Doping:Der Athlet als Blutbeutel

Bludoping Labor Erfurt

Eine der beiden inzwischen berühmten Zentrifugen, die ACP 215.

(Foto: Zollfahndungsamt München)
  • Zu den Olympischen Spielen und zum Honolulu-Marathon reisten Klienten des Erfurter Sportmediziners Mark Schmidt quasi als ihr eigener Lebendblutbeutel.
  • Kai Gräber, der Leiter der Münchner Schwerpunktstaatsanwaltschaft Dopingkriminalität, nannte diese Kurierdienste im eigenen Blutkreislauf auf einer Pressekonferenz am Mittwoch "lebensgefährlich".
  • Eine makabre Kuriosität in dem Fall um Schmidt sind zudem zwei Zentrifugen, die schon 2009 in Budapest beschlagnahmt wurden - und 2019 nun in Erfurt.

Von Claudio Catuogno

Die Ermittler des Zollfahndungsamts München haben schon viele Garagen von innen gesehen, Garagen sind Verstecke, Verbrecher lieben Garagen. Aber so etwas wie die Blutdoping-Garage des Erfurter Sportmediziners Mark Schmidt, ein modernes Labor hinter einem selbstgebauten Sperrholzverschlag, das hat selbst erfahrene Fahnder verblüfft. Keine Drogen diesmal, keine Waffen. Dafür beutelweise Sportlerblut.

Als Kai Gräber, der Leiter der Münchner Schwerpunktstaatsanwaltschaft Dopingkriminalität, diese Woche vor die Presse trat, um über den Stand der "Operation Aderlass" zu berichten, legte er zum einen neue Zahlen vor: 21 Athleten sind bereits ermittelt, die bei Schmidt Blutdoping betrieben haben sollen, überwiegend Männer, sie stammen aus acht Ländern und fünf Sportarten. Mehr wird aus ermittlungstaktischen Gründen vorerst nicht preisgegeben. Zum anderen hatte Gräber eine Powerpoint-Präsentation mit Fotos dabei, die seine Fahnder bei den Razzien am 27. Februar in Erfurt und Seefeld/Tirol aufgenommen hatten. Sie zeigen die gruselige Banalität des Sportbetrugs.

Zwei Blutbeutel im Waschbecken eines angemieteten Appartements in Seefeld, daneben steht die elektrische Zahnbürste. Oder: Blutbesteck auf der Armlehne eines Sofas, ebenfalls in Seefeld. Hier hatte das Wiener Bundeskriminalamt während der Nordischen Ski-WM fünf Langläufer aus Österreich, Estland und Kasachstan festgesetzt, einer hatte noch die Nadel in der Vene. Und in Erfurt, wo Schmidt seine sportmedizinische Praxis betrieb, ehe er nach München in U-Haft überstellt wurde, sind auf den Garagenbildern Blutbeutel in der Spezialkühltruhe zu sehen, das Display zeigt -79 Grad. Dazu Gerätschaften zur Blutabnahme, Blutbehandlung, Blutlagerung.

Anhand der Geräte lässt sich rekonstruieren, wie das Erfurter Netzwerk seine Bluttankstelle betrieb. Der Nürnberger Pharmakologe und Dopingexperte Fritz Sörgel etwa entdeckte auf der Powerpoint-Folie Nummer vier, links unten, eine Kühlbox, in der Schmidt und seine vier ebenfalls verhafteten mutmaßlichen Helfer die Beutel mit dem abgezapften Sportlerblut transportiert haben müssen, bei +4 Grad Celsius. Praktisch an dem Modell: Es lässt sich über den Zigarettenanzünder auch im Auto auf Temperatur halten. Das passt zu den Erkenntnissen, die am Anfang der Affäre standen: Da hatte der österreichische Langläufer Johannes Dürr die Ermittler auf Schmidts Spur gebracht, als er in einer ARD-Dokumentation berichtete, wie ihm abgezapftes Blut unter anderem am Flughafen München, an der Raststätte Irschenberg sowie auf einem Parkplatz in Oberhof in den Körper zurückgeführt wurde.

"Das ist irre"

Doch die Transportbehälter, deren Existenz die Ermittler am meisten erschütterte, sind auf keinem Foto zu sehen. Diese Behälter kamen laut Staatsanwalt Gräber auf Langstreckenflügen zum Einsatz, wo bekanntlich, wie Sörgel spöttisch anmerkt, "im Handgepäck nur 100 Milliliter Flüssigkeit erlaubt sind". Diese, nun ja, Behälter waren: die Sportlerkörper selbst.

Nach Pyeongchang und nach Hawaii reisten Klienten von Schmidt quasi als ihr eigener Lebendblutbeutel. Also zu den Olympischen Winterspielen 2018 und, wie die SZ erfuhr, zum Honolulu-Marathon (und nicht, wie nach Gräbers Ausführungen zunächst angenommen, zum berühmten Triathlon "Ironman"). Wie man sich das konkret vorstellen muss? Ein Liter Blut wird abgezapft, die roten Blutkörperchen herauszentrifugiert, dann eingefroren, dann wieder aufgetaut, zurückspritzt, im Körper um die halbe Welt geflogen, nach der Landung wieder abgenommen, wieder gekühlt - und kurz vor dem Wettkampf ein letztes Mal refundiert. Damit dann die zusätzlichen roten Blutkörperchen, die Erythrozyten, mehr Sauerstoff transportieren, wenn Hochleistung gefragt ist.

Kai Gräber nannte diese Kurierdienste im eigenen Blutkreislauf am Mittwoch "lebensgefährlich". Auch der Blutfachmann Sörgel ist entsetzt: "Das sind Menschenversuche", sagte er der SZ. Fünf bis sechs Liter Blut hat ein Erwachsener im Schnitt in sich, kommt ein weiterer Liter dazu, erhöht sich die Blutmenge auf einen Schlag um fast 20 Prozent. Und das kurz vor einem Langstreckenflug, wo ohnehin Thrombosegefahr besteht? "Das ist irre", sagt Sörgel, "das Zeug muss im Körper ja irgendwo hin."

Das Zeug: Auch wenn jetzt der Einfachheit halber von "Eigenblutdoping" die Rede ist, war das Zeug kein Blut im eigentlichen Sinne mehr. Auch das legen die Gerätschaften offen. Blut lässt sich nicht einfrieren, ohne dass es unbrauchbar wird. "Man muss die Erythrozyten isolieren und dann Glyzerin zugeben", erklärt Sörgel, man erhält dann ein Konzentrat aus roten Blutkörperchen. Und um dieses herzustellen, benötigt man zum Beispiel jene beiden Maschinen, die auf Gräbers Bildern Nummer 7 und Nummer 14 zu sehen sind. Da ist ein graues Gerät mit der Aufschrift Baxter; der Deckel ist heruntergeklappt. Das ist der Blutzellenseperator, Typenbezeichnung "Alyx", Anschaffungspreis 48.000 Euro, eine Hochleistungszentrifuge. Und da ist ein weißer Kasten der Firma Haemonetics, ebenfalls mit einer Zentrifuge in der Mitte, schwarzen Knöpfen, einem Display im Deckel und der Typenbezeichnung "ACP 215". Damit lässt sich das Blut fürs Einfrieren vorbereiten und nach dem Auftauen das Glycerin wieder herauswaschen.

2009 waren die Zentrifugen in Budapest beschlagnahmt worden

Die Alyx und die ACP 215, das ist eine weitere makabere Kuriosität in der Geschichte, haben schon eine lange Reise hinter sich, eine Reise durch die Abgründe des Sports.

Im Oktober 2010 wurde der österreichische Sportmanager Stefan Matschiner von einem Wiener Gericht zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, er hatte Athleten mit Dopingmitteln versorgt und mit Eigenblut behandelt - unter anderem den österreichischen Radprofi Bernhard Kohl, der für das deutsche Team Gerolsteiner bei der Tour de France 2008 Rang drei belegte, ehe er des Betrugs mit dem Mittel Cera überführt wurde. Matschiner hatte sich mit der nun in Erfurt konfiszierten Alyx sowie weiteren Maschinen im Jahr 2006 quasi als Bluttankwart selbständig gemacht. Die ACP erwarb er im Jahr 2008, um ein Vorgängermodell zu ersetzen. Erst taten die Zentrifugen ihre Dienste in einer Erdgeschosswohnung in Linz, doch weil kurz darauf in Österreich ein strengeres Anti-Doping-Gesetz in Kraft trat, stellte Matschiner sie bald darauf in Slowenien und dann in Ungarn auf.

Doping Erfurth

Die zweite beschlagnahmte Maschine, der Blutzellenseperator des Typs "Alyx".

(Foto: Zollfahndungsamt München)

2009 waren die Geräte in Budapest beschlagnahmt worden. Und 2019 erneut: diesmal in Erfurt

In Budapest wurden die Geräte im März 2009 beschlagnahmt, dann aber wieder "ausgefolgt", wie das in Österreich heißt. Zurückgegeben. Warum, dafür musste sich kürzlich - aus aktuellem Anlass - die Gerichtssprecherin Christina Salzborn rechtfertigen: Erst 2011, sagte sie, sei in Österreich ein Gesetz in Kraft getreten, das es erlaubt, einen für Straftaten genutzten Gegenstand auch dann zu konfiszieren, wenn es sich um einen per se legalen, ungefährlichen "Gegenstand des Alltags" handelt. Also nicht nur Waffen einzuziehen, sondern auch Zentrifugen. 2010 war das noch nicht möglich, "weshalb die Ausfolgung unumgänglich war", sagte Salzborn. Leider.

Im Gericht hatte Matschiner seinerzeit reuig versprochen, die Alyx für einen wohltätigen Zweck zu spenden. Stattdessen verkaufte er sie, zusammen mit seinen anderen Gerätschaften, weiter: an Mark Schmidt. Der SZ sagte Matschiner vor einigen Tagen, die Geräte hätten ihn 100 000 Euro gekostet; für rund 50 000 wanderte das Equipment laut Gräber an Schmidt weiter. "Ich habe es ihm gegeben und nicht weiter darüber nachgedacht, was er damit anfängt", behauptet Matschiner. "Ich war nur froh, dass das Zeug weg ist."

Dabei stand Schmidt, seinerzeit Teamarzt bei Gerolsteiner, schon damals unter Verdacht. Bernhard Kohl hatte ihn bei den Ermittlern als Mitwisser benannt. Doch Schmidt bestritt alles, durfte beim Team Milram weitermachen - und baute offenbar ab 2011, mit Matschiners "Zeug", sein eigenes Blutdopingnetzwerk auf.

Jetzt lagern die Alyx, die ACP 215 und die anderen Geräte beim Münchner Landeskriminalamt, zur Spurensicherung. Mark Schmidt drohen mehrere Jahre Haft. Aber es gibt wohl genügend andere Sportärzte mit anderen Zentrifugen, um den Blutbedarf des Spitzensports weiter zu decken. Stefan Matschiner jedenfalls ist sich sicher: "Jedes Land hat seinen Mark Schmidt."

Der Hersteller der ACP 215, die Firma Haemonetics, preist ihr Gerät für Spezial-Krankenhäuser an: "Ganz gleich, ob Ihre Einrichtung Erythrozyten wäscht, seltenes Blut sammelt oder ein komplettes Blutreserven-Programm ausarbeiten möchte, die ACP 215-Technologie kann Sie bei der Implementierung Ihres gesamten Vorhabens unterstützen." Nein, die Zentrifugen, die jetzt in der Erfurter Dopinggarage zum Fotomotiv wurden, sind keine Waffen, sie sind "Geräte des Alltags", da hatten die Behörden damals schon recht. Des Hightech-Alltags im Spitzensport.

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