Dortmund - Barcelona:Sogar Messi kontrolliert

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Mit mehr Besessenheit vor dem Tor wäre gegen Barcelona mehr als ein 0:0 möglich gewesen. Die Ausbootung von Mats Hummels aus der DFB-Elf erscheint an diesem Abend wie ein großer Irrtum.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Die Erkenntnis des Abends war nicht neu: Es fällt schwer, ein 0:0 zu bejubeln. Obwohl doch jedes noch so torlose Unentschieden auch Gewinner und Verlierer hat. Es gab sie auf beiden Seiten, und so ließ sich das statistisch trostloseste aller Resultate nach einem unterhaltsamen Fußballspiel endlos hin und her wenden. Auch Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc rang mit sich und seinem Fazit: "Es fühlt sich jetzt ein bisschen wie eine Niederlage an, so wie das Spiel gelaufen ist - auch wenn du vorher vielleicht ein 0:0 gegen Barcelona unterschrieben hättest."

An diesem Abend musste die Ausbootung von Hummels aus der DFB-Elf wie ein Irrtum erscheinen

Auch der klarste Gewinner des Abends haderte überwiegend mit dem verlorenen Sieg. Mats Hummels hatte eine Weltklasse-Leistung gegen den Weltklasse-Angriff des FC Barcelona gezeigt: 100 Prozent gewonnene Zweikämpfe, und das gegen Antoine Griezmann und Luis Suárez, dazu serienweise feine Aufbaupässe, wuchtiges Dirigieren der eigenen Abwehr und herausragende zehn "klärende Aktionen", wie die offizielle Statistik besonders schwerwiegende Rettungstaten nennt. Nach den mäßigen Aufführungen seiner Nachfolger im Nationaltrikot, zuletzt in den EM-Qualifikationsspielen gegen die Niederlande (2:4) und Nordirland (2:0), verstand man an diesem Abend die Welt nicht mehr. Hummels hatte schon am Samstag gegen Leverkusen (4:0) exzellent aufgespielt, aber den härtesten aller Härtetests, gegen Barcelonas Angriff, absolvierte der 30-Jährige mit einer solchen Grandezza, dass seine Ausbootung aus Jogi Löws Nationalkader wie ein Irrtum vom Amt erscheinen musste.

Die letzte halbe Stunde war zu wenig Zeit für eine Gala: Lionel Messi kam erst nach einer Stunde und stand unter Kontrolle der BVB-Defensive. (Foto: Wolfgang Rattay/Reutes)

Hummels aber grantelte mit sich selbst. "Ich weiß nicht, wie die Zweikampfstatistik auf 100 Prozent kommt. Ich erinnere mich an ein Duell, das ich gegen Suárez verloren habe." Einmal genervt, klagte der Gewinner ohne Sieg gleich weiter: darüber, dass sich Dortmund mit einer in der zweiten Halbzeit auch offensiv starken Leistung keinen "kleinen Puffer" verschafft habe im Kampf um die beiden Achtelfinal-Plätze. Nicht zuletzt aber wegen des starken Stellungsspiels von Hummels brachte Barça in 90 Minuten nur einen einzigen Torschuss zustande, der wirklich auf das Tor von Roman Bürki kam. Allein Marco Reus visierte hingegen viermal das Tor von Barcelona und Marc-André ter Stegen an.

Entwarnung! Marc-André ter Stegen verfolgt den Ball beim Vorbeiflug am Tor des FC Barcelona. (Foto: John Macdougall/AFP)

Auch ohne viel Statistikhuberei war Marco Reus am Ende einer der Verlierer dieses großen Spiels ohne Treffer. Bei seinem Elfmeter (57.) hätte er einmal mehr beweisen können, dass man ihm zu Unrecht bisweilen mangelnden Killerinstinkt in wichtigen Spielen nachsagt. "Schwach geschossen" fand Reus seinen Strafstoß, er fühle sich "scheiße" deshalb, "danach hatten wir aber noch weitere vier, fünf große Chancen. Wenn wir eine davon machen, gewinnen wir das Spiel".

Die meisten dieser Chancen hatte Reus selbst. Dabei hatte Dortmunds unglücklicher Kapitän ansonsten ebenfalls eine eindrucksvolle Leistung abgeliefert, mit rasanten Dribblings, filigranen Aktionen, und rustikalen Balleroberungen, mehrmals gar gegen den für eine halbe Stunde noch eingewechselten Lionel Messi.

Selbst Torwart Bürki mochte Reus aber an diesem Abend keinen Trost spenden: "Wenn die anderen unsere Chancen gehabt hätten, wäre es anders ausgegangen." Exemplarisch die Chance von Julian Brandt, dessen scharf geschossener Ball an den Querbalken knallte, wobei Torwart ter Stegen ein einziges Mal mit seinem Latein am Ende zu sein schien - aber das Glück des Tüchtigen hatte. Unabhängig davon ist ter Stegens Bilanz eindrucksvoll: Der Torwart hat in der Champions League bisher vier von sechs Elfmetern gehalten. Er bestätigte auch in Dortmund seine Extraklasse, beeindruckte durch Präsenz noch mehr als durch Wunderaktionen. Im Fernduell mit Manuel Neuer, der ihm im in der Nationalelf zuletzt selbst dann vorgezogen wurde, wenn er nicht in Topform war, wird ihm der Abend nicht viel genützt haben. Obwohl er zu den Gewinnern zählte.

Dortmund hatte stürmisch begonnen, sich dann aber eine halbe Stunde lang von den ballsicheren Spaniern dominieren lassen. Ein Muster, das sich beim BVB auch gegen viel schwächere Gegner als das Starensemble aus Barcelona oft zu wiederholen scheint. Dafür trumpfte die Mannschaft von Lucien Favre nach der Pause um so mehr auf, es gelang ihr sogar, Messi und Co. deutlich zu kontrollieren. Entscheidend wird in dieser Vorrunde allerdings sein, ob Dortmund gegen die etwas leichteren Gegner in der Gruppe F, Inter Mailand und Slavia Prag, ähnlich stark aufspielen kann. Michael Zorc hat für beide Auswärtsspiele Siege eingefordert. Inter und Slavia trennten sich ihrem Duell 1:1.

Die erstaunliche Leistung der Dortmunder wird aber wohl noch für etwas Kopfzerbrechen sorgen. Weniger die für Dortmunder Verhältnisse ungewohnt stabile Zentraldefensive um den aggressiven Hummels und den allgegenwärtigen Thomas Delaney. Eher die Offensive.

Hazard oder Brandt, Hakimi oder Piszczek: Favre muss nun einen Konkurrenzkampf moderieren

Trainer Favre hatte Thorgan Hazard, mit dem er schon zu seinen Gladbacher Trainerzeiten gearbeitet hatte, überraschend dem später eingewechselten Julian Brandt vorgezogen. Mittelstürmer Paco Alcácer, vor etwas über einem Jahr ausgerechnet aus Barcelona zum BVB gekommen, blieb gegen seinen alten Verein bedeutungslos und nahm am Spiel fast nicht teil. Und Achraf Hakimi, eigentlich nur Ersatzmann für Haudegen Lukasz Piszczek, setzte Weltstar Griezmann auf dem Flügel derart unter Druck, dass er den Franzosen damit erkennbar verunsicherte. Lauter personelle Reibungspunkte. Favre wird in den Strapazen des Herbstes deutlich mehr Personal nah an der Startelf und damit bei Laune halten müssen. Die Kaderbreite komplett auszuschöpfen, schien bislang nicht zu Favres vielen Vorzügen zu gehören.

© SZ vom 19.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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