Dritte Liga:Blaupause der vergebenen Chancen

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Moment der Erkenntnis? Stürmer Stefan Lex scheint sich nach dem 0:2 gegen Viktoria Köln zu fragen, ob es das war mit den Aufstiegsträumen. (Foto: Noah Wedel/Imago)

Fünf Spieltage vor Ende der Drittliga-Saison nimmt das Aufstiegsrennen Konturen an.

Von Johannes Kirchmeier, Sebastian Leisgang, Philipp Schneider, SZ

FC Bayern München II (Platz 1, 57 Punkte)

Der neue Tabellenführer hat am Mittwochabend 5:1 (2:0) gegen den SV Meppen gewonnen, durch drei Tore von Stürmer Kwasi Okyere Wriedt (35. Foulelfmeter, 37., 54.) sowie Treffer von Derrick Köhn (56.) und Nicolas Kühn (58.). Meppen hatte vor dem Wiederbeginn der Liga auch noch zu den Aufstiegsfavoriten gezählt, hat mittlerweile aber schon acht Punkte Rückstand auf den Relegationsplatz. Das Ärgerliche für die kleinen Bayern: Als zweite Mannschaft dürfen sie nicht in die zweite Liga aufsteigen.

Nicht mal als Tabellenerster. Das entscheidende Wort des Dienstagabends fiel in knapp acht Minuten exakt vier Mal. Soeben hatten die Würzburger Kickers den 1. FC Kaiserslautern 2:0 geschlagen, da nahmen die beiden Trainer das Wort jeweils zweimal in den Mund, als sie die 90 Minuten bei der Pressekonferenz einordneten. Erst gebrauchte es Boris Schommers, der Coach des 1. FC Kaiserslautern, dann auch Michael Schiele, sein Kollege auf Würzburger Seite. Schommers sagte also, seine Mannschaft müsse "einfach anerkennen", dass die Kickers gerade nach dem Führungstor durch Robert Herrmann "reif gespielt haben". Dann war Schiele an der Reihe, er hatte "eine gute, reife Leistung über 90 Minuten" gesehen, ehe Schommers noch einmal betonte, Würzburg habe "wirklich reif und gut gespielt". Schiele beschloss die Medienrunde dann, indem er herausstellte, sein Team habe "eine reife Leistung" abgeliefert.

Ja, eines war das Spiel der Kickers an diesem Abend tatsächlich gewesen: reif. Wer diese Mannschaft mit jener aus der Vorrunde vergleicht, der erkennt zwar einige Parallelen; ganz vorne macht etwa nach wie vor dieser Lange die gegnerischen Strafräume unsicher. Der Lange heißt Luca Pfeiffer und rennt jedem Ball hinterher, der bei drei nicht im Tor ist - eklatanter sind aber all die Unterschiede, die diese Mannschaft inzwischen ausmachen und zu einem der aussichtsreichsten Aufstiegskandidaten erhoben haben. Da die Kickers in der Rückrunde im Schnitt zwei Punkte pro Partie holen, strotzt das Würzburger Spiel mittlerweile vor Selbstverständnis; die Defensive ist weitaus griffiger als in den ersten Wochen der Saison, das belegen neun Gegentore in den jüngsten zehn Spielen; und die Offensive ist kaum auszurechnen, da Spieler wie Herrmann, Maximilian Breunig und Fabio Kaufmann seit der Winterpause aufblühen.

So geriet der Auftritt am Dienstagabend gegen Kaiserslautern zu einem der besten in dieser Saison. Fünf Spiele stehen jetzt noch aus, die Aufgaben sind allesamt lösbar. Am Freitag kommt der Chemnitzer FC an den Dallenberg, dann geht es gegen Uerdingen, Rostock, Viktoria Köln und Halle. Es ist ein Schlussprogramm, das den Kickers den Weg in die zweite Bundesliga pflastern könnte - er wäre das Ergebnis einer erstaunlichen Entwicklung. Oder wie es Schiele vermutlich formulieren würde: das Ergebnis, das zeigt, wie reif seine Mannschaft inzwischen ist.

FC Ingolstadt (Platz 6, 51 Punkte)

Als sich seine Mitspieler noch bekreuzigten, da zog Maximilian Beister schon den ersten Sprint an im Stadion des FC Ingolstadt 04. Noch bevor der Gegner überhaupt auf dem Platz war, war also zu spüren, dass Beister am Dienstag im Spiel gegen den Tabellenzweiten Braunschweig zeigen wollte, dass auch er rackern kann.

Sein Trainer hatte gerade das ja zuletzt in Frage gestellt. Vor etwas mehr als einer Woche sagte Tomas Oral noch, dass Beister wohl keine Rolle mehr spielen werde im Endspurt. Doch die Wege Orals sind manchmal unergründlich: Nun begnadigte er Beister - der über den vielleicht gefühligsten linken Fuß der dritten Liga verfügt - überraschend. Und die Idee mit der zweiten Chance für den Zauberfuß war eine gute. Tatsächlich war Beister in seinen 77 Minuten Einsatzzeit an fast allen gefährlichen Situationen der Ingolstädter beteiligt, und dazu zählten mehr, als so ein 0:0 auf den ersten Blick preisgibt. Bis auf die Tore sprachen alle Statistiken am Ende für die Ingolstädter: 22:6 Torschüsse, 67 Prozent Ballbesitz, 57 Prozent gewonnene Zweikämpfe. "Wir haben es nicht geschafft, den Bus zu knacken", sagte Linksverteidiger Marcel Gaus. "Es ist ärgerlich, weil Braunschweig fast nichts fürs Spiel getan hat", fand auch sein Coach. Während die Ingolstädter direkt nach dem Zweitliga-Abstieg im Sommer und Herbst unter Orals Vorgänger Jeff Saibene noch durch die neue Liga walzten, lange Zeit auch den stärksten Sturm der Klasse stellten, scheint ihnen nun der Sprit - oder in dem Fall: die Treffsicherheit - abhandengekommen zu sein. Die Walze wäre ja eigentlich noch da mit dem Zwölf-Tore-Mann Dennis Eckert Ayensa oder seinen Sturmkollegen Stefan Kutschke, Caniggia Elva, Fatih Kaya und eben Beister. Doch ihre Schüsse entscheiden sich mittlerweile dagegen, ins Tor zu fliegen.

Die vielen Chancen am Dienstag entsprachen einer Steigerung zu den Leistungen bei den Spielen davor. Die Rechnung ist allerdings so einfach wie niederschmetternd für den FCI: ohne Tor kein Sieg. Und mit vier Punkten Rückstand auf den zweiten direkten Aufstiegsplatz, den Braunschweig hinter dem Spitzenreiter MSV Duisburg belegt, sowie drei Punkten auf den Relegationsplatz gibt es nur eine Maßgabe für die letzten fünf Partien. "Wir brauchen Siege", sagte Oral. "Die Zeit rennt uns ein bisschen davon."

SpVgg Unterhaching (Platz 8, 49 Punkte)

Die Mannheimer hatte sich Manfred Schwabl während der coronaren Diskussionen über Restart oder Ende der aktuellen Drittligasaison als Lieblingsgegner ausgeguckt, schließlich waren die Verantwortlichen des SV Waldhof immer wieder vorgeprescht, um einen sofortigen Abbruch zu fordern. Für den Unterhachinger Präsidenten grob unsportlich, schließlich lagen die Badener damals auf einem direkten Aufstiegsplatz und handelten - so Schwabls Meinung - ausschließlich auf eigene Rechnung. Am Mittwoch war nun endlich die Gelegenheit, die Sache auf dem Platz auszutragen. Und die Hachinger zogen für ihren Boss in die Schlacht. Sie zeigten sich deutlich verbessert im Vergleich zu den jüngsten vier sieglosen Spielen, und sogar die Verletzten auf der fast leeren Tribüne gingen an die Leistungsgrenze: Die verletzten Kapitäne Marc Endres und Seppi Welzmüller brüllten Kommandos und Anfeuerungen bis zur Heiserkeit. Die Kollegen bemühten sich im strömenden Regen darum, den Aufstiegszug nicht endgültig ohne sie abfahren zu lassen. Vor allem in den letzten zehn Minuten vor der Pause und Mitte der zweiten Hälfte waren die Rot-Blauen nahe dran am Torerfolg, doch beste Chancen, etwa für Dominik Stroh-Engel (45.), Moritz Heinrich (59.), Felix Schröter (70.) oder Jim-Patrick Müller (77.) blieben ungenutzt. Wenigstens vermied man im Gegensatz zu den letzten Partien leichte Fehler - weshalb es am Ende 0:0 hieß. Präsident Schwabl hatte angekündigt, erst vier Spieltage vor Schluss, also nach dem Gastspiel in Meppen am Sonntag, wieder auf die Tabelle zu schauen. Wer in der saisonalen Endphase noch genügend Kraft habe, werde sich am Ende durchsetzen, so Schwabl. Das gilt aber nur, wenn der Zug noch nicht weg ist.

TSV 1860 München (Platz 9, 49 Punkte)

Es gab in jener Zeit, als der Sportbetrieb in Deutschland ruhte, Klubs, die die dritte Liga abbrechen wollten, Klubs, die weiterspielen wollten und Klubs, denen es wumpe war, ob der Ball noch einmal rollen würde, solang ohnehin nur Geisterspiele möglich sein würden. Und dann gab es noch den Fußballtrainer Michael Köllner vom TSV 1860 München. Zu sagen, er brannte auf die Rückkehr auf den Platz, wäre eine Untertreibung. Köllner war derjenige unter 20 Übungsleitern in der Liga, dem die Pandemie einen Lauf unterbrochen hatte. 14 Spiele nacheinander hatte er nicht verloren, er war unbesiegt, seit seinem ersten Tag bei Sechzig. Spielfreude interruptus.

In jener Zeit, als noch nicht trainiert werden durfte, schickte Köllner seinen Spielern täglich Mails, um sie, wie soll man sagen, auch intellektuell auf der Höhe zu halten. Auf den Tablets von Sascha Mölders und Stefan Lex tauchten eines Tages die "Beobachtungen einer Schneeflocke" auf. Unterzeile: "Wie stehen die Chancen, seine Vorhaben auch wirklich umzusetzen? Davon erzählt diese Geschichte."

Die Vorstellung, die Lex, Mölders und Köllner seit dem Wiederanpfiff aufführen, ist eine rätselhafte. Die Mannschaft ist weiterhin, auch beim 0:2 gegen Viktoria Köln, spielfreudig und ballbesitzorientiert. Insbesondere, wenn sie, wie in der ersten Halbzeit, in Bestbesetzung antritt. Aber sie hat ihre Leichtigkeit verloren, Kräfte eingebüßt und ganz sicher hat sie das Toreschießen verlernt.

Die Partie gegen Köln sei "eine Blaupause der letzten Spiele" gewesen, folgerte Köllner. Zum sechsten Mal nacheinander waren seine Spieler in Rückstand geraten - und einmal mehr geblieben. Schlecht stehen nun die Chancen der Löwen, ihr Vorhaben, den Aufstieg, umzusetzen. Davon erzählt ihre Geschichte.

© SZ vom 18.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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