Knapp vier Minuten waren noch auf der Uhr, da war Yasin Ehliz auf und davon. Der Angreifer des EHC Red Bull München spielte seine Geschwindigkeit aus und hob die Scheibe dann gefühlvoll über die Schulter von Marvin Cüpper, Torhüter der Löwen Frankfurt. Abgeklärter kann man einen Alleingang kaum ausspielen. Ehliz' 99. Treffer im EHC-Trikot besiegelte den Münchner 5:2-Sieg am Sonntag, der ihnen nach einem Stotterstart in die neue Saison der Deutschen Eishockey Liga (DEL) gut tat.
Wie gut Ehliz dem EHC tut, wurde am ganzen Spieltags-Wochenende deutlich. Am Freitag bereitete Ehliz in Straubing beim Derby gegen die Tigers das 1:0 in Überzahl vor (24.) und legte das 2:0 nach (28.). Die 2:4-Niederlage der Münchner konnte aber auch er nicht verhindern. Am Sonntag knüpfte Ehliz direkt an seine starke Leistung an. Der Nationalspieler stand zwar auf dem Eis, als die Hessen durch Cameron Brace das 1:0 erzielten (8.), präsentierte sich danach aber gefährlich in der offensiven Zone, spielte körperlich und zeigte kurz vor der ersten Drittelpause seine Klasse, als er einen schnellen Angriff mit einem direkt gespielten Querpass veredelte, sodass Chris DeSousa am zweiten Pfosten das leere Tor vor sich und damit keinerlei Probleme hatte, das 2:2 zu erzielen (19.).
Die Teamkollegen gaben Ehliz scherzend den Spitznamen "Ein-Mann-Armee"
Ehliz genießt solche Momente aktuell besonders, denn er hat schwierige Monate hinter sich. Noch vor dem Start der vergangenen Playoffs, als er nach einer herausragenden Hauptrunde zum DEL-Spieler des Jahres gekürt worden war, plagten ihn körperliche Probleme. Wie viele Eishockeyprofis biss der 30-Jährige in den Playoffs auf die Zähne und leistete einen wichtigen Beitrag zur ersten Meisterschaft der Münchner seit fünf Jahren. Direkt nach dem Playoff-Endspiel gegen den ERC Ingolstadt hätte es für den Angreifer dann zur Nationalmannschaft gehen sollen, doch eine Oberkörperverletzung verhinderte seine Teilnahme an der Weltmeisterschaft in Finnland und Lettland, die für das deutsche Team mit dem Gewinn der Silbermedaille endete. Das Verpassen der WM war für den Tölzer wie ein Schlag, "ich wollte unbedingt dabei sein", erzählte er.
Auch über den Sommer besserte sich sein körperlicher Zustand nicht so, wie er es sich gewünscht hätte. "Es hat ewig lang gedauert", sagte er, für den Kopf sei das "echt schwer" gewesen, da er in seiner Karriere noch nie solch eine lange Rehabilitationsphase hatte und nicht wusste, wie der Heilungsverlauf sein würde. Ehliz verpasste den Großteil der Saisonvorbereitung, die ersten Spiele in der Champions Hockey League (CHL) und auch die ersten zwei DEL-Partien. Mental sei das für ihn keine leichte Aufgabe gewesen, betonte EHC-Trainer Toni Söderholm, er habe den Reha-Prozess aber "vorbildlich" durchlaufen. Sein Comeback feierte Ehliz kürzlich im Heimspiel gegen die Kölner Haie, und obwohl es sein erstes Spiel seit knapp fünf Monaten war und Ehliz selbst sagte, dass er wohl noch ein, zwei Spiele brauchen werde, um seine "Spielkondition zurückzubekommen", war Söderholm auf Anhieb mit ihm zufrieden. Man sehe die Erfahrung in seinem Spiel, unterstrich der ehemalige Nationaltrainer, und "man sieht, dass auch sein Körper mitmacht".
Der ist Ehliz' größtes Kapital. Der Angreifer gehört zu den kleinsten Spielern der Münchner, ist aber so kräftig und explosiv, dass ihm seine Teamkollegen Patrick Hager und Maximilian Kastner scherzend den Spitznamen "Ein-Mann-Armee" gaben. "Yasin kannst du immer nach vorne schicken, er gewinnt fast jede Scheibe und fast jeden Zweikampf", erklärte Kastner. Und er kreiert Offensive, was der noch nach seiner Form suchende EHC besonders gut brauchen kann. Mit diesen positiven Erlebnissen geht Ehliz am Dienstag in ein besonderes Spiel. Dann empfängt der EHC die Nürnberg Ice Tigers (16.30 Uhr), wo Ehliz seine DEL-Karriere begonnen hatte. Sein 100. EHC-Tor im für ihn persönlich so speziellen Derby zu erzielen, das hätte was.