Basketball:Neustart auf alten Pfaden

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Nicole Brochlitz war auch von Alba Berlin umworben, die 19-jährige Jugend-Nationalspielerin hat sich aber für Nördlingen entschieden. (Foto: Fiba Basketball/oh)

Der Erstligist Eigner Angels Nördlingen wird in der kommenden Saison ein völlig neues Gesicht bekommen, der neue lettische Trainer Matiss Rozlapa soll wieder mehr Gewicht auf Talententwicklung legen.

Von Andreas Liebmann

Seit einiger Zeit schon stehen sie so eng nebeneinander, dass sie sich fast berühren könnten, dabei passen sie überhaupt nicht zusammen. Es wird gerade gebaut im mittelalterlichen Kern der Stadt Nördlingen, Straßen sind aufgerissen, Touristen haben es schwer, sich Wege durch die verwinkelten Gassen und Plätze zu bahnen. Und weil so ein Umbau zwischen historischen Stadtmauern nicht einfach ist, hat man zwei Denkmäler eben vorübergehend sehr dicht aneinandergestellt: Die Bronzestatue des Fußballers Gerd Müller in Schusshaltung - und den Brunnen in seinem Rücken, der seit den Sechzigern an Maria Holl erinnert, eine Wirtin, die Ende des 16. Jahrhunderts der Hexerei bezichtigt wurde und 62 Folterungen überstanden haben soll, ehe man sie freiließ.

Irgendwann wird der neue Gerd-Müller-Platz fertig sein, dann wird die Statue des Bombers der Nation an ihren endgültigen Standort umziehen. Bis dahin ist das ungleiche Duo am Weinmarkt ein prima Symbol dafür, wie kompliziert selbst ein vergleichsweise kleiner Eingriff werden kann, wieviel Improvisation und Geduld er erfordert. Martin Fürleger könnte dieses Symbol gelegen kommen, denn auch der Sportliche Leiter der Nördlinger Basketballerinnen, einem weiteren Aushängeschild der Stadt, bereitet die Fans schon jetzt darauf vor, dass sie Geduld brauchen werden. "Vor allem in den ersten Wochen", sagt er. Es ist absehbar, dass es dauern wird, bis auch bei den Angels jeder seinen Platz findet. Denn der Frauen-Erstligist BG Donau-Ries hat gerade keinen kleinen Umbau vollzogen, sondern einen Totalumbau. "Kompletter Neustart", wie Fürleger sagt, "Mannschaft, Vorstand, Trainer". Nur zwei Spielerinnen sind geblieben.

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Seit 15 Jahren spielen die Angels Nördlingen in der ersten Bundesliga der Frauen - mit einem der kleinsten Etats, aber mit großer Leidenschaft der vielen Ehrenamtlichen. Im Playoff-Viertelfinale um die deutsche Meisterschaft geht es gegen Osnabrück.

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Man kann dieses Ausmaß erstaunlich finden, schließlich hatten die Eigner Angels, wie das Team offiziell heißt, zuletzt die Playoffs erreicht. Und auch wenn das Aus im Viertelfinale abrupt kam, war das Abschneiden ein Erfolg für den Klub, der mit einem der kleinsten Etats bald in sein 16. Erstligajahr startet. Aber ganz so umfassend war die Veränderung auch nicht geplant, manches hat sich ergeben.

Der neue lettische Trainer Matiss Rozlapa ist bekannt für seine Fähigkeit, Talente zu entwickeln

Mit dem Trainerwechsel fing alles an. Nach vier "tollen Jahren", wie Fürleger betont, hatten sich Ajtony Imreh und der Verein getrennt. Fürleger sagt, der Coach habe "mehr Qualität aus dem Ausland" empfohlen, was bei schrumpfendem Budget "nicht tragbar" gewesen wäre. Ihm selbst dagegen habe eine Rückkehr zur alten DNA des Vereins vorgeschwebt, sagt Fürleger: Talenten eine Plattform zu bieten.

Eigentlich hatte die Liga von der neuen Saison an jedem Verein einen hauptamtlichen Mitarbeiter vorschreiben wollen, als Schritt hin zur Professionalisierung. Die BG Donau-Ries habe dazu beigetragen, dass diese Auflage verschoben wurde, sagt Fürleger. "Es ist sicher außergewöhnlich, dass hier noch alles im Ehrenamt stattfindet", sagt er, "aber wir konnten zeigen: Bei uns funktioniert es." Dennoch sah man zuletzt, wie fordernd diese Struktur sein kann. Zwei Vorstände haben ihre Ämter abgegeben, der für Öffentlichkeit zuständige Thomas Lambertz und Peter Struck, der Mann für die Finanzen, was wohl auch mit der aufreibenden Zeit zusammenhing, als sich das gleichberechtigte Trio uneins war über den Umgang mit Coach Imreh. "Leicht war das auf keinen Fall", sagt Fürleger, viele im kleinen Verein pflegten enge Freundschaften miteinander. Der Sportchef hat nun zwei neue Mitstreiter. Die ausgeschiedenen Kollegen würden sich aber in anderen Funktionen weiter engagieren. "Es freut mich sehr, dass sie nicht ganz raus sind."

Im Gegensatz zu den meisten Spielerinnen, allen bis auf Mariam Haslé-Lagemann und Eigengewächs Lucy Michel. Bei der Wahl des neuen Trainers Matiss Rozlapa hatte der Verein das Hauptaugenmerk auf dessen Fähigkeit gelegt, junge Spielerinnen zu entwickeln, was der Lette als Jugendnationaltrainer seines Heimatlandes ebenso nachgewiesen habe wie bei seinen Vereinsstationen, sagt Fürleger. "Er bringt alles mit, was wir uns erhofft haben." Und er bekommt nun sechs Deutsche in den Kader, die vom neuen alten Weg Nördlingens gar nicht so einfach zu überzeugen gewesen seien.

Am besten ist ihnen das wohl im Falle der Jugendnationalspielerin Nicole Brochlitz aus Dresden geglückt, um die sich die ganze Liga bemüht habe - am Ende habe Nördlingen einen Zweikampf mit Alba Berlin um die 19-jährige Aufbauspielerin gewonnen, die bei den Angels mehr Einsatzzeit bekommen soll als zuletzt in Hannover: "Ein Coup - da haben wir viel Energie reingesteckt."

Der Kader ist inzwischen komplett, auch wenn der Verein noch nicht alle Namen herausrückt. Ein lettischer Teenager werde noch für den Aufbau kommen, sagt Fürleger, Unterstützung solle das junge Duo von Brandi Beasley bekommen, einer offensivstarken Spielmacherin aus den USA, die für Ostrava und den Schweizer Meister Winterthur spielte. Für die großen Positionen sind ebenfalls zwei US-Amerikanerinnen fix: Erika Davenport, die für eine Centerin mit 1,83 Meter nicht gerade riesig ist, aber nach dem College in Schweden und Finnland überzeugte, und Rückkehrerin Danielle McCray - die 30-jährige Powerforward spielte schon in der Saison 2019/20 im Ries.

Nördlinger Vergangenheit: Sowohl Trainer Ajtony Imreh (re.) als auch Anissa Pounds haben die Angels verlassen. (Foto: Ballasch/Fotostand/Imago)

Bekannt sind die Namen, die nicht mehr im Kader stehen. Anissa Pounds etwa (wechselt nach Halle), Elina Koskimies (Keltern), Laken James (Schottland) - oder Sami Hill, um die es Fürleger besonders leid tut. "Es war schon außergewöhnlich, dass sie mit ihrem Potential fünf Jahre bei uns war", sagt er. Nach ihrer Heirat hätte sie sich noch ein letztes Jahr hier vorstellen können, bei erhöhten Bezügen, was finanziell aber nicht möglich gewesen wäre. Und extrem gerne hätte Fürleger Johanna Klug behalten, die gebürtige Nördlingerin, um deren Rückkehr man jahrelang gekämpft habe - die dem Verein nun aber nach nur einem Jahr wieder den Rücken kehrt, um ebenfalls nach Keltern zu wechseln. Der Sportchef versucht sich das etwas schönzureden. Wenn man sich hier in nur einem Jahr zurück in den erweiterten Kreis des Nationalteams und zum deutschen Meister empfehlen könne, dann könne der Standort Nördlingen nicht so falsch sein, argumentiert er, aber ja: "Joeys Abschied tut uns weh".

Die 24-Jährige wäre ein Prototyp für den neuen alten Weg gewesen. Ein paar Risikofaktoren habe man bei der Kaderzusammenstellung bewusst in Kauf genommen, sagt Fürleger, mit einem kleinen Etat muss immer auch etwas gepokert werden. Platz sechs oder sieben sei ein realistisches Ziel. Wenn am Weinmarkt Gerd Müller erst mal wieder den Blick auf Maria Holl freigibt, wird man auch in der Halle der Angels sehen, wohin dieser Weg führt.

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