Fußball:Zwei Fälle, die alle Pläne torpedieren könnten

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Das Rudolf-Harbig-Stadion hätte die kommenden Geisterspiele des Zweitligisten Dynamo Dresden geduldig über sich ergehen lassen. Aber nun fehlt für Geisterspiele die Mannschaft. (Foto: Steffen Kuttner/imago)

Die neuen Corona-Infektionen und die verhängte Quarantäne bei Dynamo Dresden werfen Fragen zur geplanten Fortsetzung des Profi-Fußballs auf: Wie viele solcher Fälle verträgt der Spielbetrieb, bis er kollabiert?

Von Johannes Aumüller und Javier Cáceres, Berlin/Frankfurt

Dynamo Dresden hat seit einiger Zeit ein schönes und modernes Stadion, das sich gut mit fiebriger Atmosphäre füllen kann. Wenn die Ränge, anders als jetzt und anders als in mittelfristiger Zukunft, voll sind. Vor ein paar Tagen erinnerte das Stadion, wie Zeugen berichten, an einen asiatischen Flughafen: Die zum Training einbestellten Spieler der SG Dynamo wurden am Eingang abgepasst und mit Infrarotthermometern gescannt. Die Resultate waren eindeutig: Alle Kadermitglieder wiesen die normale Körpertemperatur auf und zeigten auch sonst keine Symptome, die auf eine Infizierung mit dem Coronavirus hätten hindeuten können. Doch seit Freitagnacht steht auch für die Dresdner Fußballer fest: Symptomlosigkeit muss nichts heißen.

Nach Auswertung aller Laborproben der dritten Testreihe, die am Freitag (und damit am Tag nach dem ersten Post-Corona-Mannschaftstraining) durchgeführt wurde, "stand am Samstag fest, dass es zwei neue Corona-Fälle bei der SGD gibt", teilte der Verein mit. Die Konsequenz: "Das für die SGD zuständige Gesundheitsamt in Dresden hat nach einer intensiven Analyse der Situation noch am Samstag darüber entschieden, dass sich der gesamte Zweitliga-Kader samt Trainer- und Betreuerteam ab sofort in eine 14-tägige häusliche Quarantäne begeben muss." Damit hat der Fall Dresden das Potenzial, die Wiedereröffnungspläne des Profifußballs zu erschüttern.

Erst am Mittwoch hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Länderchefs der Deutschen Fußball Liga (DFL) "grünes Licht" für den Neustart der Profiligen in der zweiten Mai-Hälfte gegeben. In einem absoluten Notbetrieb wollen die Klubs vom 16. Mai an binnen sechs Wochen die neun ausstehenden Spieltage durchpeitschen - das ist der fragile Plan, der nun infrage gestellt ist. Zumal es eher unwahrscheinlich ist, dass bei den vielen weiteren geplanten Tests Dresden der einzige Standort mit Positivbefunden bleibt.

Die unmittelbaren Folgen aus der Dresdner Quarantäne sind zunächst einmal: Dynamo kann weder am kommenden Wochenende in Hannover noch in der Woche darauf gegen Greuther Fürth antreten. Im 51-seitigen Hygiene-Konzept der DFL heißt es zudem, dass eine Mannschaft vor dem Neustart zwingend ein siebentägiges Quarantäne-Trainingslager bestreiten muss. Damit wäre auch das Spiel der Dresdner in Bielefeld am 27. Mai hinfällig.

Die DFL versuchte, die Auswirkungen der Dresdner Quarantäne zu relativieren. "Ich interpretiere das nicht als Rückschlag", sagte Liga-Chef Christian Seifert am Samstag im ZDF: "Mir war völlig klar, dass das jederzeit passieren kann. Wir stehen am Anfang des Wiedereintritts. Wenn Dresden 14 Tage in Quarantäne geht, ist das kein Grund, die gesamte Saison infrage zu stellen. Wir ändern momentan nicht das Ziel, sondern nur die Pläne."

Selbst in den engen Zeitplan bis Ende Juni könnte man die ausfallenden Partien in der Tat noch pressen. So oder so dürften Diskussionen um Wettbewerbsverzerrung laut werden. Bisher sind zwei "englische Wochen" geplant, mit Spielen unter der Woche. Dresden, derzeit Tabellenletzter, und andere Klubs müssten nun aber drei oder sogar vier englische Wochen bestreiten, also durchgehend - oder die Saison müsste bis in den Juli reichen. Das würde die DFL gern vermeiden, denn am 30. Juni laufen zahlreiche Verträge aus. Die DFL will in dieser Woche beraten, wie sich der Fall genau auf den Spielplan auswirkt.

Doch neben diesen konkreten Konsequenzen ist nicht mal in Umrissen zu erkennen, welche Dynamik die positiven Fälle von Dresden (einer der positiv getesteten Profis ist Simon Makienok, der sich selbst bei Instagram outete) freisetzen werden. Und es ist die Frage, was passiert, wenn es zu weiteren Positivtests kommt. Der Umgang mit Infizierten aus dem Spieler- oder Betreuerstab ist seit der Publikation des Hygiene-Konzeptes der DFL die Gretchenfrage, und die Beantwortung kam in den vergangenen Tagen reichlich diffus daher. Bereits vor gut einer Woche gab es in ersten Testreihen unter den 36 Profiklubs insgesamt zehn Positivbefunde, aber da waren noch alle im Individual- und Kleingruppentraining gewesen; also gemäß der Vorgaben ohne direkten Körperkontakt. Deswegen wurden etwa beim 1. FC Köln (drei Fälle) nur die Infizierten in Quarantäne geschickt, die anderen durften sich ins Teamtraining begeben. Ähnlich war es in Dresden, das in dieser ersten Reihe auch schon einen Positivbefund hatte. Nur Erzgebirge Aue scherte hier schon aus, indem es sein Team in dreitägige Isolation verfrachtete.

Zum Zeitpunkt der beiden Fälle war Dynamo, wie alle Profiklubs, aber schon im Teamtraining, wo es zu engem Körperkontakt kommt - das ist der gravierende Unterschied im Vergleich zu den Fällen der vergangenen Woche. Wie sich die beiden Fälle angesteckt haben, ist laut Auskunft der Stadtverwaltung offen. Als ausgeschlossen gilt, dass der erste positiv Getestete das Virus an die beiden Neuinfizierten weitergetragen hat. Das lasse sich durch den Charakter und die Intensität der Kontakte ohne erkennbaren Zweifel belegen. Die zuständige Amtsärztin habe sich deshalb nach Durchsicht der bisherigen Trainingspläne dazu entschlossen, das gesamte Team für zwei Wochen nach Hause zu schicken, weil ein Mannschaftstraining mit Vollkörperkontakt die Gefahr heraufbeschwören würde, dass sich das Virus nun weiter verbreitet. Unkontrolliert.

Eine weitere unbekannte Größe: die Profis und ihre Bedenken

Für die DFL ist das ein Schlag. In ihrem Konzept hatten die medizinischen Experten zu argumentieren versucht, dass es bei einem Positivfall während des Teamtrainings oder des Spielbetriebs keine Quarantäne für die ganze Gruppe geben sollte, sondern nur für die einzelnen Infizierten. Die Sportministerkonferenz wie auch der Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sprachen sich dagegen aus. Formal liegt die Entscheidung bei den lokalen Gesundheitsämtern - und zumindest das in Dresden folgte der strengen Linie. Die Frage ist: Macht das Dresdner Beispiel nun Schule?

Für die 36 Vereine sind ebensoviele Ämter mit gleichfalls 36 Amtsärzten zuständig. Entsprechend ist es auch vorstellbar, dass sie zu völlig unterschiedlichen Schlüssen kommen. Und selbst wenn letztlich nur einige wenige Amtsärzte 14-tägige Teamquarantänen veranlassen, könnte der Spielbetrieb in gehörige Turbulenzen kommen. Was die Frage aufwirft, wie viele Teamquarantänen sich eine Liga leisten kann, ohne dass sie kollabiert. Die DFL-Vertreter nennen bisher keine konkrete Zahl. "Klar ist, es gibt sicherlich eine Größe, dann ist das irgendwann nicht mehr machbar", sagte Liga-Chef Seifert im ZDF.

Doch es gibt auch eine weitere unbekannte Größe: die Profis und ihre Bedenken. Als den Dynamo-Spielern die Positivtests der beiden Kollegen, die schon gar nicht mehr erscheinen durften, mitgeteilt wurden, habe es viele betretene Mienen gegeben, hieß es aus berufenem Munde.

© SZ vom 11.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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