EM-Halbfinale:Drachentöter führt Portugal ins EM-Finale

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Cristiano Ronaldo versteckt sich 45 Minuten lang im Halbfinale gegen Wales, dann dreht er auf und führt Portugal ins Endspiel - nebenbei stellt er einen EM-Rekord ein.

Von Ulrich Hartmann, Lyon

Um 22.50 Uhr gab es einen schrillen Pfiff, danach präsentierte Cristiano Ronaldo eine Auswahl seiner liebsten Siegerposen und versuchte, seine ganze Mannschaft auf einmal zu umarmen. Er schritt erst mit erhobenen Armen, später mit extrovertiert majestätischer Anmutung über den Rasen im Stade de Lyon. Zum zweiten Mal nach 2004 ist der 31-Jährige mit seinen Portugiesen am Mittwochabend ins Endspiel einer Europameisterschaft eingezogen.

Und das Erstaunliche dabei ist: Zum ersten Mal bei dieser EM haben sie ein Spiel innerhalb der regulären 90 Minuten gewonnen - 2:0 (0:0) gegen Wales. Nun warten sie auf ihren Finalgegner, Deutschland oder Frankreich. Ronaldo hatte das erste Tor selbst erzielt und das zweite vorbereitet. Dieser Triumph war der Kraftakt eines Besessenen.

Am kommenden Sonntag in Saint-Denis bestreiten die Portugiesen das 35. EM-Spiel ihrer Geschichte. Es gibt keine andere Nation, die so viele EM-Spiele hat und nie Europameister war. Portugal ist zweimal im Viertelfinale gescheitert, dreimal im Halbfinale und einmal im Endspiel, 2004 in Lissabon gegen die Griechen (0:1). Ronaldo und Ricardo Carvalho sind die einzig verbliebenen Spieler, die damals schon mitgewirkt haben. In Saint-Denis können sie ihre Enttäuschung über jenen 4. Juli 2004 löschen. Portugal steht erneut im Endspiel. Aber es war harte Arbeit gegen weitgehend gleichwertige Waliser.

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Mit Bruno Alves in der Innenverteidigung und Danilo Pereira vor der Abwehr hatte Trainer Fernando Santos seine Ausfälle Pepe (verletzt) und William Carvalho (gesperrt) ersetzt, darüber hinaus mit dem Neu-Dortmunder Raphael Guerrero für Eliseu in der Linksverteidigung noch einen freiwilligen Wechsel vorgenommen. Der künftige Münchner Renato Sanches stand zum zweiten Mal in der Startelf, diesmal aber durchgehend in Ronaldos Schatten.

Am absenten Personal hat es nicht gelegen, dass man den Portugiesen in der ersten Halbzeit anmerkte, warum ihre ersten fünf Turnierspiele drei Mal keine und zwei Mal eine extra späte Entscheidung erbracht hatten. Kapitän Ronaldo machte in der Spitze schon ohne Ball enormen Hokuspokus, und wenn er ihn hatte, gefiel er sich in der Rolle des Virtuosen - aber das war in den ersten 45 Minuten noch brotlose Kunst.

Zur ersten Chance der Portugiesen hatte er, immerhin, dem offensiven Mittelfeldspieler Joao Mario nach einer Viertelstunde per Doppelpass die Vorlage gegeben. Kurz vor der Pause köpfelte er einen Ball neben das Tor. Die Portugiesen spielen bei dieser EM erste Halbzeiten, die noch irgendwie zum Aufwärmprogramm gehören. Vielleicht gewöhnt sich so ein Fußballer-Organismus ja daran, dass es erst später im Spiel zur Sache geht. Was die Portugiesen bei dieser EM bislang im Überfluss hatten: Paciência - Geduld.

Cristiano Ronaldo, das hatte er mit seinen Sperenzchen in der ersten Halbzeit deutlich gemacht, hatte an diesem Abend aber nicht so ganz viel Geduld. Knapp fünf Minuten ließ er nach der Pause vergehen, dann sprintete er während einer schönen, langen, hohen Hereingabe von Guerrero von hinten in den Strafraum, sprang hoch, stand schier ewig in der Luft und drückte den Ball mit seinem ganzen Schwung per Kopf zum 1:0 ins walisische Tor.

Anschließend lag er an der Eckfahne und ließ sich ausgiebig herzen, feiern und liebkosen. Der Treffer war ja schließlich sein neunter bei seiner vierten EM, damit hat er den bisherigen EM-Rekordschützen Michel Platini eingeholt. Nachdem Ronaldo wieder aufgestanden war und eine selbstverliebte Bodybuilder-Pose gezeigt hatte, konnte das Spiel weitergehen.

Die tapferen Waliser ereilte danach ein schnelles, schmerzloses Ende, denn nur drei Minuten später fiel bereits die Entscheidung. Nani fälschte einen 20-Meter-Schuss von Ronaldo entscheidend ab, der Ball flog ins Tor und traf die walisischen Drachen ins Herz. Ronaldo, der Drachentöter, zeigte kein Erbarmen, aber das hatte 2004 mit ihm ja auch niemand gehabt. Von einem seiner letzten Träume ist er jetzt nur noch ein einziges Fußballspiel entfernt: mit Portugals Nationalmannschaft einen Titel zu gewinnen.

© SZ vom 07.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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