Eishockey-WM:Ausgerechnet gegen Österreich

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Nach drei verlorenen Spielen bei der Eishockey-WM benötigt die deutsche Nationalmannschaft unbedingt einen Sieg: gegen Österreich. Um eine erneute Schmach wie in der Olympia-Qualifikation zu vermeiden, braucht es Typen wie John Tripp.

Von Johannes Schnitzler

Rückblende I, 21. Juni 1978: Bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Argentinien verliert die deutsche Nationalelf in der Zwischenrunde gegen Österreich 2:3 in Córdoba. Beide Teams scheiden aus, Österreich jubelt trotzdem. ORF-Reporter Edi Finger brüllt: "I wer' narrisch!"

Rückblende II, 10. Februar 2013: Bei der Olympia-Qualifikation in Bietigheim gewinnt die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft gegen Österreich 3:2 nach Verlängerung, verpasst aber die Spiele 2014. Wiener Zeitungen schreiben vom deutschen "Eis-Córdoba".

Wer wissen will, welche Emotionen ein Duell Deutschland gegen Österreich auslösen kann, muss sich die Szenen von 1978 ansehen, wie der Wiener Hans Krankl den Gelsenkirchener Rolf Rüssmann versetzt und zum 3:2 einschiebt. Wer wissen will, was auf dem Spiel steht, wenn beide Nationen am Mittwoch (15.15 Uhr/ Sport1) bei der WM in Helsinki aufeinander treffen, muss im Februar die Gesichter der deutschen Eishockey-Profis gesehen haben.

Deutschland hat bei dieser WM gegen Finnland (3:4 n.V.), Russland (1:4) und die Slowakei (2:3) verloren. Knapp, zum Teil unglücklich, weil reguläre Treffer nicht anerkannt wurden. Aber verloren eben. Österreich bezwang am Dienstag die Letten 6:3, unterlag zum Auftakt aber den USA 3:5 und den schwächer eingeschätzten Franzosen 1:3. Zwei Tore erzielte bislang Thomas Vanek, Teamkollege von Christian Ehrhoff bei den Buffalo Sabres in der NHL. Ehrhoff warnt: "Vanek ist ein Typ wie Kowaltschuk" - der Russe Ilja Kowaltschuk hatte gegen die Deutschen drei Tore geschossen.

Spiel vier von sieben in der Vorrunde ist der Schlüssel für den weiteren Turnierverlauf. Die Mannschaft von Bundestrainer Pat Cortina muss gewinnen, um ihre Viertelfinal-Chance zu wahren. Verliert sie, ist das Minimalziel Klassenerhalt in Gefahr. "Wir müssen jetzt den Kopf oben lassen", sagt Stürmer John Tripp. "Es bringt nichts, zurückzuschauen." Es sind simple Wahrheiten wie diese, die Tripp bei der WM zur zentralen Figur im Team machen.

Im März hat John Tripp einen seltsamen Preis erhalten, er ist der "Cable Guy des Jahres". Bei der Live-Übertragung der Partie Köln gegen Hamburg hatte Tripp ein Mikrofon getragen, damit etwas von der Atmosphäre auf dem Eis beim TV-Zuschauer ankommt. Beim Stand von 2:2 reichte Kölns Kapitän von der Bank aus seinem Mitspieler Philip Riefers einen Schläger, Riefers hatte seinen im Getümmel verloren. Prompt traf Riefers mit Tripps Stock zum 3:2, Köln gewann 4:3. Die Zuschauer im Stadion sahen, wie draußen auf der Kölner Bank ein Spieler auf und ab hopste, die am Fernseher hörten, wie er schrie: "Das war mein Schläger! Mein Schläger!" Es war John Tripp, rasend vor Glück.

Tripp, 1,91 Meter, 104 Kilo, hat einen Körper wie ein Überseekoffer, sperrig, kantig, voluminös. Mit diesem Körper geht er, wie es in der Sportsprache heißt, dorthin, wo es weh tut. In seinem Oberkiefer klafft eine imposante Zahnlücke. Seit 2007 spielt der gebürtige Kanadier aus Kingston, Ontario, für die Auswahl des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB). Dabei schont er weder sich noch andere. Gegen Russland stocherte er den Puck zum 1:2 über die Linie - und schlug im Freudentaumel versehentlich einem Schiedsrichter die Nase blutig.

Bundestrainer Cortina, der Italo-Kanadier, der sich so sehr mit deutschen Tugenden identifiziert, liebt Typen wie Tripp. Eine der Lehren, die er aus dem Debakel von Bietigheim gezogen hat, ist: "Einstellung ist wichtiger als Talent." In Bietigheim hatte er an die spielerische Überlegenheit seines Kaders gegen Holländer, Italiener und Österreicher geglaubt. Doch als der Druck immer höher wurde, fand sein Team keine spielerische Lösung. Im wichtigsten Moment fehlte dem DEB-Team ein Mittel, das zum Standardrepertoire deutscher Mannschaften gehört: Es fehlte das physische Element. Es fehlte einer wie John Tripp.

36 Jahre alt ist Tripp seit Samstag, er ist kein Mann der Zukunft. Aber wie sich dieser in Kanada gezimmerte Kleiderschrank in den Dienst der Mannschaft stellt, ist mustergültig für jeden deutschen Profi. Seine Mitspieler nennen ihn "Hans". Bei dieser WM bildet Tripp mit dem Mannheimer Marcus Kink und dem künftigen Münchner Yannic Seidenberg eine Reihe, im Team heißen sie "Energie-Riegel". Cortina hat erkannt, dass sein Team in Bietigheim ein Kraftreservoir für die entscheidenden Momente fehlte. In Helsinki lobt er ihr Engagement auf die ihm eigene dreisprachige Weise: "Bravo to the Männer."

Bietigheim hat sich wie ein Schatten über Pat Cortinas junge Karriere als Bundestrainer und DEB-Sportdirektor gelegt. Er sagt, der Stachel, die Qualifikation für Sotschi verpasst zu haben, "schmerzt immer noch sehr". Wie sehr, zeigt seine Antwort auf DEB-Präsident Harnos, der vor WM-Beginn sagte, man müsse die Doppelfunktion Trainer/Sportdirektor hinterfragen. Harnos wollte seine Einlassungen nicht auf Cortina gezielt verstanden wissen. Der aber, in den Tagen von Helsinki mehrmals darauf angesprochen, brummte: "Was Herr Harnos denkt oder nicht, hilft mir als Coach nicht weiter." Helfen sollen Cortina Typen wie John Tripp. Gegen Österreich schließt sich der Kreis.

© SZ vom 08.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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