Eintracht Frankfurt:Wenn der Pokalfinalist seine halbe Elf verliert

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Das Pokalfinale als letztes gemeinsames Gruppenbild: Eintracht Frankfurt verliert im Sommer einige Spieler wie Michael Hector, Haris Seferovic und wohl auch Jesus Vallejo. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Eintracht Frankfurt verabschiedet im Sommer viele seiner Stammspieler.
  • Hintergrund ist ein Transfermodell des Klubs, das vor allem auf Leihen beruht.
  • Langfristig will Sportdirektor Fredi Bobic die Eintracht so zu einem ambitionierten Bundesligisten formen.

Von Christof Kneer, München

Der Fußballspieler Michael Hector ist 2009 zum FC Reading gewechselt. Das kann man durchaus mal machen, wenn man erst 17 ist, und es ist auch nicht weiter schlimm, wenn man sich dann zu Bracknell Town weiter verleihen lässt. Nach ein paar Monaten reichte man Hector aber an Didcot Town weiter, anschließend schnürte er seine Schuhe - selbstverständlich auf Leasingbasis - für Havant & Waterlooville FC und Oxford City. Eine neue Herausforderung suchte er anschließend, jeweils monateweise, bei Horsham FC sowie bei Dundalk FC, bevor er - übrigens leihweise - für den FC Barnet, Shrewsbury Town, Aldershot Town, Cheltenham Town sowie den FC Aberdeen spielte; in letzterem Fall handelte es sich um eine seriöse Auslandserfahrung (Schottland).

Im Sommer 2014 erinnerte sich irgendwer in Reading daran, dass dieser Spieler immer noch beim heimischen FC unter Vertrag stand, worauf Hector auf einmal für jenen Verein auflief, dem er seit fünf Jahren gehörte. Und Hector spielte für Reading so gut, dass ihn nach einem Jahr der FC Chelsea verpflichtete, selbstverständlich nicht ohne ihn gleich nach Reading zurück zu verleihen. 2016 tauchte Hector absprachegemäß wieder beim FC Chelsea auf, wo irgendwem auffiel, dass man den Spieler gerade doch nicht so gebrauchen kann. Er wurde dann erstaunlicherweise wieder verliehen. Und zwar zu Eintracht Frankfurt.

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Der Verteidiger Michael Hector, das sollte man vielleicht dazu sagen, ist immer noch erst 24 Jahre alt, und doch hat er bereits mehr Arbeitgeber hinter sich, als auf eine Visitenkarte passen. Muss man noch extra erwähnen, dass die Frankfurter das Leihgeschäft nach einem gemeinsamen Jahr jetzt auch auslaufen lassen? Dass Hector jetzt also wieder zum FC Chelsea zurückkehren darf und muss, wo sie vermutlich bereits überlegen, wohin sie den Buben als Nächstes ausleihen sollen?

Michael Hectors Vita ist vielleicht einen Tick zu wild, um sie als stellvertretende Geschichte eines modernen Profifußballers zu verfilmen, dennoch taugt die Vita wunderbar, um mit ihr die zynischen Mechanismen der neuen Zeit zu bebildern. Talente werden früh vom Markt gekauft, hauptsächlich damit kein Mitbewerber sie kriegt, und wenn sie dann doch nicht mindestens herausragend sind, ja gut, dann werden sie halt von A nach B nach C verliehen. Oder eben: nach F wie Frankfurt.

Bobic betrachtet sein Transfermodell als Übergangsmodell

Fredi Bobic, der Sportvorstand der Eintracht, hat daraus inzwischen ein Modell entwickelt. Seine Eintracht muss ja weiter aufs Geld achten, und so hat er beschlossen, den Markt mit dessen eigenen Waffen zu schlagen. Vorigen Sommer hat Bobic bevorzugt Spieler geholt, die bei den großen Klubs hinten runter gefallen sind, Hector in Chelsea, Ante Rebic beim AC Florenz, Jésus Vallejo bei Real Madrid, Guillermo Varela bei Manchester United, Shani Tarashaj beim FC Everton. Alle zusammen haben sie der Eintracht eine beachtliche Vorrunde geschenkt, und am Ende haben sie es sogar bis ins Pokalfinale geschafft, in dem Ante Rebic ein schönes Tor schoss.

Rebic, der Florenz gehört und schon nach Verona und Leipzig verliehen war, wird die Eintracht nach einem Jahr aber ebenso wieder verlassen wie Hector, Tarashaj oder der vorübergehend berühmt gewordene Varela, den die Frankfurter angeblich wegen eines entzündeten Tattoos suspendiert haben. Am Dienstag gab die Eintracht offiziell bekannt, dass sie die Kaufoption von drei Millionen Euro bei Rebic nicht ziehen wird. Und Vallejo wird wohl zu Real zurückbeordert, um dort Pepes Nachfolge anzutreten.

Wer den Trend zur Wanderdüne so lustvoll bedient wie die Frankfurter, der kann in einer Transferperiode auch mal eine halbe Elf verlieren - zumal jetzt auch noch der etablierte Haris Seferovic zu Benfica Lissabon wechselt. Bobic hat das einkalkuliert, ein gewisser Schwund ist in sein Modell eingepreist. Er betrachtet die Leihspieler als Partner auf Zeit, so wie die Leihspieler die Eintracht als Partner auf Zeit betrachten. Man hilft und tröstet sich gegenseitig. Und wenn versehentlich Liebe daraus wird: Okay, warum nicht? Ansonsten umarmt man sich halt noch mal kurz, und dann geht jeder raus in sein Leben.

Am liebsten wäre es Bobic aber, er müsste nicht ewig darauf spekulieren, welche Spieler Chelsea gerade nach Reading ausleiht. Sein Modell ist als Übergangsmodell gedacht, Bobic will Zeit gewinnen. Er will die Eintracht, auch dank der Leihtalente, zum ambitionierten Erstligisten machen, der sich demnächst auch wieder an echte Geschäfte herantraut, mit Kaufen und so. Womöglich ist die Eintracht da schon auf einem guten Weg: Für die neue Saison wurde Sébastien Haller vom FC Utrecht verpflichtet, ein französischer U 21-Nationalstürmer, den Bobic als "Wunschspieler" bezeichnet. Und übrigens: Bevor Haller nach Utrecht ging, spielte er nur und ausschließlich in Auxerre.

© SZ vom 07.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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