Europa League:Ajax trotzt dem ewigen Schicksal

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In Feierlaune: André Onana (links) und Davy Klaassen von Ajax Amsterdam. (Foto: REUTERS)
  • Ajax Amsterdam erreicht das Finale der Europa League - nach 22 Jahren spielt der Klub damit wieder um einen internationalen Titel.
  • Der Aufstieg des Teams hat viel mit Trainer Peter Bosz zu tun.
  • Sogar José Mourinho ist angetan.

Von Christopher Gerards

Hatte José Mourinho das gerade wirklich gesagt? Hatte der Manchester-Trainer, der immer einen abfälligen Spruch im Repertoire führt, tatsächlich eine Mannschaft gelobt, die nicht er selbst trainiert? Ajax Amsterdam sei ein "starkes, junges Team", er erwarte jedenfalls "einen schwierigen Wettkampf". Ein Lob von Mourinho also. Ja, es sind gerade gute Zeiten für Ajax Amsterdam.

Eine solche Wiederauferstehung hat der Fußball lange nicht mehr gesehen. Die Niederlande waren zuletzt zu einer Art Sorgenkind Europas verkommen, die Nationalmannschaft verpasste die Europameisterschaft in Frankreich, auch jetzt muss sie um die Qualifikation für die WM 2018 bangen. Die Klubs spielten ihrerseits nicht viel erfolgreicher, Ajax und PSV Eindhoven erreichten in den vergangenen Jahren maximal das Achtelfinale der Champions League, dann war Schluss.

Und jetzt, nach einem 4:1 im Hinspiel und einem 1:3 im Rückspiel am Donnerstagabend gegen Lyon, steht Ajax im Finale der Europa League. 22 Jahre nach dem Champions-League-Sieg gegen den AC Mailand kann der Traditionsklub wieder einen internationalen Titel gewinnen - und im Finale geht es ja, tadaa, gegen José Mourinho und Manchester United.

"Ich habe da nicht viele Worte für"

Und hier beginnt die ganze Geschichte fast schon kitschig zu werden: Das Modell hinter dem jüngsten Erfolg ist fast das gleiche wie 1995. Und einige der Protagonisten von damals sind heute wieder im Verein. "Ein Finale mit Ajax, das ist doch schön, oder? Ich habe da nicht viele Worte für", sagte Kapitän Davy Klaassen am Donnerstagabend, aber dann fand er doch noch ein paar Worte. "Dumme Tore" habe sein Team im Rückspiel kassiert, Ajax hatte ja zunächst dominiert und war durch Kasper Dolberg sogar in Führung gegangen.

Als Lyon in der 82. Minute das 3:1 gelang, musste Ajax zittern, vor allem, weil kurz darauf Verteidiger Nick Viergever Gelb-Rot sah. Er sei aber "stolz", dass "wir es runtergespielt haben, und das mit so einer unerfahrenen Mannschaft", sagte Klaassen noch.

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Obwohl die Mannschaft aus Amsterdam gegen Lyon verliert, kommt sie ins Endspiel. Und auch Manchester hat Mühe gegen Celta Vigo.

Eine unerfahrene Mannschaft, es ist das ewige Schicksal der Eredivisie, dass ihre Klubs finanziell nicht mithalten können mit denen aus den großen Ligen Europas. Und deshalb ist es das genauso ewige Geschäftsmodell von Ajax, junge Spieler auszubilden und dann gewinnbringend zu verkaufen (wie etwa Arkadiusz Milik, der im Sommer für 32 Millionen Euro zu Neapel ging). Gegen Lyon stand mit André Onana ein 21 Jahre alter Profi im Tor, vor ihm verteidigten die Innenverteidiger Davison Sánchez, 20, und Matthijs de Ligt, 17, im Angriff startete Kasper Dolberg, 19, später kam Justin Kluivert, 17, als Außenstürmer. Mit Klaassen und Joël Veltman stehen langjährige Profis im Kader, die der Klub selbst ausgebildet hat.

Es ist ein Teil dieser Romanze, dass zudem diverse der heutigen Mitarbeiter schon als Spieler für Ajax aufliefen. Dennis Bergkamp etwa, Angreifer einst, der inzwischen Assistenz-Trainer ist. Oder Marc Overmars, der frühere Außenstürmer, der 1995 beim Champions-League-Sieg dabei war und nun als Technischer Direktor fungiert. Und, das vor allem: Edwin van der Sar, ebenfalls gegen Milan erfolgreich, einst Nationaltorwart und nun Geschäftsführer des Klubs.

Aber hinter dem Erfolg steht auch ein Name, der bis vor kurzem vor allem mit dem großen Rivalen Feyenoord Rotterdam verbunden wurde: Trainer Peter Bosz, 53. Fünf Jahre hatte er für Feyenoord gespielt, drei Jahre arbeitete er dort als Technischer Direktor. Dennoch sagt er von sich, schon in den Neunzigern oft von Rotterdam nach Amsterdam gefahren zu sein, um das Training des damaligen Coaches Louis van Gaal zu sehen. Bosz hatte bis zum Sommer nicht als übermäßig erfolgreicher Trainer gegolten, er arbeitete in Almelo, in Arnheim, dann für wenige Monate bei Maccabi Tel Aviv. Doch inzwischen spielt Ajax derart berauschenden Fußball, dass Bosz zu Symposien eingeladen wird, um über seine Taktik zu sprechen, so war es jedenfalls im Februar.

Bosz lernte von Guardiola

Dort sagte er einen bemerkenswerten Satz, es ging um sein Lieblingsbuch: das von Marti Perarnau über Pep Guardiolas erste Saison beim FC Bayern. "Als ich Herr Guardiola las, habe ich nicht begriffen, warum er drei ganze Tage brauchte, um den künftigen Gegner zu studieren. Ich tat das in zehn Minuten", sagte Bosz. Aber dann, so sagte er es, begriff er, warum: zum Beispiel, um zu schauen, wer bei Ballgewinn des Gegners frei steht und wie sich dafür eine Lösung finden lässt. Kleinigkeiten also, aber "das versuche ich jetzt auch öfter zu tun". Seine Taktik sieht, grob gesagt, so aus: den Gegner früh unter Druck setzen, kompakt stehen, durchdecken. Und dann gibt es noch die sogenannte Fünfsekundenregel.

"Die meisten Teams machen das Feld so groß wie möglich, wenn sie den Ball haben, und so klein wie möglich, wenn sie verteidigen", sagte Bosz, "Berechnungen zeigen, dass ungefähr fünf Sekunden vergehen, um zwischen diesen Modi zu wechseln. Zwischen dieser Zeit wollen wir den Ball zurück haben." Dafür müssen alle drei Angreifer früh pressen, die Mittelfeldspieler müssen sich vor ihren Gegnern positionieren, die Verteidiger weit aufrücken und der Torwart mitspielen. Nichts davon ist neu, man hat die meisten Begriffe schon mal gehört und könnte sie abtun als Floskeln der neuen Fußballsprache. Andererseits: Bosz ist erfolgreich damit.

Zu den Pointen dieser Saison, in der Ajax so gut spielt wie lange nicht, gehört aber auch, dass vor dem letzten Spieltag der Eredivisie Feyenoord Erster ist, mit einem Punkt Vorsprung. Zum vorerst letzten Mal wird der niederländische Meister direkt für die Champions League qualifiziert sein, der Zweite muss in der Qualifikation ran. Aber wenn man so will, bietet sich Ajax ein schöner Umweg: Wenn es die Europa League gewinnt, ist es ebenfalls für die Champions League qualifiziert. Und, so sagt es Peter Bosz: "Wenn du im Finale stehst, willst du auch gewinnen."

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