Ermittlungen gegen Blatter:Der Fall Max und Moritz

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Protagonisten einer Geschichte von Freundschaft und Verrat: Michel Platini gratuliert Fifa-Präsident Sepp Blatter nach dessen Wiederwahl im Mai. (Foto: REUTERS)
  • Einst waren Sepp Blatter und Michel Platini Verbündete - dann wurden sie erbitterte Gegner.
  • Jetzt sieht es so aus, als rissen die Ermittlungen gegen Fifa-Chef Blatter auch dessen designierten Nachfolger Platini in den Abgrund.

Von Thomas Kistner

"Genug ist genug!" befand Michel Platini im Mai, Tage bevor sich Sepp Blatter trotz der heftigen Gegenwehr des Europa-Verbandes Uefa in eine fünfte Amtszeit wählen ließ. Genug ist genug: Keinen Funken Geduld brachte der Franzose mehr für den sportpolitischen Mentor auf. Ganz anders als offenkundig in der Zeit bis 2011.

Die Schweizer Bundesanwaltschaft ermittelt rund um eine Zahlung Blatters an Platini aus dem Februar 2011 über zwei Millionen Franken - "angeblich für zwischen Januar 1999 und Juni 2002 geleistete Dienste", wie die Strafbehörde am Freitag mitteilte. Stunden später erklärte Platini, das Geld hinge "mit meiner vertraglich vereinbarten Arbeit für die Fifa" zusammen. Er sei froh, die ganze Sachen "mit den Behörden geklärt zu haben".

Brisante Fragen zum Zeitpunkt der Zahlung

Aber geklärt ist nichts. Und Rechtsexperten grübeln, ob diese Version für eine Millionen-Nachzahlung unter hauptamtlichen Fußballchefs vor den Ermittlern standhalten kann. Platini arbeitete damals, ab 1999, als Blatters Sportberater, er hatte ein Büro in Paris und kassierte, so hieß es, bis zu eine Million pro Jahr.

Floss das Salär nie, hat Platini vier Jahre umsonst gearbeitet und zwölf Jahre abgewartet, bis er 2011, als Fifa-Vize und Uefa-Präsident, bei Blatter die uralte Zeche einforderte? Eine, die womöglich verjährt ist? Oder entdeckten die zwei im Februar 2011, als die Nachvergütung floss, eine besonders tolle Berater-Idee, die gesondert zu honorieren war? Warum ist dann als Zahlungsgrund die Arbeit für die komplette Zeit genannt, in der Platini sowieso besoldet war?

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Brisante Fragen wirft der Zeitpunkt der Zahlung auf: Februar 2011. Gleich darauf, am 22. März, fand der Uefa-Kongress statt, und Platini appellierte an alle 53 Mitgliedsverbände, gemeinsam für Blatter zu stimmen: Der steckte gerade im hitzigen Wahlkampf, Fifa-Vize Mohamed Bin Hammam wollte am 1. Juni selbst Präsident werden.

Der Katarer ließ Funktionäre bestechen, die Fifa warf ihn raus. Nun fällt auf, dass damals auch Blatter Gelder verteilte, von der Fifa, aber unter der Hand: Nicht nur an Platini, sondern, Wochen vor der Kür, eine Million an den Erdteilverband des langjährigen Verbündeten Jack Warner. Offiziell für das 50. Jubiläum der Concacaf. Warum die Gabe diskret erfolgte, wurde nie erklärt.

Die Ermittler werden all diese Verhaue durchleuchten. Und während sich Blatters Schicksal vollzieht, rückt Platini in den Fokus. Der Franzose galt als Thronfavorit für den Sonderkongress am 26. Februar. Jetzt aber ist er als Galionsfigur einer Rundum-Erneuerung untragbar geworden. Was immer die Strafermittler finden: Mit Blatters stiller Millionenzahlung ranken sich zu viele Fragen um den Mann, der ja auch für Katar als Ausrichter der WM 2022 votiert hatte und dessen Sohn danach als Manager im Sportgeschäft des Emirats unterkam.

Sepp und Michel; im Flurfunk hoher Funktionäre hießen sie einst "Max und Moritz". Aber verbrüdert sind sie schon lange nicht mehr, sondern die Protagonisten einer Geschichte von Freundschaft und Verrat. Bei Blatter ist der Bruch mit Vertrauten Brauch, viele enge Gefährten diverser Karriereabschnitte schimpften ihn später Verräter.

Fifa-Vorstände wie Bin Hammam, Warner oder Ricardo Teixeira, denen er angeblich jeden Wunsch erfüllte, als sie ihm Wahl und Wiederwahlen sicherten. Die Freunde von einst jagt nun die US-Justiz, während Blatter immerzu neue, naive Reformhelfer um sich schart. Einige halten den Profifunktionär heute noch für einen echten Reformwilligen.

Ein großer Profi war auch Platini. Als Fußballer. Für das Leben danach lernte er bei Blatter. Wie der Meister neigt der Schüler zur Eifersüchtelei; das Verhältnis zu anderen Ikonen der Grande Nation, zu Zinedine Zidane etwa oder zu Didier Deschamps, gilt als reserviert. Als Blatter dank diskreter Wahlhelfer 1998 vom Generalsekretär zum Präsidenten aufstieg, war Platini der wichtigste öffentliche Fürsprecher. Er hatte ein bedeutendes Amt inne: WM-Turnierdirektor in Frankreich.

Eine fürstlich alimentierte Lehrzeit als Blatter-Intimus

Und Blatter brauchte namhafte Verbände, ein richtiges Schwergewicht. Sein Gegner war Uefa-Chef Lennart Johansson, der Schwede galt als seriöser Kandidat und hatte auch unter den Kickern die Creme hinter sich, von Pele bis Beckenbauer. So war es ein echter Coup, aus Johanssons Europa-Allianz just den WM-Gastgeber herauszubrechen. Frankreichs OK-Chef wurde Blatters Herold, organisierte Pressekonferenzen, griff Johansson persönlich an und erklärte, er gestalte Blatters Programm mit.

Ein Job als Fifa-Superdirektor war nach Blatters Amtsübernahme vorgesehen, doch der gedemütigte Johansson verhinderte das mit seiner Mehrheit im Fifa-Vorstand. Platini durfte nur Sportberater werden, 1999 begann diese Ära. Und damit immerhin eine fürstlich alimentierte Lehrzeit als Blatter-Intimus. Ziel: die Übernahme der Uefa, Platini sollte Schluss machen mit den Querschüssen aus Europa.

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2007 schlug er den greisen Johannson mit nur 27:23 Voten. Blatter wirkte im Hintergrund, auch Frankreichs Diplomatie half nach. Platini war fast ganz oben, stand aber nun in der Schuld bei allerlei Sportsfreunden. Obskure Funktionäre aus Europas Osten rückten in den Uefa-Vorstand ein. Monate später zog die Ukraine gemeinsam mit Polen die EM 2012 an Land.

Eine Sensation? Im Jahr 2010 kamen konkrete Bestechungsvorwürfe auf. Doch die Uefa-Spitze ließ den Informanten aus Zypern, der alles belegen wollte, ins Leere laufen. Sie sichtete nie sein Material und lud den mutmaßlichen Zeugen gar eilig wieder aus, als dieser mit dem Uefa-Ermittlungschef bereits eine Dokumenten-Sichtung am Stammsitz in Nyon vereinbart hatte.

Frankreich kam nicht zu kurz. Dort findet die EM 2016 statt, und dass Platini als Fifa-Vorstand für die WM 2022 in Katar stimmte, löste Jubel im Élysée-Palast aus. Dort regierte der bekennende Katar-Fan Nicolas Sarkozy. Er hatte Platini kurz vor der Kür mit dem Emir zusammengeführt.

Parallel geriet er mit Blatter über Kreuz. Dem verhalf er zwar zur neuen Amtszeit bis 2015, pochte aber auf dessen Aussage, dass danach Schluss sei. Blatter nutzte nun das Katar-Thema. Er ließ Fifa-intern den Umtrieben jener WM-Vergabe nachspüren und beklagte selbst verbotene Einflussnahmen europäischer Politiker bei jener Fifa-Kür; es zielte auf Platini.

Nun war der Kampf gegen Europa wieder Blatters Mission. Er verteidige sie gegen die Uefa-Kapitalisten, erzählte er der Restwelt von Afrika über Asien bis in die Karibik. Und Platini, der Kronprinz, traf in vielen Ecken der Welt auf Widerstand. Doch er braucht all die Zwergstaaten, die auch ohne Fußballbetrieb satte Fifa-Gelder erhalten. In Blatters Reich ist Bhutan so stark wie der DFB.

Nicht Zeuge, sondern "Auskunftsperson"

Wenn nun im Februar gewählt wird, könnten er die Kleinen auf seiner Seite haben. Aber die Großen, wie der DFB, dürfen das nicht mehr. Mark Pieth, gescheiterter Fifa-Reformer, verweist schon darauf, dass Platini nicht als Zeuge, sondern als "Auskunftsperson" geführt wird. Letztere, sagt der Basler Strafrechtler, könne jederzeit zum Beschuldigten werden. Nur bei Zeugen sei "die Staatsanwaltschaft sicher, dass sie nichts gegen ihn in der Hand hat".

Die Geschichte von Max und Moritz ging bekanntlich übel aus. Auch bei der Fifa kann es nun sein, dass am Ende einer den anderen mit sich in den Abgrund reißt.

© SZ vom 28.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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