit: 2 min

Übersehen: Bayerns Verteidiger Dayot Upamecano foulte Gladbach-Angreifer Marcus Thuram kurz hintereinander gleich zwei Mal - und kam ungeschoren davon. (Foto: Moritz Mueller/imago)

Der erste Bundesliga-Spieltag lässt wegen der beiden Elfmeterszenen in Gladbach gleich wieder an der Handhabung des Videoschiedsrichters zweifeln. Daraus sollte man eine längst überfällige Lehre ziehen.

Kommentar von Christof Kneer

Am Ende einer jeden Sommerpause wird verkündet, was die Schiedsrichter-Innung wieder Neues beschlossen hat. Man erfährt dann zum Beispiel, dass es künftig kein Handspiel mehr sei, wenn der Arm weniger als 93,75-Grad vom Körper abstehe oder im Moment des Ballkontakts der linke Ringfinger in Richtung Nordnordost abgespreizt sei. Handspiel liege nur noch vor, falls die Absicht des Handspielenden deutlich erkennbar sei, außer am Dienstag oder bei erheblichem Pollenflug.

Nach nur einem Spieltag in der neuen Saison drängt sich aber schon die Frage auf, ob man womöglich eine aktuelle Regelanpassung überhört hat. Wurde irgendwo verkündet, dass gegen den FC Bayern künftig überhaupt keine Elfmeter mehr gepfiffen werden dürfen? Falls ja, hätte der Schiedsrichter Marco Fritz die neue Auslegung in Tateinheit mit dem Videoschiedsrichter Dingert vorbildlich interpretiert. Als beide in der 81. und in der 83. Minute sahen, wie der Münchner Upamecano den Gladbacher Thuram zu Fall brachte, griffen sie nicht ein.

Erling Haaland
:Wie in Zaubertrank gefallen

Dortmunds Stürmer überragt beim 5:2-Sieg gegen Eintracht Frankfurt - und scheint, trotz seines Alters von nur 21 Jahren, die Position des Mittelstürmers neu zu definieren.

Von Freddie Röckenhaus

In Wahrheit war an diesen beiden Szenen nur eines strittig: Welcher der beiden Elfmeter noch klarer war als der andere. Und so müssen die Bayern nun damit leben, dass gleich zum Ligastart ein Begriff aufploppt, den sie noch weniger mögen als den Begriff "Bayern-Dusel": der Begriff "Bayern-Bonus". Hartnäckig hält sich in der Branche ja die Behauptung, dass ein Bayern-Spieler für dasselbe Vergehen mitunter eine geringere Strafe kassiere als ein Nicht-Bayern-Spieler (oder manchmal auch: gar keine Strafe). Aus der jüngsten Vergangenheit sind zu diesem Thema gleich mehrere plakative Bilder abrufbar, Boatengs nicht geahndetes Handspiel in Dortmund im Mai 2020 etwa oder jener rätselhafte Elfmeter, den die Münchner ein Jahr zuvor im Pokal-Halbfinale in Bremen zugesprochen bekamen.

Der Videobeweis wurde erfunden, um die Glaubwürdigkeit zu erhöhen - und erreicht bisweilen das Gegenteil

Das Prinzip eines vorauseilenden Gehorsams gegenüber dem sogenannten Branchenführer ist all die Jahre immer wieder thematisiert worden, und die Botschaft des ersten Spieltags ist nun, dass der unter großen Gesängen eingeführte Videobeweis weiterhin nicht imstande ist, solches Geraune zu unterbinden - jedenfalls, wenn er so (nicht) gehandhabt wird wie bei Bayerns Auftritt in Gladbach. Im Grunde ist die Lage inzwischen ähnlich verzwickt wie vor der Einführung des TV-Gerichts: Wieder sehen die Zuschauer mehr als der Schiedsrichter - mit dem verschärfenden Zusatz, dass der Schiedsrichter womöglich mehr sehen könnte, wenn er wollte. Das war die große und irritierende Frage beim Liga-Auftaktspiel: Warum hat der Videoreferee den Schiedsrichter nicht angehalten, sich in der Review Area selbst ein Urteil zu bilden, und warum hat der Schiedsrichter nicht selbst darauf bestanden?

Der Videobeweis wurde erfunden, um in einer hochanfälligen Millionenbranche die Glaubwürdigkeit des Wettbewerbs zu erhöhen, aber jegliche Transparenz verschwindet, wenn niemand mehr die Befehlsketten nachvollziehen kann. Niemand weiß, wer wem wann was aufs Headset sagt oder nicht sagt, und so muss dies die längst überfällige Lehre aus dem Auftaktspiel sein: Die Schiedsrichter sollten schon im eigenen Interesse auf das Alibi des Kölner Kellers verzichten und sich Duelle wie die von Upamecano und Thuram lieber selbst am Spielfeldrand anschauen. Und die Videowarte sollten die Schiedsrichter ermuntern, die paar Extrameter zu gehen. Sonst wendet sich der Videobeweis allmählich gegen sich selbst.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Gladbach gegen Bayern
:"Ich weiß nicht, Julian, wie's Dir geht, aber ..."

Nach dem Bundesligaauftakt zeigen sich die Gladbacher angesichts zweier Elfmeter-Entscheidungen zu ihren Ungunsten erstaunlich gelassen. Der FC Bayern gibt zu, im Glück gewesen zu sein - und fremdelt noch ein bisschen mit Nagelsmanns Spielsystem.

Von Ulrich Hartmann

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: