SZ.de: Die Stadionverbote stehen bei Fans ohnehin stark in der Kritik. Jetzt sollen sie von drei auf zehn Jahre verlängert werden. Ist es nicht richtig, Randalierer auszusperren?
Gabriel: Niemand bestreitet ernsthaft, dass die Klubs das Recht haben, gefährliche Leute auszuschließen. Aber die Fans erwarten, dass es dabei gerecht zugeht. In den Richtlinien ist aber die Unschuldsvermutung außer Kraft gesetzt, und die wenigsten Vereine machen sich überhaupt die Mühe, die Betroffenen anzuhören. In der Regel ist es so: Die Polizei schlägt vor, der Verein unterschreibt. Dieses anonyme und als unfair empfundene Verfahren widerspricht dem Gerechtigkeitsempfinden der jungen Menschen fundamental, was aus unserer pädagogischen Sicht fatal ist. Aber aktuell treibt mich etwas fast noch stärker um.
SZ.de: Das wäre?
Gabriel: Was mich am meisten besorgt, ist die in der Fanszene so empfundene Drohung: Wenn noch mal was passiert, werden wir die Stehplätze abbauen. Denn das wird in der gesamten Fanszene als Generalangriff und als bedrohliches Damokles-Schwert empfunden: Entweder ihr pariert, oder es kommt der Rohrstock.
SZ.de: Sie fürchten ernsthaft um die Stehplätze in deutschen Fußballstadien?
Gabriel: Vor kurzem hatte ich gedacht: Fußball in Deutschland ohne Stehplätze ist unvorstellbar, aber aktuell bin ich mir durch die politische Dynamik nicht mehr so sicher. Unter den Fans glauben viele, das Ende ihrer Fankultur sei nah. Die Radikalen innerhalb der Ultras haben aktuell wohl Oberwasser im Sinne von: "Wenn wir schon untergehen, dann aber mit fliegenden Fahnen." Es gibt für sie subjektiv immer weniger Veranlassung, Rücksicht zu nehmen.
SZ.de: Wie laut und stark sind diese Stimmen? Wie groß schätzen Sie die Gefahr schlimmer Randale ein?
Gabriel: Das kann keiner sagen, aber viele meiner Kollegen sind beunruhigt. Wir dürfen nicht naiv sein, die vorgegebene harte Linie der Innenminister kann natürlich Einfluss auf die Polizei vor Ort haben, was die Spannungen auch erhöhen kann.
SZ.de: Es gibt viele friedvolle Fans in den Kurven. Wo ist deren Einfluss?
Gabriel: Zwischen den verschiedenen Fangruppen gibt es teils große Konflikte, insbesondere mit den Ultras, aber die werden durch die Vorschläge der Politik und der Fußballverbände zugeschüttet. Die naive Vorstellung ist ja: Wenn es um die Stehplätze geht, lassen die das mit den Bengalos. Aber das ist Jugendkultur, und Jugendkultur ist auch Protestkultur.