Armand Duplantis:Quantensprung eines Wunderkindes

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Fast bis unters Hallendach: Der Schwede Armand Duplantis bei seinem neuen Weltrekord im Stabhochsprung. (Foto: Chai v.d. Laage/imago images)
  • Der Stabhochspringer Armand Duplantis gilt als Wunderkind - und hat nun den Weltrekord um einen Zentimeter auf 6,17 Meter verbessert.
  • Die Steigerung scheint gering - doch der Schwede scheint sich gerade aufzumachen, um ganz neue Sphären zu erkunden.

Von Joachim Mölter

Die polnische Stadt Toruń ist in Gelehrtenkreisen seit Langem bekannt als Geburtsort des Astronomen Nikolaus Kopernikus, der im 16. Jahrhundert das bis dahin geltende Weltbild umstürzte. In seinem Werk "De revolutionibus orbium coelestium" - zu deutsch: "Über die Umschwünge der himmlischen Kreise" - widerlegte der Sohn eines wohlhabenden Kupferhändlers die seinerzeit gängige Auffassung, dass die Erde im Mittelpunkt des Universums ruhe, und erklärte, dass sich die Erde stattdessen um ihre eigene Achse drehe und zudem wie alle anderen Planeten um die Sonne bewege. Was heute völlig selbstverständlich klingt, war damals ein unerhörter Umbruch, der als "Kopernikanische Wende" in die Historie einging.

Auch in Leichtathletikkreisen wird Toruń dereinst in den Geschichtsbüchern vermerkt sein: als der Ort, in dem der schwedische Stabhochspringer Armand Duplantis in neue Höhen vordrang. Am Samstagabend schraubte der sich beim Hallenmeeting in der 200 000-Einwohner-Stadt - bei dem tatsächlich so heißenden Kopernikus-Cup - über 6,17 Meter und verbesserte damit den sechs Jahre alten Weltrekord des Franzosen Renaud Lavillenie um einen Zentimeter. Auch wenn diese Steigerung auf den ersten Blick gering erscheinen mag, so ist sie bei genauem Hinsehen gewaltig, ein Quantensprung gewissermaßen: Man darf davon ausgehen, dass sich da gerade jemand aufgemacht hat, um ganz neue Sphären zu erkunden.

Stabhochsprung

Duplantis mit neuem Weltrekord

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(Foto: Aleksandra Szmigiel/imago images/Bildbyran)

So hoch wie noch nie ein Mensch vor ihm: Armand Duplantis hat gut fünf Monate vor den Olympischen Spielen in Tokio für den ersten Leichtathletik-Weltrekord des Jahres gesorgt. Der Schwede, 20, übersprang beim World-Indoor-Meeting im polnischen Torun im zweiten Versuch 6,17 Meter und verbesserte damit die alte Bestmarke des Franzosen Renaud Lavillenie aus dem Jahr 2014 um einen Zentimeter. Weltrekorde in der Halle zählen gleichzeitig als Bestleistung im Freien, Duplantis ist damit alleiniger Weltrekordler seines Fachs. "Das ist etwas, was ich seit meinem dritten Lebensjahr wollte", sagte er, "es ist ein wichtiges Jahr, und das ist ein guter Start."

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Duplantis mit neuem Weltrekord

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(Foto: Aleksandra Szmigiel/imago images/Bildbyran)

Grenzen auf seinem Weg nach oben scheint es für Duplantis bislang kaum zu geben. Seit seinem siebten Lebensjahr bricht er Altersrekorde, inzwischen ist er der Superstar unter den Stabhochspringern. Mit seiner mitreißenden Art nimmt er das Publikum mit. In der Leichtathletikszene wird ihm zugetraut, das durch den Rücktritt von Sprint-Ikone Usain Bolt entstandene Vakuum zumindest teilweise zu füllen.

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Duplantis mit neuem Weltrekord

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(Foto: Aleksandra Szmigiel/imago images/Bildbyran)

Unter freiem Himmel hatte Duplantis bereits 6,05 Meter übersprungen, 2018 im Berliner Olympiastadion bei seinem EM-Triumph. Auf der Weltbühne liefert er sich packende Duell mit Weltmeister Sam Kendricks. Der US-Amerikaner schnappte ihm bei der WM in Katar das Gold weg, Silber musste vorerst genügen. Bei den Sommerspielen in Tokio jedoch will Duplantis, der im US-Bundesstaat Louisiana geboren wurde, den Spieß umdrehen. Schließlich gehört olympisches Gold zum Karriereplan. Die weiteren Stationen lauteten: Weltrekordhalter und Weltmeister werden. Teil eins der Mission ist seit Samstag erfüllt.

Armand Duplantis ist gerade mal 20 Jahre alt und gilt doch schon lange als Wunderkind des Stabhochsprungs, nicht erst, seitdem er bei der EM 2018 in Berlin als erster Teenager die Sechs-Meter-Barriere überwand und mit einer weiteren Verbesserung der Junioren-Höchstmarke auf 6,05 sogar noch den Titel bei den Männern gewann. Schon in den Jahren zuvor hatte Duplantis allerlei Bestmarken auf diversen Altersstufen hinterlassen und alle möglichen Nachwuchstitel bei Europa- und Weltmeisterschaften eingesammelt. "Schon seit ich drei, vier Jahre alt war, wollte ich den Weltrekord brechen", erzählte er am Samstag: "Ich wollte alle Goldmedaillen gewinnen, die es zu gewinnen gibt, aber eins meiner größten Ziele, vielleicht sogar das größte, war der Weltrekord." Und der war nur eine Frage der Zeit.

Nachdem Duplantis sich im vorigen Herbst bei der WM in Doha nur aufgrund der Mehrversuchsregel dem Amerikaner Sam Kendricks hatte beugen müssen (beide überquerten 5,97), hat er für das Olympiajahr noch einmal an seinem Körper gefeilt. "Ich bin jetzt viel besser in Form", sagte er, "dadurch kann ich mehr Energie aus dem Stab rausholen. In Doha habe ich noch nicht viel mit ihm anfangen können."

Am vorigen Dienstag stieg der 1,81 Meter große und nicht einmal 70 Kilo schwere Schwede jedenfalls noch schlanker in die Wintersaison ein, als er es sowieso schon war. Beim Meeting in Düsseldorf überquerte er auf Anhieb sechs Meter und nahm anschließend erstmals den Weltrekord in Angriff, wenn auch noch vergeblich. "Das war ein guter Anfang", befand er hernach und beschied einem schwedischen Fernsehjournalisten: "Ich schätze mal, jetzt ist nur noch der Himmel die Grenze." Das glauben auch seine Vorgänger als Weltrekordler. "Ich wusste seit zwei Jahren, dass er das Potenzial dazu hat", sagte Lavillenie. Und der Ukrainer Sergej Bubka, der bei seinem ersten Weltrekord im Jahr 1984 (5,83) ebenfalls 20 Jahre alt gewesen war, gratulierte am Samstagabend per Twitter: "Das war ein fantastischer Job! Spring noch höher!"

Seine Mutter war Siebenkämpferin, sein Vater Stabhochspringer

Armand Duplantis hat noch Spielraum nach oben, bei seinem Rekordsprung war reichlich Luft zwischen ihm und der Latte. Danach fiel er erst einmal seiner Mutter Helena in die Arme; sein Vater Greg hatte ihn nicht nach Polen begleitet, obwohl er seit Kindheitstagen sein Trainer ist. "Viele Leute glauben ja, dass nur mein Vater die ganze Arbeit hinter den Kulissen macht", sagte Duplantis in diesen Tagen, "aber meine Mutter macht genauso viel."

Von seinen Eltern hat der im US-Bundesstaat Louisiana geborene Athlet zweifellos die sportliche Begabung geerbt. Seine Mutter war einst Siebenkämpferin und hat außerdem Volleyball gespielt, sein Vater war früher auch Stabhochspringer, mit einer Bestleistung von 5,80 Meter. Auf Familienvideos haben die Duplantis ihren Spross festgehalten, wie er sich mit einem bemerkenswerten Bewegungstalent über die Latte schwingt; später bauten sie ihren vier Kindern, drei Jungs und einem Mädchen, sogar eine eigene Stabhochsprunganlage im heimischen Garten auf.

Dass Greg Duplantis selbst zu seiner besten Zeit stets in den US-Ausscheidungswettkämpfen für internationale Meisterschaften scheiterte, war womöglich der Grund dafür, warum er dem jüngsten seiner drei Söhne riet, von seiner doppelten Staatsbürgerschaft Gebrauch zu machen und für Schweden zu starten, das Geburtsland seiner Mutter. So erspart sich Armand Duplantis in diesem Sommer die harte amerikanische Qualifikationsmühle für die Olympischen Spiele in Tokio. Für die hat sich Duplantis schon mal in die Favoritenposition gebracht, auch wenn der Rivale Kendricks am Wochenende mit einem nationalen Hallenrekord gegenhielt: In Rouen überwand der 27 Jahre alte Amerikaner 6,01. Im Moment trennen den Weltmeister trotzdem Welten vom aufstrebenden Wunderkind.

© SZ vom 10.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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