Extremsport:"Wenn meine Füße vom Boden abheben, durchströmt mich pures Glück"

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Publikum im Wasser und an Land: Wenn Iris Schmidbauer aus bis zu 20 Metern von einer Klippe springt, schauen ihr bei Wettkämpfen oft Tausende Menschen zu. Immer dabei ist ein Sicherheitstaucher, der im Notfall eingreift. (Foto: Romina Amato/Red Bull Content Pool/OH)

Seit 17 Monaten hängt Deutschlands beste Klippenspringerin Iris Schmidbauer in Neuseeland fest. Wie es für sie in ihrem Sport weitergeht, ist unklar. Ein Gespräch über Motivation ohne Wettkämpfe, das Eintauchen in betonhartes Wasser und Sponsoring durch die Großeltern.

Von Stefan Wagner

SZ: Frau Schmidbauer, Sie leben seit Oktober 2019 in Neuseeland, zunächst freiwillig, dann unfreiwillig. Wie kam das?

Iris Schmidbauer: Ich reiste nach der Saison 2019 durch Neuseeland, wollte etwas länger bleiben und kam nach Auckland, wo ich begann, im Verein zu trainieren. Ich nahm mir ein WG-Zimmer für ein paar Monate bis zum Saisonstart 2020. Danach wollte ich wieder abreisen. Doch dann kam Corona. Zurück nach Deutschland zu fliegen, hieße, dass ich nicht wieder nach Neuseeland kommen würde, wegen der strikten Einreisebeschränkungen. Dann müsste ich aber auf unbestimmte Zeit auf die sehr guten Bedingungen hier verzichten. Jetzt sitze ich immer noch in meinem Zimmer und hänge hier fest.

Wie haben Sie Corona in Neuseeland erlebt?

Es gab einen strengen Lockdown im März und April 2020. Das war hart, weil ich ziemlich allein im Haus war. Ich saß wochenlang in meinem Zimmer, versuchte, mich mit Übungen fit zu halten. Ab und zu bin ich kurz raus, bin auf Bäume geklettert, habe Saltos im Garten gemacht oder habe mir auf einem Parkplatz Skateboardfahren beigebracht. Seit Ende April gab es Lockerungen. Heute ist das Leben so gut wie uneingeschränkt, Konzerte finden statt, Restaurants haben offen, und man kann Leute treffen. Im ganzen Land gab es bisher 25 Corona-Tote.

"Vor 80 000 Zuschauern zu springen, ist ein unbeschreibliches Gefühl, das vermisse ich"

Ihr Arbeitsvisum ist abgelaufen, Sie haben ein weiteres Visum beantragt, das aber bereits einmal abgelehnt wurde.

Ich habe bisher als Sporttherapeutin und Personal Trainerin gearbeitet, um meinen Sport zu finanzieren. Das ist nun vorbei, jetzt kann ich nur warten, auf ein weiteres Visum hoffen und trainieren. Dieser Schwebezustand ist unfreiwillig, und die Unsicherheit setzt mir zu. Aber irgendwie klappt das schon.

Das heißt, Sie leben jetzt allein von Sponsorengeldern?

Schön wär's. In meinem Sport haben nur die Superstars Sponsoren. Ich lebe allerdings recht günstig, zahle 600 Euro Miete und 180 Euro Trainingsgebühren im Monat. Meine Großeltern schicken mir Geld, damit ich durchkomme, bis ich wieder arbeiten darf. Aber auf Dauer geht das natürlich nicht. Soll ich das Ganze aufgeben? Diese Frage geht mir auf alle Fälle durch den Kopf.

Ihr letzter Wettkampf im Klippenspringen war 2019, verlieren Sie da nicht die Motivation?

Ich habe null Probleme, mich zu motivieren. Ich trainiere wahrscheinlich härter als je zuvor. Sechsmal die Woche, immer zwischen drei und fünf Stunden: Sprünge vom Turm, auf dem Trampolin, Training im Kraftraum. Ich bin richtig heiß darauf, dass es weitergeht mit den Wettkämpfen, aber noch ist nicht klar, wann und wo der nächste stattfindet. Vor 80 000 Zuschauern zu springen, ist ein unbeschreibliches Gefühl, das vermisse ich. Ich habe gehört, dass das Saisonfinale der Cliff Diving Series 2021 eventuell nach Auckland kommen soll - da will ich unbedingt dabei sein, als Fast-Einheimische.

Wie sind Sie überhaupt darauf gekommen, Klippenspringerin zu werden?

Das erste Mal habe ich Turmspringen bei den Olympischen Spielen 2008 im Fernsehen gesehen. Ich war sofort fasziniert, habe dann ein paar Sprünge vom Einer oder vom Dreier probiert, aber nicht wirklich ernsthaft. Später haben mich dann meine Eltern einmal im Monat von Pähl, dem Ort, an dem ich aufgewachsen bin, 45 Kilometer nach München gefahren. Da habe ich an Schnupperstunden teilgenommen und danach einmal die Woche trainiert. Erst mit 19 habe ich so richtig mit dem Springen angefangen. Ich hatte das Glück, dass es in Utting am Ammersee einen hölzernen Zehnmeterturm gibt, von dem ich im Sommer trainieren konnte. Seitdem hat mich das Springen gepackt, und ich kann nicht mehr loslassen. Diese zwei Sekunden in der Luft sind der Lohn für alle Mühen.

"Wenn was passiert, tut es schon heftig weh": Klippenspringerin Iris Schmidbauer taucht mit bis zu 75 Kilometern pro Stunde ins Wasser ein. (Foto: Romina Amato/Red Bull Content Pool/OH)

Was reizt Sie daran?

Die Komplexität! Der richtige Absprung, die durchgeplante Choreografie in der Luft, schließlich das Eintauchen mit 75 Kilometern pro Stunde Geschwindigkeit ins Wasser, das hart wie Beton sein kann. Ich liebe es, barfuß auf einem Felsen zu stehen und mich ganz in der Natur zu fühlen. Turmspringen in der Halle ist okay, aber ich mag's lieber wild, mit Sprüngen ins Meer von einer echten Klippe. Meinen schwierigsten Sprung, den Rückwärtsdreifachsalto mit Doppelschraube, haben außer mir weltweit nur noch zwei andere Springerinnen im Programm.

Das ist sicher verletzungsanfällig?

Nicht wirklich, Vorbereitung ist alles. Aber wenn was passiert, tut es schon heftig weh. 2015 bin ich in der Luft "erschrocken" und dann nach zwanzig Metern auf den Rücken geknallt. Ich konnte noch selbstständig ans Ufer schwimmen. Ich hatte ein paar Platzwunden am Rücken, musste Blut spucken, weil einige Lungenbläschen beim Aufprall geplatzt sind und hatte ein Schleudertrauma. Sonst war aber alles okay.

Klingt nicht gerade nach Werbung fürs Klippenspringen.

Das waren zwei Unfälle bei hunderten Sprüngen! Schlimmer sind die Albträume, die ich nach meinem Unfall bei jedem 20-Meter-Sprung hatte. Auch sonst kann ich in der Nacht vor einem Wettkampf so gut wie gar nicht einschlafen, immer wieder gehe ich im Kopf jedes einzelne Sprungelement durch. Letztlich ist es ja etwas Unnatürliches, sich von einer Klippe zu stürzen. Aber in der Millisekunde, in der meine Füße vom Boden abheben, durchströmt mich pures Glück.

Seit 17 Monaten waren Sie nun schon nicht mehr zu Hause in Bayern. Was vermissen Sie am meisten?

Schon sehr viel. Meinen Bruder, meine Eltern und meine Großeltern. Die Alpen und das Snowboarden. Lange Spaziergänge durch bayerische Wälder, Kaiserschmarrn von der Oma, Apfelstrudel und vor allem den Himbeerkuchen der Bäckerei Kasprowicz im Nachbarort Kerschlach.

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