Eishockey-WM:"Wenn wir verlieren, kommen wir nicht ins Gefängnis, oder?"

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Ungewohntes Bild: Deutschland jubelt, die US-Cracks stehen geknickt daneben, nachdem Felix Schütz (l.) im Mai 2010 den Siegtreffer erzielt hat. (Foto: imago)
  • Die Heim-WM im Eishockey beginnt, das deutsche Team trifft zum Auftakt auf die USA.
  • Kann ein Coup gelingen wie vor sieben Jahren, als Deutschland das Duell gewann?
  • Hier geht es zum Liveticker der Partie.

Von Johannes Schnitzler, Köln

"Das ist jetzt ein Zeichen, oder?", sagt Felix Schütz und fährt sich mit der Hand über den nassgeschwitzten Schädel. Die deutschen Nationalspieler haben gerade ihr Abschlusstraining beendet, da schiebt ein Helfer einen Kleiderwagen mit den Trikots der amerikanischen Nationalmannschaft vorbei. Die USA sind an diesem Freitag (20.15 Uhr) Auftaktgegner der deutschen Mannschaft bei der Eishockey-Weltmeisterschaft (5. bis 21. Mai) in Köln. Es ist wie im Fernsehkrimi, jedes Detail kann jetzt wichtig sein. Nur dass hier keine TV-Kommissare die Fragen stellen, sondern Journalisten. Vor allem eine Frage: Herr Schütz, wie war das damals, 2010?

Felix Schütz, 29, hat diese Frage in den vergangenen Wochen ständig beantworten müssen: Wie war das, als Deutschland zuletzt WM-Gastgeber war und im Auftaktspiel vor 78 000 Zuschauern in der Arena auf Schalke ebenfalls auf die USA traf? Schütz erzielte in der Verlängerung den 2:1-Siegtreffer, eigentlich wurde er mehr angeschossen, aber egal. Das Tor zählte. Es war der Startschuss für eine von Emotionen getragene Kampagne der Deutschen, die erst im Halbfinale gegen Rekordweltmeister Russland (1:2) endete.

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Am Freitag beginnt die Eishockey-WM in Köln und Paris. Im Kader von Bundestrainer Marco Sturm finden sich Spieler, die noch nie in einer Profiliga gespielt haben.

Von Johannes Schnitzler

Das Team wurde Vierter und verpasste eine Medaille. Aber es entfachte damals tatsächlich so etwas wie Euphorie. Die Bilder nach dem 1:0 im Viertelfinale gegen die Schweiz erlangten ikonischen Status: wie Co-Trainer Ernst Höfner sich mit dem Schweizer Verteidiger Timo Helbling fetzte und Torwart Dennis Endras eine schwarz-rot-goldene Flagge von der Größe eines Swimmingpools schwenkte.

Felix Schütz war schon bei der Heim-WM 2010 dabei

Endras ist nicht mehr dabei. Der erste und bisher einzige Deutsche, der zum wertvollsten Spieler einer WM gewählt wurde, musste nach der vorletzten Vorbereitungsphase nach Hause fahren. "Unsere klare Nummer eins", wie Bundestrainer Marco Sturm sagt, ist jetzt NHL-Profi Thomas Greiss. Felix Schütz steht dagegen wieder im Aufgebot, als einer von vier Spielern, die schon vor sieben Jahren das Trikot des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) trugen.

Und wie war das nun damals, dieses 2:1? "Ich war 22. Das war der größte Augenblick meiner Karriere." Er meint: bis dahin. Aber der eine Moment? "Schwer zu sagen. Es wäre ja auch schade, wenn es nur einen Moment gäbe in der Karriere."

Dass es ein besonderer Moment für ihn war, gibt er gerne zu, "gerade nach den harten Zeiten in Amerika". Schütz spielte vier Jahre in Übersee, in der kanadischen Juniorenliga QMJHL und für die Portland Pirates in der American Hockey League, ehe er über die DEL nach Russland und schließlich nach Schweden wechselte. Es liegt auch an diesen harten Zeiten, dass Schütz, der zum siebten Mal an einer WM teilnimmt, nun gelassen auf den Druck vor einem solchen Turnier reagiert. "Auf eine Heim-WM freut man sich noch ein bisschen mehr", sagt der Stürmer. "Aber es ist jetzt keiner supernervös, keiner hat Angst. Es ist mehr Vorfreude. So muss es auch sein." So sieht es auch der Bundestrainer.

Auch Marco Sturm macht vor seiner zweiten WM als verantwortlicher Cheftrainer einen entspannten Eindruck. Er lacht viel. "Die Stimmung ist gut", sagt der 38-Jährige. "Die Jungs sollen hart arbeiten, aber auch Spaß haben. Es ist nicht in jedem Jahr eine Heim-WM." In den Jahren nach 2010 verpasste es der DEB, den Schwung mitzunehmen, die positive Energie. Stattdessen folgten sportlich enttäuschende Jahre und ein unappetitlicher Führungsstreit. 2015 installierte der neu gewählte Präsident Franz Reindl den bis dato völlig unerfahrenen Sturm als Bundestrainer. Plötzlich gibt es wieder Perspektiven.

Unter dem deutschen NHL-Rekordspieler Sturm hat sich die Grundstimmung in und um die Mannschaft jedenfalls aufgehellt, selbst die NHL-Profis wie Greiss kommen, wenn sie gerufen werden. Im vergangenen Jahr erreichte das DEB-Team erstmals seit 2011 das WM-Viertelfinale und qualifizierte sich für die Olympischen Spiele in Pyeongchang. In der Eishockey-Stadt Köln, wo Sturm seine Karriere als Spieler vor vier Jahren beendete, glauben nun viele, dass ein Erfolg wie 2010 möglich ist. Dass Kapitän Christian Ehrhoff am Donnerstag im Abschlusstraining fehlte? "Nur eine Vorsichtsmaßnahme", sagt Sturm. Reindl verspricht: "Wenn wir Gewinn machen sollten, wird das Geld für die Zukunft verwendet." Verteidiger Moritz Müller, Kapitän der Kölner Haie, verrät, in der Kabine habe es sogar schon kölsche Lieder zu hören gegeben.

Und wenn sie nun trotz der ganzen schöne Vorfreude nach dem schweren Auftaktprogramm gegen die USA, Schweden (Samstag) und Russland (Montag) noch nichts gewonnen haben sollten: Was soll passieren? "Wenn wir verlieren, kommen wir nicht ins Gefängnis, oder? Niemand erwartet von uns, dass wir Weltmeister werden", sagt Felix Schütz. Falls doch, könnte er vermutlich auch damit leben, dass das dann der Moment seiner Karriere war.

© SZ vom 05.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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