Entschädigungszahlungen im American Football:Freigekauft für 765 Millionen Dollar

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Die Zuschauer lieben die spektakulären Zusammenstöße: Eine American-Football-Partie in Texas. (Foto: dpa)

Alzheimer-Patienten bekommen bis zu fünf Millionen Dollar, wer an Demenz leidet, erhält drei Millionen: Die NFL erklärt sich bereit, eine Rekord-Entschädigung für die Folgeschäden beim American Football zu zahlen. Eine historische Einigung - aber auch ein fragwürdiger Kompromiss.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Wer ein Gemälde betrachtet, wird bisweilen von der Darstellung in der Mitte derart überwältigt, dass er vergisst, auf die Details am Rand zu achten. Zu eindrucksvoll wirkt die Mitte, zu weit weg vom Zentrum der Rand. Die nordamerikanische Football-Liga NFL hat der Öffentlichkeit jetzt ein solches Kunstwerk präsentiert: Sie verpflichtet sich, die auf den ersten Blick erstaunliche Summe von 765 Millionen US-Dollar an ehemalige Akteure zu bezahlen, die an einer Erkrankung des Gehirns oder des Nervensystems leiden.

Immens viel Geld - so viel, dass die NFL nun glaubt, sich als wohltätige Organisation darstellen zu können. "Diese Einigung lässt uns jenen helfen, die es am dringendsten brauchen", sagt NFL-Vizepräsident Jeff Pash über den Deal zwischen der Liga und 4500 ehemaligen Spielern, der noch von Bezirksrichterin Anita Brody in Philadelphia bestätigt werden muss.

Eine harte Sportart, aber auch eine gefährliche

Fortan kann sich jeder ehemalige NFL-Akteur untersuchen lassen und dann - je nach Erkrankung und Länge seiner Profilaufbahn - Geld aus dem Kompensationstopf beantragen. Ein Alzheimer-Patient beispielsweise bekommt maximal fünf Millionen Dollar, wer an Demenz leidet, erhält maximal drei Millionen. Zudem gibt es eine Entschädigung für die Angehörigen verstorbener Spieler wie Junior Seau, Dave Duerson oder Ray Easterling. Etwa zehn Millionen Dollar gehen an Forschungseinrichtungen, die sich mit den Folgen von Gehirnerschütterungen beschäftigen.

"Jetzt werde ich ein bisschen Geld haben, um meine Kinder aufs College zu schicken", sagt Kevin Turner. Er spielte einst für die New England Patriots und die Philadelphia Eagles und leidet nun an amyotropher Lateralsklerose, einer Erkrankung des Nervensystems: "Ich bin jetzt 44 Jahre alt, wahrscheinlich werde ich die 50 oder 60 nicht erreichen - aber dieser Deal nimmt eine große Belastung von den Schultern derer, die leiden." Es ist eine historische Einigung, die da erzielt wurde, weil sie als Eingeständnis gewertet werden kann, dass Football nicht nur eine harte Sportart ist, sondern eine gefährliche.

Zahlreiche Studien beweisen, dass ein Gehirn langfristige Schäden erleidet, wenn es sich im Kopf eines Menschen befindet, der sein Geld damit verdient, diesen Kopf gegen andere Köpfe zu rammen. Das "Center for the Study of Traumatic Encephalopathy" fand heraus, dass bei 80 Prozent der untersuchten Gehirne von Footballspielern etwas nicht stimme.

Wenn die NFL nun Geld an ehemalige Spieler zahlt, die an Gehirnerkrankungen leiden, dann könnte man durchaus meinen, dass die Liga eine Verbindung zwischen den harten Zusammenstößen während der Partien und langfristigen Krankheiten anerkennt. Nur: Eben das tut die NFL nicht.

Eine Klausel in der Einigung besagt, dass die Liga keine Verantwortung für diese Verletzungen übernimmt und dass sie nicht zugibt, dass diese Erkrankungen durch Football hervorgerufen werden. Zudem wird Geld nur an ehemalige Spieler bezahlt, nicht aber an die Akteure, die von der kommenden Woche an in der NFL wieder übereinander herfallen werden. Die sollen weiter mit spektakulären Zusammenstößen dafür sorgen, dass genügend Zuschauer einschalten.

Die NFL strebt derzeit zudem eine Gesetzesänderung im Bundesstaat Kalifornien an. Bislang können dort Arbeitnehmer auch Jahre nach dem Ende ihrer Karriere ein Unternehmen verklagen, wenn sich herausstellt, dass sie aufgrund ihrer Arbeit erkrankt sind. Nach diesem Gesetz könnten auch Sportler ihre Vereine verklagen, wenn sie jemals eine Partie in Kalifornien absolviert haben - also beinahe alle Profis in einer nordamerikanischen Liga.

Die NFL will sich mit der Abschaffung dieses Gesetzes aus der Verantwortung stehlen und Zahlungen an aktuelle und künftige Akteure vermeiden, eine Entscheidung wird in den kommenden Wochen erwartet.

Die Spiele müssen weitergehen

765 Millionen Dollar sind viel Geld, keine Frage, und doch hat es den Anschein, als wolle sich die Liga damit von den Vorwürfen freikaufen, die Gefahren für die Akteure in Kauf genommen zu haben. Sie geht durch die Einigung einem langwierigen Rechtsstreit aus dem Weg, bei dem womöglich herausgekommen wäre, dass die Auswirkungen von Profifootball aufs menschliche Gehirn viel gravierender sind als angenommen - und dass die Liga eine Strafe in Milliardenhöhe hätte bezahlen müssen.

Schlimmer noch: Jemand hätte auf die Idee kommen können, die NFL zu Regeländerungen zu zwingen, um den Sport sicherer zu machen für jene, die ihn betreiben.

Die NFL ist ein florierendes Wirtschaftsunternehmen, etwa die Hälfte der 50 wertvollsten Sportvereine der Welt sind Footballklubs, die Liga wird in der kommenden Saison etwa zehn Milliarden Dollar umsetzen. Die Entschädigungen an ehemalige Spieler werden auf die nächsten 20 Jahre verteilt ausbezahlt, das sind pro Jahr knapp 0,4 Prozent des Gesamtumsatzes.

NFL-Vizepräsident Jeff Pash sagt: Commissioner Roger Goodell und die Teambesitzer haben den Anwälten die gleiche Anweisung gegeben: das Richtige für das Spiel zu tun." Das könnte man auch so verstehen, dass die Spiele ungestört weitergehen sollen. Im Zentrum dieser historischen Einigung ist diese immense Summe von 765 Millionen Dollar zu sehen - die Details bleiben am Rand.

© SZ vom 31.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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