Dortmund-Gegner Juventus Turin:Finsterlinge müssen draußen bleiben

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Selbst mit mäßiger Leistung der Konkurrenz überlegen: Juventus-Spieler feiern einen Sieg in der Serie A. (Foto: Ettore Ferrari/dpa)
  • Juventus Turin gehört der schillerndsten Unternehmerfamilie Italiens. Der Präsident hat große Pläne für den Verein - und den gesamten italienischen Fußball.
  • Das Champions-League-Spiel bei Borussia Dortmund könnte ein Meilenstein sein.
  • Das Hinspiel hat Juventus mit 2:1 gewonnen.

Von Birgit Schönau, Turin

Rauch hängt in der Luft und ostentative Gelassenheit. Ein Frühlingstag in Turin, der Himmel ist blau, die Straßencafés sind schon voll, und die Alpen scheinen zum Greifen nah zu sein. In seinem Büro in der Juventus-Geschäftsstelle am Corso Galileo Ferraris zündet sich Andrea Agnelli gerade die dritte Zigarette an.

Man wolle schon gewinnen in Dortmund, murmelt er der aufziehenden Tabakwolke hinterher, und weiterkommen, natürlich: "Aber unsere Saison wird nicht von diesem einzigen Spiel abhängen." Denn was sind 90 Minuten für Juventus, und sei es das Rückspiel im Champions-League-Achtelfinale? Und was, bitte schön, bedeutet schon ein einziges Fußballspiel für einen Agnelli?

Selbst mit mäßiger Leistung ist Juve der Konkurrenz überlegen

Als Mitglied der heimlichen italienischen Königsfamilie denkt man in Epochen, und da geht sich die Ära Andrea Agnelli ganz gut an: "Als ich vor fünf Jahren Präsident wurde, war meine größte Sorge, als einziger Agnelli nichts zu gewinnen", gesteht er. Inzwischen kann er drei Meistertitel vorweisen und den vierten in Serie scheint Juventus niemand mehr nehmen zu können, bei 14 Punkten Vorsprung vor dem zweitplatzierten AS Rom.

Selbst mit mäßiger Leistung sind die Turiner der Konkurrenz überlegen, wie zuletzt bei den 1:0-Siegen gegen Sassuolo und Palermo - Kräftesparen für Borussia und trotzdem Punkte machen, das geht. Nicht mal der verletzte Andrea Pirlo war dabei, der auch in Dortmund ausfällt. No Pirlo, no Party!

Mit 39 Jahren jünger als Trainer Massimiliano Allegri und wenig älter als Kapitän Buffon: Juve-Präsident Andrea Agnelli beschäftigt 400 Angestellte. (Foto: Ettore Ferrari/dpa)

Ohnehin darf man davon ausgehen, dass Juve beim BVB weniger auf Spielkunst setzt als auf die beinharte Effizienz der Defensive. Darüber, einen guten Eindruck zu machen, sind die Agnellis längst hinaus. Sie haben das offizielle Königshaus der Savoyer und den Faschismus überlebt, ihr Autokonzern Fiat blieb auch in der Republik der größte private Arbeitgeber. Sie sind Verleger der Zeitung La Stampa, besitzen aber auch Anteile am Corriere della Sera und der Gazzetta dello Sport.

Mit Juventus halten sie sogar einen einsamen Rekord: Seit 92 Jahren gehört ihnen der Klub, kein anderer Sportverein weltweit ist so lange im Besitz einer einzigen Familie. Präsidenten waren Andrea Agnellis Großvater Edoardo, sein Onkel Gianni, sein Vater Umberto. Andernorts werden Traditionsklubs an ausländische Investoren übergeben, der AS Rom an US-Amerikaner, Inter Mailand an Indonesier, Milan angeblich an einen Unternehmer aus Thailand.

Juventus aber, mit angeblich 13 Millionen Tifosi zwischen Turin und Palermo die "Verlobte Italiens", bleibt das Kronjuwel der schillerndsten Familie im Land. "Obwohl längst nicht alle von uns Juve-Fans sind", wie Agnelli mit gespielter Entrüstung berichtet.

Andrea Agnelli ist 39 Jahre alt, jünger als Cheftrainer Massimiliano Allegri und wenig älter als Kapitän Gianluigi Buffon. Natürlich habe er einen anderen Führungsstil als Onkel Gianni, der legendäre "Avvocato", der seine Lieblingskicker im Morgengrauen anrief und ihnen Künstlernamen verpasste wie "Pinturicchio" für Alessandro Del Piero: "Damals konnte man den Klub mit sieben, acht Leuten führen, die ausschließlich für die Mannschaft zuständig waren", sagt Andrea Agnelli.

Heute ist der studierte Ökonom Chef von 400 Angestellten. Das Familienunternehmen ist gewachsen, der direkte Umgangston geblieben. Fabulieren und Schönreden liegt ihm nicht, die Gestik ist sparsam - in der Rechten liegt sowieso stets die Zigarette. "Er verliert sich nicht in den einstigen Großtaten einer Unternehmerdynastie", sagt sein kickender Angestellter Pirlo: "Juventus ist nicht sein Spielzeug", eher eine Art Allgemeingut. Agnelli selbst sagt: "Es muss wieder vorangehen mit unserem Fußball, Juventus sollte ein gutes Beispiel geben."

Der Juve-Chef will eine Profiliga nach englischem Vorbild

Mit seiner hemdsärmeligen Art hat der Sohn des eleganten Umberto Agnelli und der hochadeligen Allegra Caracciolo sich in Italien nicht nur Freunde gemacht. Aber viele sind auch froh darüber, dass der junge Juve-Präsident unbekümmert ausspricht, was sich lange keiner traute: dass der Augias-Stall des italienischen Fußballs endlich ausgemistet gehört und das Feudalsystem der Klubbarone modernisiert.

Ein Agnelli als Revoluzzer, als "Oppositionsführer", wie ihn die Gazzetta nennt. Er winkt ab, so ein Unsinn, schließlich habe der Fußball ja gar keine Regierung. Genau das ist das Problem: "Mir muss noch jemand erklären, wie der FC Parma, nachdem ihm die Uefa bereits im vergangenen Frühling die Lizenz für die Europa League verweigert hatte, in der Serie A einfach weiterspielen konnte."

Inzwischen wurde Parma zwei Mal für jeweils einen Euro verkauft und ist de facto pleite. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der Geldwäsche durch die kalabrische Mafia-Organisation 'Ndrangheta.

Der Juve-Chef will eine Profiliga nach englischem Vorbild, mit einer Führung, die die Vermarktung des Gesamtprodukts Serie A betreibt. Stattdessen müsse alles durch die Versammlung der Klubpräsidenten entschieden werden, klagt er, "sogar die Marke für die Espressokapseln in den Liga-Büros" - was einigen der Fußballbarone durchaus zupass kommt.

Agnelli nennt keine Namen, aber es ist kein Geheimnis, dass eine zahlenmäßig starke Provinzler-Riege hinter dem rustikalen Reinigungsunternehmer Claudio Lotito, der nebenberuflich Patron von Lazio Rom ist, ungern über den eigenen Tellerrand schauen möchte.

Im Hintergrund zieht wie eh und je Adriano Galliano die Fäden, der kahlköpfige Kardinal Richelieu des Calcio und ewige Vikar des Presidentissimo Silvio Berlusconi beim AC Milan. Aus dessen Dunstkreis stammen die italienischen Filialleiter des chinesisch-schweizerischen Sportrechteunternehmens Infront, das nicht nur die TV-Rechte der Serie A vermarktet, sondern auch jene der Nationalelf und verschiedener Klubs. "Wenig transparent" findet das Agnelli. Soeben haben Juventus und der verbündete Rivale AS Rom Infront die TV-Archivrechte entzogen.

Es fuchst ihn, dass seine Juve immer noch als Mutter aller Mauscheleien gilt, nach dem großen Schiedsrichter-Manipulationsskandal von 2006. Damals wurde die Mannschaft mit drei Weltmeistern im Team in die zweite Liga relegiert, zwei Meistertitel wurden aberkannt. Agnelli hat inzwischen den Verband auf Schadensersatz von 443 Millionen Euro verklagt, der Prozess dürfte noch im Frühjahr eröffnet werden. Es gebe neue Erkenntnisse zu den Machenschaften damals, erklärte er.

Die Ära Agnelli dürfte noch eine Weile dauern

Das kompromittierte Juve-Management ist längst ausgetauscht. Sogar das alte Stadion existiert nicht mehr, es wurde ersetzt durch das Juventus-Stadium, dessen 41 000 Plätze dauer-ausverkauft sind. Juve ist der einzige Großklub mit eigener Arena. "Existenziell" sei das für das nachhaltige Wirtschaften, sagt Agnelli, der für das nächste Jahr einen ausgeglichenen Haushalt anstrebt, den Stadion-Einnahmen sei Dank. Der Klub soll endlich wieder europäische Spitze werden, in jeder Hinsicht.

Früher einmal saßen die Emissäre des libyschen Anteilseigners Muammar al-Gaddafi im Verwaltungsrat, heute müssen Finsterlinge draußen bleiben. Andrea Agnelli hat zwei Frauen in die zehnköpfige Klub-Spitze berufen. Als einziger italienischer Verein veröffentlicht Juventus eine Nachhaltigkeits-Bilanz mit Ergebnissen des Kampfs gegen Doping und Rassismus.

Ob Dortmund auf dem Weg zurück nach oben ein Mosaikteil wird oder ein Meilenstein, wird man sehen. Die Ära Agnelli jedenfalls dürfte noch eine Weile dauern.

© SZ vom 18.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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