FC Augsburg:Vom Wunderkind zum Spätzünder

Lesezeit: 3 min

"Brutal liebevoll": Reece Oxford zeigt ein Herzchen. (Foto: ActionPictures/Imago)

Der Werdegang von Augsburgs Reece Oxford zeigt, wie schwierig sich der Durchbruch im Profifußball auch für Hochbegabte gestalten kann. So richtig angekommen ist der frühere Mittelfeldspieler erst als Innenverteidiger. 

Von Maik Rosner

Die Prognose liegt mehr als sechs Jahre zurück, so richtig erfüllt hat sie sich aber erst in den vergangenen Wochen. Die Prognose war in einem Vergleich zu einem unvollendeten Talent angestellt worden. Reece Oxford werde es wohl kaum passieren, dass er als weiteres Beispiel für vergeudetes Potenzial in die Geschichte des englischen Fußballs eingehen werde, hieß es, und verwiesen wurde auf Oxfords stabilen Charakter. Ein anderer, labiler Hochbegabter war 2013 zwar als eines der größten Talente im englischen Fußball gefeiert worden, er spielte für Englands U21 und galt gar als Kandidat für den A-Kader zur WM 2014. Doch er kam trotz seiner herausragenden Anlagen nie richtig an in der ersten Liga des Profifußballs. Heute kickt Ravel Morrison in der zweiten englischen Liga bei Derby County mit der Pointe, dass er vom ehemaligen Nationalstürmer Wayne Rooney trainiert wird, mit dem er nie zusammenspielte.

Reece Oxford, 22, tritt hingegen an diesem Samstag mit dem FC Augsburg in der ersten Bundesliga beim VfL Wolfsburg an. Zuvor haben die Augsburger den Vertrag mit dem plötzlich durchstartenden Innenverteidiger schnell noch vorzeitig um zwei Jahre bis 2025 verlängert. Es fügt sich ins Bild, dass Oxford über sich sagt, er habe sich beim FCA "zu einem deutlich besseren Fußballer entwickelt". Geschäftsführer Stefan Reuter bezeichnet ihn als "absoluten Leistungsträger", Markus Weinzierl als "sehr wichtigen Baustein". Oxford habe eine "super Entwicklung" genommen und sei "sehr stabil" in der Innenverteidigung, findet der Trainer, "es macht echt Spaß, ihn zu beobachten."

Diese Hymnen erzählen schon etwas über die unterschiedlich verlaufenen Lebenslinien der beiden einstigen Talente. Oxford, geboren in Enfield im Norden Londons, kennt Morrisons Geschichte. Er hat den Hype um diesen Hochbegabten und auch dessen Abschwung aus der Nähe erlebt, als beide bei West Ham United spielten. Als Oxford im August 2015 sein Debüt für die Hammers in der Premier League gab, verzückte auch er die Experten. Mit seinen 16 Jahren und 237 Tagen wurde er zum zweitjüngsten Spieler in der Geschichte von Englands erster Liga. Beim FC Arsenal gewann Oxford mit West Ham 2:0, sein Gegenspieler Mesut Özil ging gegen ihn unter. Eine "erstaunliche Leistung" und eine "atemberaubende Reife" attestierte der renommierte Guardian dem defensiven Mittelfeldspieler Oxford und wagte die Prognose, dass dieser Hochbegabte wohl kaum scheitern werde. Schnell wurden Vergleiche gezogen mit der Hammers-Legende Rio Ferdinand, dem ehemaligen englischen Nationalverteidiger.

Oxford nutzte die Absenz von Felix Uduokhai in den vergangenen Wochen eindrucksvoll

Fortan galt Oxford als "Wunderkind", doch wie bei Morrison ebbte der Hype bald ab. Oxford musste feststellen, wie schwierig sich der Durchbruch im Profifußball sogar für Hochbegabte gestalten kann. Auf Leihbasis schloss er sich zunächst dem FC Reading und dann zwei Mal Borussia Mönchengladbach an, ehe ihn der FC Augsburg im Januar 2019 auslieh. Doch wie auf seinen vorherigen Stationen fand sich Oxford nicht wirklich zurecht. Beim FCA entschlossen sie sich dennoch nach einem halben Jahr, das Talent fest zu verpflichten. West Ham gab sich mit angeblich zwei Millionen Euro Ablöse zufrieden, der Glaube an das einstige Wunderkind war verflogen. Auch in Augsburg blieb Oxford zunächst ein unerfülltes Versprechen, immer wieder unterliefen ihm mindestens unglückliche Auftritte.

So richtig geändert hat sich das erst in dieser Saison, in der Oxford gar nicht mehr im defensiven Mittelfeld aufläuft, sondern nur noch als Innenverteidiger. Profitiert hat Oxford dabei von der Verletzung des Abwehrkollegen Felix Uduokhai, der dem FCA auch in Wolfsburg noch fehlen wird. Oxford nutzte dessen Absenz in den vergangenen Wochen eindrucksvoll. Beim 1:1 gegen Bielefeld am 17. Oktober gelang ihm sein erstes Tor für Augsburg, im Pokal gegen Bochum und zuletzt gegen Stuttgart folgten zwei weitere. Die Kollegen freuen sich mit Oxford. Der Brite sei zu einer wichtigen Persönlichkeit in der Mannschaft gereift und "brutal liebevoll", sagte Florian Niederlechner, was auch ein Kompliment sein sollte. Und weil Oxford, laut Verein 1,93 Meter groß, bei seinen Kopfballtoren mit einer enormen Sprungkraft auffiel, haben ihn die Augsburger in einem Video nun gar als Piloten von "Air Oxford" inszeniert. Es hat wieder ein Hype eingesetzt. Nun aber nicht mehr um ein Wunderkind, sondern um einen Spätzünder, der das schon kennt.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: