Dopingaffäre Pechstein:Heikle Fragen

Lesezeit: 3 min

Claudia Pechstein konnte bislang keine schlüssige Erklärung für ihre mysteriösen Blutwerte liefern. Auch bei der Verhandlung vorm CAS darf nicht zu viel erwartet werden.

Thomas Kistner

Nichts ist gewiss in der Causa Claudia Pechstein gegen den Eisschnellauf-Weltverband ISU, die ab Donnerstagnachmittag um 17 Uhr vor dem Internationalen Sportgerichtshof Cas in Lausanne verhandelt wird - nur soviel, dass die Sportwelt eine Menge Fingerzeige erwartet von diesem spektakulären Indizien-Prozess. Dabei eignet dem Fall nach Einschätzung zentraler Instanzen der Dopingbekämpfung, vorneweg der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada, nicht der Präzedenzcharakter inne, der ihm allgemein zugeschrieben wird.

Claudia Pechstein beteuert ihre Unschuld. (Foto: Foto: dpa)

Und es gibt auch Cas-Richter, die diskret darauf hinweisen, dass es ja bereits spektakuläre Entscheide gab auf der Basis von reinen Indizien, vorneweg die Verurteilung sechs österreichischer Skiathleten und diverser Betreuer nach der Turiner Winterspiel-Affäre 2006. Sie alle bestritten den Pharmabetrug, der ihnen anhand von Arznei- und Ausrüstungsfunden nachgewiesen wurde. Das verräterische Material war bei Polizeirazzien in ihren Olympiaquartieren sichergestellt worden.

Indizien also, die - neben dem entlarvenden Verhalten einiger Beteiligter, die flüchteten oder einschlägiges Material entsorgten - für die Sportrichter seinerzeit nur einen vernünftigen Schluss zuließen: Dass sie zum Dopen dienten.

Spätes Selbstzeugnis

Pechsteins Situation ist vor der Berufungsverhandlung am Cas insofern ähnlich, als auch gegen sie Sachverhalte vorliegen, die erheblich auf Doping hinweisen. Die bei ihr über Jahre hinweg ermittelten, immer wieder mal auffallend hohen Retikulozyten-Werte hat die ISU, nach einer zweitägigen Anhörung der Athletin und ihrer Rechtsvertreter Ende Juni in Bern, als Beleg für Doping interpretiert. Pechsteins Blut hatte - dreimal gemessen bei der WM im Februar in Hamar - "abnormal" (ISU) viele Retikulozyten aufgewiesen, junge rote Blutkörperchen, während andere Blutparameter wie Hämoglobin und Hämatokritwert diesem Phänomen nicht folgten. Das wäre aber die normale physiologische Konsequenz, da junge Blutkörperchen erwachsen werden. Als Manipulationsmöglichkeit in Frage käme etwa ein blutverdünnendes Mittel, wie sie in Dopingfällen immer wieder auftauchen - und übrigens auch bei Österreichs Athleten in Turin gefunden worden waren.

Die ISU sperrte Pechstein im Juli. Sie stützte sich auf den Wada-Code, der besagt: "Tatsachen im Zusammenhang mit Verstößen gegen Anti-Doping-Bestimmungen können durch jegliche verlässliche Mittel bewiesen werden." Dazu gehören ausdrücklich auch Blutprofile. Und sie liegen, nach Ansicht der ISU und auch vieler unparteiischer Experten, die sich über Monate zu dem Fall geäußert haben, in verlässlicher Weise vor.

Pechstein bestreitet Doping. Doch bisher konnte sie weder Blutanomalie oder -krankheit nachweisen, noch sonst eine schlüssige Erklärung für ihre mysteriöse Werte-Skala liefern, um die unparteiische Fachwelt auf breiter Ebene zu überzeugen. Sollte es den wissenschaftlich harten Beleg geben, würde dies zudem die Frage aufwerfen, warum ihre Partei - die heftige Öffentlichkeitsarbeit betrieben hat - just das schlagende Argument bis zuletzt zurückhielt.

So fand etwa bei einer live übertragenen TV-Selbstbefragung ihrer Vertreter ein Thema den größten Widerhall, dass kein zentrales mehr ist: Da hieß es, Pechstein seien wiederholt Blutproben fremder Athleten zugeordnet worden - das würden die Etiketten (Barcodes) auf den Blutanalysen belegen, die nicht mit denen auf den Protokollpapieren übereinstimmten. Indes hatten Laborpraktiker die vermeintliche Affäre flott enträselt: Proben-Umbeschriftungen seien üblich, die Zuordnung der Originalcodes bleibe ja gewährleistet.

Letzte Woche trug Pechsteins Seite öffentlich vor, man wolle aus weiteren Blutparametern eine "handfeste medizinische Entlastung" ableiten. Experten rätseln vorläufig, wie das gemeint sei, Retikulozyten allein gelten als sehr belastbarer Wert. Einer allein reiche nicht aus, meint dagegen Pechsteins Seite, die auch zahlreiche Verfahrensfehler der ISU geltend machen will. Die Rede war neben Barcodes von fehlenden Messprotokollen und Analysen in nicht akkreditierten Labors.

Überdies präsentierte Pechstein nun eigene, in einem Berliner Labor erhobene Blutanalysen, die eklatante Messdifferenzen mit zwei unterschiedlichen Analysegeräten, Sysmex und Advia, ergeben hätten. Das Gerät vom Typus Advia, den die ISU seit Beginn ihrer Bluttestreihen 2000 einsetzt, lieferte die höheren Werte. Mit Hilfe des anderen Gerätetypus' Sysmex, so die These, wäre die ISU auf normale Werte gekommen. Bei einer Messung im August habe Pechsteins Retikulozytenwert sogar laut Advia 2,9 betragen, laut Sysmex nur 1,4.

Experten wundern sich

Experten wie Professor Fritz Sörgel winken da ab. Der Nürnberger Pharmakologe sagt, jeder bessere Laborant wisse, dass Advia höhere Werte messe als Sysmex, weshalb jedes Geräte eigene Normalbereiche habe. Das sagen auch die Dopingfahnder in Köln und Kreischa: Für jeden Gerätetypus brauche es eigene Grenzwerte.

Es gibt mehr Ungereimtheiten aus Sicht unabhängiger Beobachter. So wundert sich Sörgel auch, "warum offenbar nur bei Pechstein immer wieder Falschmessungen aufgetreten sein sollen". Überdies wurden die Bedingungen der neuen Pechstein-Studie bisher nicht näher beschrieben. Dabei hatte vor Wochen schon die Nationale Anti-Doping-Agentur eine solche Studie abgelehnt, Pechstein hatte sie darum ersucht. Zur Begründung hieß es unter anderem, dass eine Rundumüberwachung der Athletin über den erforderlichen mehrwöchigen Zeitraum nicht zu garantieren war. Ob und wie der Cas das spät vorgelegte Selbstzeugnis berücksichtigt, ist nun eine weitere der vielen Fragen in dieser Causa.

© SZ vom 21.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: