Bundesliga:Hinten wackelt Bayern wie seit Jahren nicht mehr

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Niklas Süle kann sich strecken, so viel er will: An Dodi Lukebakios Schuss kommt der Innenverteidiger des FC Bayern nicht mehr heran. (Foto: Matthias Balk/dpa)
  • Die Anfälligkeit in der Verteidigung ist ein Symptom der Bayern-Krise in diesem Spätherbst.
  • Die drei Gegentore gegen Düssseldorf legen die Probleme in der Münchner Defensive offen: mangelndes Tempo, mangelnde Sicherheitsmechanismen und eine große Portion Verunsicherung.

Aus dem Stadion von Christopher Gerards

Leon Goreztka hat am Samstagabend gesagt, dass er sich vorkomme "wie in einem schlechten Film", aber er hat nicht gesagt, wie dieser schlechte Film heißen könnte. Stattdessen ärgerte er sich über dieses 3:3 (3:1) in der Bundesliga gegen Fortuna Düsseldorf, welches er als "surreal" empfand. Andererseits: Ein paar erhellende Momente hatte er doch ausgemacht. "Auch wenn es jetzt wieder lächerlich klingt", sagte Goretzka, "aber wir haben gezeigt, dass es nach vorne wieder besser gelaufen ist." Er kam zum Fazit: "Wir hätten fünf, sechs Tore schießen können, müssen."

Goretzka klang damit ein wenig wie sein Trainer Niko Kovac, der das Spiel an sich auch "in Ordnung" fand. Was allerdings niemand an diesem Samstag in Ordnung fand, weder Goretzka noch Kovac noch sonst jemand: das Verhalten der Münchner bei allen Gegentoren.

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Hat man den FC Bayern in den vergangenen Jahren jemals so konstant so wacklig verteidigen sehen? Die Münchner schleppen viele Probleme mit sich durch diesen Spätherbst, die Chancenverwertung, das berechenbare Offensivspiel, dieser und jener Ärger um einzelne Spieler, seltsame Pressekonferenzen, all das. Aber ein konstanter Begleiter der Münchner in dieser dunklen Jahreszeit ist auch dies: die Anfälligkeit in der Defensive.

Das Slapstick-Potenzial: durchaus hoch

Als Niko Kovac den FC Bayern übernahm, da hieß es, er sei mehr ein Defensivtrainer. Kovac-Mannschaften, so war die allgemeine Lehre, verteidigen sicher, sind grantig im Zweikampf, halten den Ball vom eigenen Tor weg. Aber nun, nach diesem 3:3 gegen Düsseldorf, nach dieser verspielten 3:1-Führung saß Kovac in der Pressekonferenz und nannte zwei Zahlen. Die eine war die Zahl der Gegentore, die andere jene der absolvierten Bundesliga-Spiele. Kovac trug also vor: 17 Gegentore in zwölf Spielen. Was er sagen wollte: Das ist zu viel. Genau genommen ist es so viel wie in der gesamten Saison 2015/16 (und ein Tor weniger als in der Saison 2014/15).

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Präsident Uli Hoeneß bat die Journalisten hinterher gar darum, die Tore nochmal zu studieren. Er forderte auf, "schon auch mal kritisch mit dem einen oder anderen Spieler" umzugehen (was angesichts seiner "Pressekonferenz" vor einigen Wochen sehr erstaunlich klang). Als "hanebüchen" empfand er die Gegentore, "Slapstick" war ein weiteres Wort, das er wählte. In all ihrer Seltsamkeit legten die drei Treffer, jeder auf seine Weise, die Probleme in der Münchner Defensive offen: mangelndes Tempo, mangelnde Sicherheitsmechanismen, womöglich auch eine große Portion Verunsicherung.

Da war das 1:0 in der 44. Minute. Jean Zimmer war hinter Bayern-Verteidiger Jérôme Boateng und Mittelfeldspieler Javi Martínez weggelaufen. Boateng, einst einer der schnellsten Verteidiger seiner Sportart, hatte vorher schon ein, zwei Sprints gegen den späteren Dreifach-Torschützen Dodi Lukebakio verloren. Nun also musste er Zimmer stellen. Dieser wollte einen langen Pass schnell in die Mitte weiterleiten, per Fallrückzieher. Der Ball flog aber von Boateng zurück, woraufhin der sitzende Zimmer diesem nun einen Ball durch die Beine spielte. In der Mitte war Lukebakio von Bewacher Niklas Süle allzu sehr vernachlässigt worden und konnte aus drei, vier Metern treffen. Slapstick-Potenzial: durchaus hoch.

Da war das Düsseldorfer 2:3 nach 77 Minuten. Diesmal hatte Javi Martínez per Grätsche im Mittelfeld einen Ball klären wollen, der aber bei Düsseldorfs Linksverteidiger Niko Gießelmann landete. Interessant war nun die Münchner Raumaufteilung. Während sechs Bayern-Spieler mindestens zwei Meter vor der Mittellinie standen, hatten sich die Innenverteidiger Süle und Boateng deutlich weiter hinten positioniert, zudem nicht auf einer Höhe. Gießelmann schoss den Ball flach nach vorne, da bewegte sich Boateng nach in die entgegengesetzte Richtung, offenbar um Lukebakio ins Abseits laufen zu lassen. Das Problem war allerdings: Er entschied sich deutlich zu spät dafür. Süle, der weiter vorne gestanden hatte, kam ebenfalls nicht hinterher, und Lukebakio lief seinen Gegnern davon. Und traf. Zwar entschied das Schiedsrichter-Team auf Abseits - nach Video-Entscheid wurde dies aber richtigerweise korrigiert.

Und da war das Düsseldorfer 3:3, in der dritten Minute der Nachspielzeit. Im Mittelfeld flog ein hoher Ball ins Zentrum, wo Rouwen Hennings Platz hatte und den Ball direkt weiterleitete. Martínez verfolgte ihn zwar, traf aber zu spät ein. Boateng, der auf gleicher Höhe mit Süle stand, versuchte den Ball weg zu köpfen, erreichte ihn aber nicht. Wieder musste Süle ins Laufduell mit Lukebakio, wieder war der Düsseldorfer schneller. Und wieder traf er, diesmal durch die Beine von Neuer hindurch. In dieser Szene stand die Münchner Mannschaft sehr, sehr hoch, was einem schnellen Spieler wie Lukebakio entgegen kam.

Bis zum Spiel gegen Lissabon genießt Kovac eine Jobgarantie

Wenn eine Mannschaft viele Gegentore bekommt, gibt es im Grunde zwei Reflexe. Der erste Reflex besteht darin, über die Verteidigung zu klagen, die ja schließlich nicht ohne Grund Verteidigung heißt, sie soll ja das Tor verteidigen. Der andere Reflex, in der Regel vorgetragen von etwas kundigeren Leuten, besteht darin, darauf hinzuweisen, dass man nicht oder nicht ausschließlich über die Verteidigung klagen möge. Defensivarbeit beginne ja weiter vorne. Im Fall des FC Bayern liegt die Wahrheit wohl irgendwo dazwischen. Niklas Süle ist weiterhin ein schneller Verteidiger, für seine Nebenleute Boateng/Mats Hummels gilt das derzeit nicht unbedingt. Hinzu kommt aber das Fehlen richtiger Absicherungsmechanismen. Javi Martínez, einst einer der besten Wellenbrecher Europas, rennt allzu oft hinterher. Warum die Mannschaft etwa vor dem 3:3 so hoch stand, bedarf ebenfalls einer Erklärung.

Kovac sprach hinterher von "individuellen Fehlern", "die kann kein Trainer der Welt verhindern". Jedes Tor für sich genommen, mag das stimmen. Allerdings deutet die Vielzahl dieser Fehler auf ein Muster hin. Düsseldorfs Trainer Friedhelm Funkel erklärte ja nach dem Spiel seinen Plan, der nicht maximal revolutionär klang: Der schnelle Lukebakio sollte es vorne richten. Das wirft die Frage auf, ob man so eine Taktik des Gegners nicht antizipieren kann beziehungsweise im Spiel nicht darauf hätte reagieren können, wenn man den Geschwindigkeitsunterschied der Spieler bemerkt. Ob man also nicht taktisch eingreift, wenn man um das mangelnde Tempo der eigenen Spieler weiß. "Wie immer" werde er mit der Mannschaft alles aufarbeiten, sagte Kovac noch. Es dürfte viel zu tun geben bis zu dem Spiel gegen Benfica Lissabon, für das Kovac ja noch eine sogenannte Job-Garantie genießt.

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