FC Bayern:"Endlich wieder an der Sonne"

Lesezeit: 3 min

Der FC Bayern ist wieder Tabellenführer und ganz bei sich: Präsident Hoeneß grinst wortlos, und Trainer van Gaal schickt ein vergiftetes Lob nach Leverkusen.

Fabian Heckenberger

Louis van Gaal kennt den Verein, bei dem er im Sommer 2009 angeheuert hat, mittlerweile ziemlich gut, und so wusste der Trainer genau zu berichten, wie sich der FC Bayern fühlte an diesem Sonntagabend. "Für das Publikum, für meinen Vorstand, aber auch für meinen Pressechef", bei diesen Worten klopfte der Trainer dem Mediendirektor Markus Hörwick neben ihm auf die Schulter, "ist das sehr wichtig. Sie haben alle lange darauf gewartet, sogar sehr lang."

Bayern München ist nach dem 1:0 gegen den HSV, nach 57 Spieltagen, nach 652 echten Tagen, seit dem 17. Mai 2008 erstmals wieder Tabellenführer der Fußball-Bundesliga. "Sie sind jetzt alle sehr froh", sagte van Gaal.

Man hätte meinen können, es sei sogar noch deutlich länger her, dass die Münchner dort standen, wo sie ihrer Meinung nach immer hingehören. Als am Sonntagabend in meterhohen Lettern "110 Jahre" auf dem Rasen der Arena aufflammte, da mag so mancher angefangen haben zu rechnen. Konnte das sein? Nein? Oder doch?

Ganz so schlimm und ganz so lange war es aber dann doch nicht her. 110 Jahre ist nur gefühlt die Zeit, die die Bayern spitzenabstinent bleiben mussten. 110 Jahre ist die Zeit, die seit der Klubgründung vergangen ist, die am Sonntag pompös gefeiert wurde.

Carl Orffs Carmina Burana durfte es da gerne auch nach der Partie beim Feuerwerk nochmal sein, also dröhnte wieder einmal "Oh Fortuna", dieser wuchtig-dramatische Chor, durch das Stadion. Und emphatisches Glück empfanden sie ja wirklich - bis auf die angereisten Hamburger - fast alle im Stadion, angesichts des Jubiläums, des Sieges, der Tabellenspitze.

Man sei jetzt "endlich wieder an der Sonne", sagte Klubchef Karl-Heinz Rummenigge, und man werde jetzt "nicht wieder zurück aus der Sonne in den Schatten treten". Draußen liefen da gerade die bayerischen Schützen vorbei, die dem Verein zuvor mit Salutböllern gratuliert hatten, ihre Gewehre gut verpackt unter dem Arm. Für die Warnschüsse waren jetzt andere zuständig. Man dürfe nicht glauben, dass der FC Bayern immer oben stehen müsse, sagte Rummenigge, aber an den letzten zehn Spieltagen sollen Leverkusen, Schalke, Hamburg und Dortmund genau diesen Glauben lernen: "Das wird der Konkurrenz zeigen, dass das Pfeifen im Walde eingestellt werden kann", sagte Rummenigge: "Wir sind lieber der Gejagte und nicht der Jäger."

Wenn das Ausmaß der Zufriedenheit in Zeiten des Erfolgs ein Gradmesser für die Unzufriedenheit vor diesem Erfolg ist, dann muss es den Bayern in den letzten 652 Tagen ziemlich schlecht gegangen sein. Sie betonen zwar seit Wochen, dass es allein wichtig sei, nach dem 34. Spieltag oben zu stehen, dass sie nur auf sich schauen, Schritt für Schritt, Spiel für Spiel. Wieviel ihnen aber Platz 1 nach 24 Spieltagen Wert ist, das war am deutlichsten am Gesicht von Uli Hoeneß abzulesen: Ohne Worte, nur mit einem zarten Grinsen im Gesicht marschierte der Präsident aus dem Stadion.

Lesen Sie weiter auf Seite 2

Man mag sich den umgekehrten Fall kaum vorstellen. Was, wenn Franck Ribéry nicht in der 78. Minute mit einem Schuss aus 20 Metern die Partie zweier ebenbürtiger Teams entschieden hätte? Wenn dagegen der HSV gar das 1:0 erzielt hätte, etwa Torun, der in der Schlussphase per Kopf nur die Latte traf? Niederlage, Leverkusen vorne, Hamburg im Nacken - und unten auf dem Rasen "Oh Fortuna"? Das "eine oder andere Glas Rotwein", das Rummenigge seinem Angestellten van Gaal zur Feier des Tages in Aussicht stellte, wäre wohl mit versteinerten Mienen geleert worden.

So aber war das gute, alte "Mia san Mia", dieses Glaubensbekenntnis des Vereins, wieder allgegenwärtig. Neben dem Speiseraum auf dem Vereinsgelände an der Säbener Straße hängt ja tatsächlich eine Tafel mit 16 Mia-san-Mia-Leitsätzen. Jeden Tag sollen sie die Spieler an die Mentalität ihres Arbeitgebers erinnern. Am Sonntagabend brauchte keiner eine Erinnerung, Leitsatz Nummer 6 war allgegenwärtig: "Mia san Selbstvertrauen."

So plauderte Thomas Müller fröhlich über einen mögliche Einsatz für das Nationalteam am Mittwoch in München gegen Argentinien ("Das sind alles auch nur Fußballer und sicher ganz nette Menschen"), Mario Gomez freute sich auf die Rolle als Gejagter ("Kenn ich nicht, seit ich hier bin, waren wir das ja noch nie"), und Bastian Schweinsteiger beschäftigte sich auf Nachfrage schon mit der Meisterfeier ("Der Rathausbalkon ist jedes Jahr reserviert, weil der FC Bayern jedes Jahr Meister werden will"). Genüsslich wurde zudem allerorts festgestellt, dass der Leverkusener "Steilpass" respektive die "Steilvorlage" gut "genutzt" beziehungsweise "verwandelt" worden war.

Der ärgste Konkurrent hatte nicht nur am Samstag durch das 0:0 gegen Köln den Wechsel an der Tabellenspitze ermöglicht, er musste sich danach auch noch leicht vergiftetes Lob anhören: "Es ist unglaublich, dass eine Mannschaft, die bis zum 24. Spieltag nicht verloren hat, jetzt nicht mehr Tabellenführer ist", sagt van Gaal: "Das sagt viel über Leverkusen aus, aber es sagt auch viel über den FC Bayern."

Selbst der Münchner Trainer, der in den vergangenen Wochen antizyklisches Lob und Tadel mit dem Holzhammer praktiziert hatte, war am Sonntag gut gelaunt. Eher pro forma betonte van Gaal, dass es wichtiger sei, dominant zu spielen und zu gewinnen als Tabellenführer zu sein, und ja, er freue sich an diesem Jubiläum auch mit seinem Verein, wenn auch nicht ganz so euphorisch wie manch anderer. "Denn", so sagte van Gaal, der erst im Sommer 2009 zu den Bayern gestoßen ist, "ich habe ja etwas weniger lang als die anderen auf die Tabellenführung warten müssen."

© sueddeutsche.de/hum - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: