Fußballerin Anja Pfluger:"Es geht immer irgendwie weiter"

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Führungsspielerin mit besonderer Geschichte: Anja Pfluger (Mitte). (Foto: FC Bayern München/oh)
  • Anja Pfluger ist schon zweimal an Leukämie erkrankt und ist nun trotzdem Spielführerin von Bayerns zweiter Mannschaft.
  • Während ihrer Krankheit wollte sie immer wieder zurück auf den Fußballplatz. Auf eine Reha verzichtete sie.
  • Ihr Ziel ist die Bundesliga - angesichts ihrer Leistungen ist das nicht unrealistisch.

Von Anna Dreher

Das Spiel gegen Turbine Potsdam II war wieder so ein typisches für Anja Pfluger. Kein besonders gutes aus Sicht des FC Bayern München II, viel Ballbesitz, viele Chancen, ein abgewehrter Elfmeter und trotzdem geriet die Mannschaft in Rückstand. Aber, sagt Pfluger, ein Spiel geht eben nicht immer über 90 Minuten, "und dann musst du halt auch mal 93 Minuten lang Vollgas geben". Anfang Dezember lag München gegen Potsdam in der zweiten Fußball-Bundesliga der Frauen seit der 75. Minute 0:1 zurück, und es sah nicht danach aus, als passiere noch etwas. Aber dann tat Pfluger, was sie so oft tut: Sie appellierte leidenschaftlich an den Ehrgeiz und den Willen ihrer Mitspielerinnen. In der 91. Minute schoss Pfluger selbst das 1:1. Die sonst für das Erstliga-Team der Bayern auflaufende Nationalspielerin Simone Laudehr erhöhte auf 2:1, in der 93. Minute.

Der Fußball, findet Anja Pfluger, ist da wie das Leben. "Nur, weil es mal einen Rückschlag gibt, heißt das ja nicht, dass man aufgeben muss. Auch Fehler können ausgeglichen werden", sagt sie. "Dann muss man sich einfach einen anderen Weg zum Ziel suchen." Sie weiß, wie das ist. Zwei Mal sah es so aus, als wäre ihr Weg zu Ende. Als würde ihr Leben schon vor der Halbzeit enden, als gebe es keine Verlängerung mehr.

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Pfluger ist zwei Mal an Leukämie erkrankt. Eigentlich redet sie nicht groß über diesen Abschnitt ihrer Lebensgeschichte. Pfluger hat alles verarbeitet, aber die Krankheit ist für sie eben: Vergangenheit. Wichtig ist ja, dass sie die Leukämie überwunden hat. Wenn sie doch darauf angesprochen wird, erzählt Pfluger unaufgeregt und befreit von den schwierigsten ihrer bisher 25 Lebensjahre. Mit 14 erhielt sie die Diagnose zum ersten Mal. Über acht Monate Krankenhaus folgten. Fußball hatte sie damals von der männlichen D- bis zur A-Jugend beim VfB Friedrichshafen gespielt. Für sie stand auch während mehrerer Chemotherapien fest, dass sie das bald wieder tun würde. Für sie war das gar keine Frage. Und dann spielte Pfluger tatsächlich bald wieder Fußball.

Kurz vor ihrem 16. Geburtstag kam die Leukämie zurück. Drei Monate lag Pfluger wieder im Krankenhaus, bevor sie im Februar 2010 die rettende Knochenmarkspende bekam. Fünf Wochen nach der Transplantation wurde sie aus dem Krankenhaus entlassen. Im August stand sie wieder auf dem Fußballplatz. "Der Heilungsverlauf war schon schneller als normal", sagt Pfluger. "Normalerweise dauert das zwei bis drei Monate, je nachdem, welche Art von Leukämie man hat. Aber ich wollte so schnell wie möglich Fußball spielen. Ich brauchte keine Reha. Ich wollte einfach auf den Platz zurück." Der Fußball hat auf Pfluger immer eine ganz eigene Anziehungskraft gehabt und ihr Energie gegeben, sich nach schwerer Krankheit zurück zu kämpfen in den Sport und über den Sport auch ins Leben.

Manchmal fragt sich Pfluger, wo sie heute wohl sonst stünde

Pflugers erste Trainerin, als sie 2012 zu den Frauen des FC Bayern in die zweite Bundesliga Süd wechselte, ist auch heute noch ihre Trainerin. Für Nathalie Bischof gehört Pfluger zu den besten Spielerinnen der Liga. Vergangenes Wochenende im Heimspiel gegen Tabellenführer VfL Wolfsburg II legte Pfluger mit ihrem Elfmeter den Grundstein zum 2:1-Sieg. Diesen Sonntag geht es nach Essen, Bayern ist gerade Dritter. "Für uns ist sie unglaublich wichtig", sagt Bischof über ihre Kapitänin, die in den vergangenen Jahren kein Spiel und fast kein Training verpasst hat. "Anja ist sehr professionell, zielstrebig und war schon immer reifer als andere in ihrem Alter, was wahrscheinlich mit ihrer Geschichte zusammenhängt." Diese Geschichte hat Pfluger auch im Verein nie groß thematisiert. Rücksicht sollte niemand nehmen, fand sie - auch wenn sie selbst das Gefühl hat, fußballerisch erst seit zwei Jahren wieder auf einem Niveau angekommen zu sein, auf dem sie wirklich aufbauen kann. "Anja will sich immer weiter entwickeln, sie trägt den Leistungsgedanken extrem in sich", sagt Bischof. "Sie bringt sich wirklich außergewöhnlich ein in die Mannschaft und in den Verein."

Für Bischof ist das einerseits gut, andererseits auch nicht, weil es absehbar ist, dass sie ihre beste und Führungsspielerin verlieren wird. Pflugers klares Ziel ist die erste Bundesliga. Und auch Bischof ist davon überzeugt, dass sie dieses Ziel erreichen wird. Nur womöglich eben nicht beim FC Bayern mit seinen vielen Nationalspielerinnen. Pfluger hat die Vorbereitung mit der ersten Mannschaft schon öfter absolviert, war auch bei Testspielen Teil des Kaders und ist zuletzt mit ins Trainingslager nach Doha gereist. Aber die Konkurrenz ist am Ende bisher doch zu groß gewesen, um dann auch von September bis Mai fest dazu zu gehören. "Ich würde nicht pauschal sagen, dass ich gehe", sagt Pfluger. "Aber wenn sich die Möglichkeit auf die erste Liga ergibt, möchte ich die Chance schon ergreifen."

Manchmal fragt sich Anja Pfluger, wo sie heute wohl stünde, wenn sie nicht zwei Mal Blutkrebs bekommen hätte. Ob sie es auch soweit geschafft hätte, wie beispielsweise Melanie Leupolz, Leonie Maier und Nicole Rolser, mit denen sie zusammen in den Jugendauswahlen vom Württembergischen Fußball-Verband (WFV) und vom DFB spielte. Heute sind die drei beim FC Bayern gestandene Erstliga- und Nationalspielerinnen. Leupolz und Maier gewannen 2016 Olympiagold und fahren im Sommer wahrscheinlich mit zur Weltmeisterschaft nach Frankreich. "Wenn solche Gedanken aufkommen", sagt Pfluger, "halte ich mich nicht lange damit auf. Ich denke dann immer, dann ist die Erkrankung halt für etwas Anderes gut gewesen."

Sie hat nicht das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Pfluger wird im März ihr Masterstudium in Sportwissenschaften abschließen. Sie ist nicht verletzt, Kapitänin beim FC Bayern München in der zweiten Bundesliga und hatte schon Angebote von anderen Vereinen. Sie hat sich nach schwerer Krankheit wieder zurück gekämpft auf ein hohes Niveau. Das ist nicht schlecht, findet sie. Überhaupt hat sich ihr Blick aufs Leben verändert. Pfluger schätzt manches anders wert, geht schwierige Themen ruhiger an und gilt als junge Frau, die versucht, anderen in jeder Situation zu helfen. Ob es überhaupt Momente gegeben hat, in denen sie das Gefühl hatte, sie kann jetzt nicht mehr? "Darüber habe ich noch nie nachgedacht", sagt Anja Pfluger und lächelt. "Aber ich glaube nicht. Es geht immer irgendwie weiter."

© SZ vom 21.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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