Doping:Wie junge Sportler vom mutmaßlichen Doping-Arzt untersucht wurden

Illustration picture taken during the twentieth stage of the 104th edition of the Tour de France cyc; Doping Radsport Symbolbild

Junge Radsportler wurden vom mutmaßlichen Doping-Arzt Mark Schmidt untersucht.

(Foto: imago/Belga)
  • Ab 2015 gingen junge Thüringer Radfahrer zum Erfurter Sportmediziner Mark Schmidt, dem mutmaßlichen Drahtzieher in der aktuellen Doping-Affäre.
  • Sie wurden in der Praxis sogenannten sportmedizinischen Tauglichkeitsprüfungen unterzogen.
  • Der Rad-Verband erklärt die merkwürdige Wahl mit Wartezeiten bei den Ergebnissen.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Zirka vier Wochen ist es inzwischen her, dass die "Operation Aderlass" das jüngste Doping-Beben in der Sportlandschaft auslöste. Seither läuft der Versuch, die Dimension eines von Erfurt aus operierenden Blutdopingnetzwerkes zu rekonstruieren. 21 Athleten aus acht Nationen und fünf Sportarten haben die Behörden bislang im Visier, auch ein deutscher Eisschnellläufer soll darunter sein. Aber unabhängig von der staatsanwaltschaftlichen Suche nach weiteren Kunden und/oder Komplizen zeigt sich in dieser Affäre noch ein anderer Strang: nämlich der Kontakt der deutschen Sportinstitutionen mit der Praxis des Erfurter Sportmediziners und mutmaßlichen Doping-Drahtziehers Mark Schmidt. Und in diesem Kontext gibt etwa der Thüringer Radsport-Verband ob seines Handelns in den vergangenen Jahren ein seltsames Bild ab.

Es geht dabei um den Umgang mit den sogenannten sportmedizinischen Tauglichkeitsprüfungen. Solche Untersuchungen müssen alle jüngeren D-Kader-Athleten, in der Regel zwischen 13 und 15 Jahren alt, durchlaufen. Der jeweilige Landessportbund verteilt dafür Lizenzen an bestimmte Praxen, der jeweilige Fachverband wählt diese konkret aus. So machte es auch der Thüringer Radsport-Verband (TRV), der für das Jahr 2015 einen bemerkenswerten Wechsel beschloss: Bis dahin war eine Praxis im Erfurter Süden für seine jungen Radsportler zuständig gewesen, dann wurde die Arztpraxis Schmidt ausgewählt, die der aktuell beschuldigte Sportmediziner gemeinsam mit seiner Mutter Heidrun betrieb. 55 junge Sportler kamen fortan jedes Jahr zu dieser Praxis.

Das war eine seltsam anmutende Entscheidung. Denn erst kurz vor diesem Wechsel waren in einem bundesweit aufsehenerregenden Prozess in Stuttgart von mehreren früheren Radprofis konkrete Dopingvorwürfe gegen Mark Schmidt erhoben worden, die dessen Zeit als Mannschaftsarzt bei Team Gerolsteiner (2006 bis 2008) betrafen. Damit wiederholten sie inhaltlich das, was einige Jahre zuvor schon der österreichische Radprofi Bernhard Kohl mitgeteilt hatte. Der Mediziner selbst wies zwar stets zurück, an Doping beteiligt gewesen zu sein. Aber der Richter in Stuttgart hielt fest, dass das Doping-Klima bei der Gerolsteiner-Mannschaft "doch eher freundlich" gewesen sei.

Der TRV begründet den Praxiswechsel auf Anfrage damit, dass sich bei der Auswertung der Untersuchungen im Jahr 2014 "deutlich zu lange Wartezeiten auf die Untersuchungsergebnisse herausgestellt" hätten. Deshalb habe sich der damalige Leistungssport-Koordinator mit der Praxis Heidrun Schmidt in Verbindung gesetzt und ihr die Untersuchungen ab 2015 übertragen. Die konkrete Frage, warum es trotz der gravierenden Vorwürfe gegen Mark Schmidt ausgerechnet diese Praxis wurde, lässt der TRV unbeantwortet.

Alle vier Jahre war die Lizenz der Praxis verlängert worden, auch als Mark Schmidt dort einstieg

Die Dachorganisationen kommentieren dies verblüffend zurückhaltend. Der Deutsche Olympische Sportbund teilt mit, er könne keine Bewertung vornehmen, "da wir die Hintergründe zur Entscheidungsfindung weder kennen noch für die Landesfachverbände zuständig sind". Er wolle sich aber "zeitnah mit unseren Mitgliedsorganisationen dazu abstimmen, wie Verbesserungen in Form von national einheitlichen Standards zu erreichen sind".

Die Praxis Schmidt war dabei nicht nur für junge Radsportler eine Anlaufstelle gewesen. Bereits Ende der Neunzigerjahre hatte der Landessportbund der Praxis die Lizenz für Tauglichkeitsprüfungen erteilt; damals war sie noch alleine von Schmidts Mutter betrieben worden. Alle vier Jahre war diese Lizenz verlängert worden, auch als der Sohn dort einstieg; erst als Ende Februar der Blutdopingring aufflog, entzog der LSB der Praxis diesen Status.

In den vergangenen zehn Jahren hatte es insgesamt 403 sportmedizinische Untersuchungen gegeben, und zwar in den Disziplinen Radsport (220), Schwimmen (138), Gewichtheben (42), Badminton (2) und Turnen (1). Offenkundig blieb es nicht bei den Tauglichkeitsprüfungen. Bei einem Treffen zwischen Verbandsvertretern und Eltern, zu denen es nach Ausbruch der aktuellen Affäre kam, sollen Teilnehmer berichtet haben, dass manch junger Sportler auch in normaler ärztlicher Behandlung bei dem Arzt gewesen sei. Bei dem Treffen habe es von den Eltern keinerlei Hinweise auf Merkwürdigkeiten gegeben, sondern eher Lob für die Praxis. Aber das ändert nichts an dem Vorwurf, dass der organisierte Sport einem schwer belasteten Mediziner so einen Zugang zu vielen jungen Sportlern ermöglichte.

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